Folgen des deutschen Kolonialismus: Er streitet für sein Recht

Gesetze aus Kaiserzeiten wirken nach, zeigt der Fall Gerson Liebl. Erneut weist ein Gericht seine Klage auf deutsche Staatsbürgerschaft ab.

Ein Porträtfoto von Gerson Liebl, er ist People of Color und würde gerne gerne Deutscher werden – und kämpft dafür seit Jahren hartnäckig vor Gericht

Gerson Liebl würde gerne Deutscher sein – und kämpft dafür seit Jahren hartnäckig vor Gericht Foto: Wolfgang Borrs

BERLIN taz | Wieder hat Gerson Liebl verloren: Seit 30 Jahren kämpft der Mann aus Togo für einen deutschen Pass mit dem Argument, dass er einen deutschen Großvater hatte, der in der Kolonialzeit Beamter im „deutschen Schutzgebiet“ war. Wiederholt hat er deswegen deutsche Behörden verklagt – aktuell wollte er das Land Berlin dazu verdonnern, ihm einen deutschen Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen. Ein solches Dokument bekommen im Ausland lebende Deutsche als Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit.

Doch diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht am Montag ab. Zwar gab Richter James Bews in der mündlichen Verhandlung zu, dass die Gesetze aus der Kaiserzeit „selbstverständlich rassistisch“ waren. Dies sei aber „für die Beurteilung der Rechtslage nicht erheblich“, führte er aus. „Politisch haben Sie Recht“, sagte er zu Liebl, „rechtlich nicht. Ich kann kein politisches Urteil fällen.“

Der Fall Liebl ist von öffentlichem Interesse, weil er exemplarisch zeigt, welche Probleme sich aus der kolonialen Vergangenheit Deutschlands – samt den entsprechenden Gesetzen – bis heute ergeben. Immer wieder stellt sich etwa die Frage, wie man mit Gesetzen umgeht, die aus heutiger Sicht inakzeptabel sind.

Nach „Stammes-Recht“

Friedrich Liebl, ein Arzt aus Straubing, war 1909 in Togo stationiert, hatte dort nach „Stammes-Recht“ Edith Kokoé geheiratet, die von ihm ein Kind erwartete. Eine „Fraternisierung“ dieser Art war offenbar weit verbreitet, die Kolonialverwaltung führte nämlich sogenannte „Mulattenlisten“, auf denen die Kinder deutscher Beamter verzeichnet waren sowie der Unterhalt, den sie den Müttern zu zahlen hatten. Auch ein „Regierungsarzt Dr. Liebl“ kommt darin vor, dazu der Vermerk: „zahlt für Mutter/Kind 1.000 Mark für Unterhalt und Erziehung“; die taz konnte die Dokumente im Bundesarchiv einsehen.

Nach deutschem Recht heiraten konnten Liebl und Edith Kokoé nicht: „Mischehen“ waren in der Kolonialzeit nicht erwünscht und die damaligen Gesetze daher darauf angelegt, sie zu verhindern, wie auch Richter Bews am Montag die Sachlage zusammenfasste. Gleichzeitig galt jedoch bis 1963, dass nur „eheliche Kinder“ von Deutschen per Geburt Deutsche waren. Dieses Gesetz von 1894 sei also ein rassistisches Gesetz gewesen, sagte Liebl vor Gericht erbost. „Ja“, antwortete der Richter. Aber wie sei es möglich, setzte Liebl nach, „ein rassistisches Gesetz anzuwenden“? Eine Antwort blieb Richter Bews ihm schuldig.

Liebls Kampf begann 1991. Damals kam er nach Deutschland, um den deutschen Teil seiner Familie kennen zu lernen. Er beantragte zunächst erfolglos Asyl, später die deutsche Staatsbürgerschaft. In verschiedenen Gerichtsprozessen brachte er seither immer neue Argumente ein. Mit den Jahren wurde er Experte in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht, fand Unterstützer wie den Historiker Peter Sebald, der für Liebl in einem Archiv die „Mulattenlisten“ fand. Mehrere Historiker schrieben Gutachten über koloniales (Un-)Recht, Lokalpolitiker setzten sich für ihn ein, verfassten Petitionen. Auch ein Film wurde über Liebl gedreht.

Bis heute nur eine Duldung

Es half alles nichts: 2009 wurde der gelernte Goldschmied – nach 18 Jahren in Deutschland – nach Togo abgeschoben. Seine Un­ter­stüt­ze­r*in­nen und er gaben jedoch nicht auf und tatsächlich durfte er 2017 zurückkommen: Sein Sohn war Deutscher geworden, auch seine Frau – ebenfalls aus Togo – hatte inzwischen unbefristeten Aufenthalt. Er dagegen hat bis heute nur keinen dauerhaften Aufenthalt, auch mit dem Landeseinwanderungsamt (LEA) liegt er im Rechtsstreit.

Dass der Fall endlich zu einem guten Abschluss kommen sollte, sehen wohl auch die Behörden. Wenn Liebl seinen Streit mit dem LEA ausräume und einen Antrag auf Einbürgerung stellte, „würden wir diesen mit positiver Zielsetzung prüfen“, sagte der Vertreter der Innenverwaltung als Beklagter vor Gericht. Doch das will Liebl nicht: „Einbürgerung ist Ermessensangelegenheit, die Staatsangehörigkeit nicht.“

Sein Bruder Rodolpho Dovi habe 2019 von der deutschen Botschaft in Lomé einen deutschen Pass bekommen – und dafür dieselben Dokumente vorgelegt wie er selbst, sagte Liebl. „Wie kann es sein“, fragte Liebl den Richter, „dass mein Bruder und ich anders behandelt werden“? Tatsächlich hätte es auch die Öffentlichkeit interessiert zu erfahren, vor welchem Hintergrund das zuständige Bundesverwaltungsamt in Köln* dem Bruder vor drei Jahren das „Deutschsein“ bestätigte. Doch Richter Bews folgte der Bitte Liebls nicht, sich nach den Gründen zu erkundigen. Das seien unterschiedliche Fälle, erklärte er.

Gerson Liebl

„Einbürgerung ist Ermessensangelegenheit, die Staatsangehörigkeit nicht“

Nach der Verhandlung zeigte Liebl sich „enttäuscht“ vom Richter, weil dieser die Sache mit dem Bruder für unwichtig erachte. Er wolle nun das schriftliche Urteil abwarten und die Begründung lesen – und dann entscheiden, ob er in Berufung geht.

(*in einer 1. Fassung stand hier fälschlich Koblenz)

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