Folgen des deutschen Kolonialismus: Gerson Liebl klagt an

Seit fast 30 Jahren versucht der Nachfahre eines deutschen Kolonialbeamten Deutscher zu werden. Jetzt ist er im Hungerstreik.

Gerson Liebl vor dem Roten Rathaus

Seit Mittwoch für sein Recht, hier zu sein, im Hungerstreik: Gerson Liebl vor dem Roten Rathaus Foto: Christian Thiel

Berlin taz | Eiskalt bläst der Wind ums Rote Rathaus. Passanten hasten vorbei, nur wenige beachten das unförmige Bündel aus Decken und Taschen, das schräg vor dem Haupteingang liegt und beinahe wie das Nachtlager eines Obdachlosen wirkt. Wenn nicht das Schild an der Laterne darüber wäre: „Hungerstreik!“ verkündet es.

Der Mann, der hier am Donnerstagvormittag liegt, ist verzweifelt und erschöpft. Weil er Kopfschmerzen hat und ein Ziehen im leeren Magen nach 24 Stunden ohne feste Nahrung. Aber vor allem, weil er seit 28 Jahren einen schier aussichtslosen Kampf gegen deutsche Behörden führt. Gerson Liebl aus Togo will Deutscher werden und hier leben dürfen. Sein Großvater war deutscher Beamter in der Kolonie Togo, sein Sohn ist Deutscher, seine Ehefrau hat eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Da soll er kein Recht haben, hier zu sein? „Das ist reine Schikane“, flüstert Liebl fast unhörbar unter seinem dicken Schal. Und: „Ich bleibe hier liegen, bis ich meinen Pass habe.“

Dass Liebl ein Recht darauf hat, glauben viele: Es hat mehrere Petitionen für ihn gegeben, aktuell läuft wieder eine beim Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses (AGH). Der gelernte Goldschmied, der 1991 nach Deutschland kam, hat auch schon mal ein Bleiberecht bekommen, 2003 in Rheinland-Pfalz. Später wurde es ihm wieder aberkannt, 2009 wurde er nach Togo abgeschoben – nach 18 Jahren in Deutschland. Obwohl er hier in Berlin einen Sohn hat, den 1999 geborenen Georgi, und eine Ehefrau, Ginette, ebenfalls aus Togo. Es wurden Filme über ihn gedreht und zahllose Artikel geschrieben. Denn sein Fall steht exemplarisch für ein Kapitel deutscher Geschichte, das zwar fast vergessen ist, aber dennoch bis heute Ungerechtigkeiten produziert.

Sein Großvater Friedrich Liebl, ein Arzt aus Straubing, war nämlich nicht der einzige Kolonialbeamte, der sich in eine Einheimische verliebte. Davon zeugen die „Mulattenlisten“, die im Togo der Kolonialzeit seit 1905 geführt wurden. So habe die Verwaltung Väter zu Unterhaltszahlungen veranlasst, schrieb der Historiker Peter Sebald, der Liebl in Togo half, seine Abstammung zu beweisen.

„Mischehen“ waren verboten

Tatsächlich ist in den Listen auch ein „Regierungsarzt Dr. Liebl“ verzeichnet, dazu der Vermerk: „zahlt für Mutter/Kind 1.000 Mark für Unterhalt und Erziehung“; die taz konnte die Dokumente im Bundesarchiv einsehen. Weil aber „Mischehen“ in der Kolonialzeit aus rassistischen Gründen verboten waren und weil bis 1963 nur eheliche Kinder von deutschen Vätern per Geburt Deutsche waren, wurde Gerson Liebls 1992 erstmals gestellter Antrag auf Einbürgerung abgelehnt.

Ohne diese „menschenverachtende rassistische Ideologie und Praxis hätte Gerson Liebl längst die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten können“, schreibt daher der Kultursoziologe Wolfgang Lenk, grünes Mitglied der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, in seiner Petition ans AGH. Es gehe daher nicht nur um ein individuelles Schicksal, sondern darum, dass „die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs weder das staatsangehörigkeitsrechtliche Unrecht aufgehoben noch ausreichende Regelungen geschaffen hat, um heutige Spätfolgen dieses Unrechts auszuschließen“.

So beharrt die Berliner Ausländerbehörde bis heute darauf, dass Liebl Togoer ist. Die Togoischen Behörden haben allerdings schon 2004 klargestellt, dass beide Liebls – Gerson und Ginette – keine togoischen Papiere bekommen, „weil die Betroffenen Nachkommen eines Großvaters mit deutschen Staatsangehörigkeit sind“, wie es vom dortigen Justizministerium heißt. Beide Liebls sind de facto staatenlos.

Zwischenzeitlich hatten die hiesigen Behörden das sogar anerkannt: 2017, als Liebl, damals in Togo, ein Visum von der deutschen Botschaft in Lomé bekam, um für eine Familienzusammenführung zurück nach Deutschland zu kommen. Sein Sohn war inzwischen Deutscher geworden, und so habe er das Recht auf Rückkehr, schrieb die Innenverwaltung. Er bekam von der deutschen Botschaft einen „Reiseausweis für Ausländer“, der als Passersatz für Staatenlose gilt. Nur war der befristet bis 24. Dezember 2017 – der Tag, an dem Liebls Sohn 18 wurde.

Jetzt soll er zur Ausländerbehörde

Der Pass ist Liebls Schatz – sein Beweis, dass die Deutschen anerkannt haben, dass er kein Togoer ist. Die Ausländerbehörde sieht das anders: Seit Liebls Rückkehr im Dezember 2017 weigert sie sich, den Pass zu verlängern, nicht einmal ein Aufenthaltsrecht soll er hier haben. Er könne sich ja nicht finanzieren – was schwierig ist, da er von der Behörde auch keine Arbeitserlaubnis bekommt.

„Sie haben unsere Familie zerstört“, sagt Ginette Liebl. Sie ist vors Rathaus gekommen, um nach ihrem Mann zu sehen. „Ich bin die Einzige, die arbeiten darf“, erzählt sie. „Gerson sitzt seit fast zwei Jahren zu Hause, ist immer traurig.“ Sie hat Angst um seine Gesundheit wegen des Hungerstreiks. „Wenn ihm was passiert, haben die Behörden Blut an den Händen!“, sagt die zierliche Frau. Dann muss sie los, zur Ausländerbehörde.

Denn die Polizisten am Rathaus haben Liebls abgelaufenen „Reiseausweis“ einkassiert und ihn dafür schriftlich aufgefordert, sich bei der Ausländerbehörde zu melden. Ob das gut ist oder schlecht? Ginette will sich erkundigen. Gerson fühlt sich zu schwach. Außerdem muss der Hungerstreik ja weitergehen. „Gott sieht alles“, sagt Liebl und lächelt. Und verschwindet in seinen Schlafsack.

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