Folgen der Privatisierung: Hohe Mieten für einstige Eigentümer
2006 verhökerte der CDU-Senat in Hamburg viele städtische Immobilien. Das beginnt sich nun zu rächen, sind sich SPD wie Linke einig.
Denn viele der damals geschlossenen Mietverträge laufen 2026 aus; Neuverträge könnten wegen der starken Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt teuer werden. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) befürchtet, dass die Stadt „von einer Kostenlawine überrollt“ werden könnte.
Im Rahmen des „Projekts Immobilienmobilisierung“ (Primo) hatte der damalige CDU-Senat unter Führung von Bürgermeister Ole von Beust und Finanzsenator Wolfgang Peiner 187 städtische Gebäude zu einem Preis von mehr als 1,010 Milliarden Euro verkauft. Rund 60 Prozent der Gebäude und Flächen wurden sofort durch die Stadt zurückgemietet, heißt es in der Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage vom 31. Oktober 2008.
Der Haushalt sei damals stark verschuldet und viele der zu verkaufenden Gebäude seien sanierungsbedürftig gewesen, sagt dazu heute Thilo Kleibauer, Fachsprecher für Haushalt und öffentliche Unternehmen der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Das eingenommene Geld sollte unter anderem für Investitionen genutzt werden.,,In dieser Konstellation fand ich, das ist auch nach wie vor meine Meinung, diese Transaktion sehr nachvollziehbar“, sagt Kleibauer.
Von Chancen und Schnapsideen
Das sieht auch Wolfgang Peiner heute noch so und sagt: „Unser Konzept war in Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Stadtentwicklung sehr erfolgreich.“ Die auslaufenden Mietverträge seien eine „Chance“, die „genutzt werden“ müsse.
Dem aktuellen Finanzsenator Dressel geht es da anders. Infolge des Primo-Deals residiert er zwar noch in dem traditionsreichen Behördengebäude am Gänsemarkt, allerdings zur Miete. Den Verkauf bewertet er als „eine Schnapsidee, bei der am Schluss eigentlich nur der Steuerzahler draufzahlt“.
Aus einer Durchschnittsbetrachtung der Finanzbehörde geht hervor, dass die Immobilien in den letzten 20 Jahren zwischen 60 und 120 Prozent an Wert gewonnen haben. „Das ist endgültig der Beweis: Es war kein gutes Geschäft“, resümiert Dressel und bezeichnet den Primo-Deal als ein „Veräußern von Tafelsilber“.
Dass der Primo-Verkauf eine Fehlentscheidung gewesen sei, sei schon damals absehbar gewesen, sagt Wolfgang Maennig, Professor für Wirtschaftspolitik mit Schwerpunkt Stadt- und Immobilienökonomik an der Universität Hamburg. Das Phänomen sei in abgewandelter Form auch in anderen Städten aufgetreten.
Antizyklisch ist besser
Der Immobilienmarkt habe sich in einem,,typischen Tief“ befunden. Dass die Preise in den folgenden Jahren steigen würden, sei immobilienwirtschaftlich absehbar gewesen. „Finanzpolitisch war der Verkauf falsch. Man hat prozyklisch auf dem Tiefpunkt der Immobilienwerte verkauft.“
Wolfgang Marx, der zum Zeitpunkt der Verkäufe Bürgerschaftsabgeordneter für die SPD war, leitete die entscheidende Sitzung des Haushaltsausschusses zum Beschluss von Primo: „Damals war der neoliberale Diskurs ja noch weit verbreitet und die Hamburger CDU versuchte, dabei mitzumachen.“ Damit sei die Vorstellung bei vielen einhergegangen, dass private Unternehmen oft bessere Immobilienbesitzer als die Stadt seien.
Das größte Problem sieht Marx darin,,,dass die Stadt so viele Grundstücke und Immobilien aus der Hand gegeben hat, die sie nach wie vor selber nutzt“. Daher habe es sich lediglich um eine kurzfristige,,Geldanschaffung“ gehandelt.
Das empfand auch Walter Zuckerer so. Der damalige SPD-Abgeordnete stellte sich 2006 vehement gegen die Verkäufe. Die sofortige Rückmietung vieler Immobilien hielt er für inkonsequent. Viele der zum Verkauf stehenden Gebäude seien schon damals nicht mehr als moderne Büros nutzbar gewesen. Zuckerers Meinung nach hätten die Behörden direkt in neue Gebäude umziehen sollen, anstatt teilweise sanierungsbedürftige Gebäude zurückzumieten.
Wurde die Stadt „ausgeplündert“?
Die damaligen Berechnungen der CDU über die Wirtschaftlichkeit der Verkäufe und die Rückmietungen seien zudem undurchsichtig gewesen, sagt Zuckerer und ergänzt: „Die wenigsten von uns haben sie geglaubt.“ Eine Anfechtung der Berechnungen vor dem Hamburger Verfassungsgericht sei aus Oppositionssicht jedoch wenig aussichtsreich erschienen, sodass es bei starken Zweifeln blieb, ergänzt sein damaliger Fraktionskollege Marx.
Der heutige SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Kienscherf sieht das Hauptproblem darin, dass der damalige Finanzsenator Peiner einen engen Kontakt zur Immobilienwirtschaft pflegte.,,Ich glaube, das hat man damals auch schamlos ausgenutzt gegenüber der Stadt“, sagt Kienscherf. Die Stadt sei,,ausgeplündert“ worden.
Belege dafür gebe es keine. Es habe aufgrund der komplexen Thematik auch keinen großen Protest in der Öffentlichkeit gegeben. Innerhalb der Bürgerschaft sei die CDU zwar,,heftigst kritisiert“ worden, aufgrund ihrer damaligen absoluten Mehrheit habe dies aber keine Folgen gehabt.
Auch die Linke vermutet bei den Verkäufen eine Verquickung von Wirtschaft und CDU-Politik. Die Aktiengesellschaft Alstria German REIT kaufte mit einem geringen Eigenkapital und Krediten knapp 40 Primo-Objekte im Wert von 815,5 Millionen Euro. Die Kredite kamen unter anderem von der HSH Nordbank, der damaligen Landesbank. Aus der Antwort auf die Parlamentsanfrage von 2008 geht außerdem hervor, dass die Alstria zur Hälfte einer Tochtergesellschaft der Warburg-Bank gehört, welche derzeit wegen Cum-Ex-Geschäften stark in der Kritik steht.
Linke vermutet Finanzskandal
Norbert Hackbusch, Linken-Abgeordneter in der Bürgerschaft und Mitglied im Haushaltsausschuss, vermutet in den Verkäufen einen Finanzskandal:,,Da ist ein Unternehmen saureich geworden, das vorher nicht existierte, die haben praktisch ihr Vermögen innerhalb kürzester Zeit verdoppelt. Wie kann das sein?“ Die Alstria sei kurz nach den Verkäufen an die Börse gegangen und habe ihr Vermögen vervielfacht.
Zudem soll es Verflechtungen zwischen den von der CDU herangezogenen Beratern und der Alstria gegeben haben. Ein möglicher Zusammenhang lässt sich etwa bei Alexander Stuhlmann erkennen, der zur Zeit von Primo noch Vorstandsvorsitzender der HSH Nordbank war. Ein Bericht des Haushaltsausschusses vom 20. Januar 2015 widerspricht dem Linken-Politiker zwar darin, dass Stuhlmann nicht als Primo-Berater tätig gewesen sei, jedoch geht aus einem Bericht des Haushaltsausschusses vom 7. Februar 2006 hervor, dass die HSH Real Estate AG als Berater tätig gewesen ist.
Die Immobilienholding war eine Tochtergesellschaft der HSH Nordbank. Stuhlmann verließ 2006 die HSH Nordbank, arbeitete dann bei der West LB und war bereits 2008 Aufsichtsratsvorsitzender bei der Alstria. Auf eine Bitte um Stellungnahme reagierte die Alstria nicht.
Trotz all der Kritik scheint die CDU die Veräußerung städtischen Besitzes auch rückblickend nicht zu bereuen. Thilo Kleibauer war bereits damals Bürgerschaftsmitglied und empfand den damaligen Diskurs als,,keine große Aufregerdebatte“. Hamburg habe nicht, wie es in Berlin 2004 und auch in anderen Städten der Fall war, die eigenen Wohnungsbestände verkauft. Städtische Bürogebäude zu verkaufen, sei deutlich,,verträglicher“ gewesen.
Die CDU sieht den Verkauf als Chance
Die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Anke Frieling war damals noch kein Mitglied in der Hamburger Bürgerschaft. Doch auch sie bewertet den Verkauf im Nachhinein als sinnvoll. Die Primo-Immobilienpakete müssten aus ihrer Zeit heraus begriffen werden. Hamburg sei in den 2000er-Jahren geschrumpft.
,,Deshalb hatten wir ja das Motto,wachsende Stadt'“, sagt Frieling. Hiermit meint sie das damalige CDU-Konzept, mit dem Hamburgs Stellenwert als Metropole verbessert werden sollte. Um das realisieren zu können, habe man Geld benötigt, was Hamburg damals nicht gehabt habe.
Vor dem Hintergrund, dass sich mittlerweile die Ansprüche an Bürogebäude geändert hätten und viele der verkauften Immobilien außerdem sanierungsbedürftig seien, sieht Frieling die in den nächsten Jahren auslaufenden Mietverträge sogar als,,Chance“. Die Stadt könne nun neue Gebäude anmieten, die den heutigen Bedürfnissen besser entsprechen. Diese müssten technisch zeitgemäß ausgebaut sein, um für junge Arbeitnehmer*innen attraktiv zu sein und keine hohen Energiekosten verursachen.
Frieling verweist außerdem darauf, dass Finanzsenator Dressel bereits inoffiziell die Quadratmeterzahl an Bürofläche pro Beschäftigten heruntergesetzt habe, als Reaktion auf zunehmendes Arbeiten im Homeoffice.
Verhandlungen über Mietverträge sind angelaufen
Die Verhandlungen über neue Mietverträge ab 2026 sind bereits angelaufen. Erst dann lässt sich laut Finanzsenator Dressel zeigen, wie stark die Auswirkungen auf die Steuerzahlenden sind. „Dann werden wir eine Vermögensbilanz vorlegen, Vorher-Nachher-Vergleich, dann können wir sagen: Was hat es am Schluss den Steuerzahler gekostet“, sagt Dressel. Nur bei ausgewählten Gebäuden seien neue Verträge und Rückkäufe tragbar. Die Finanzbehörde gibt aus Datenschutzgründen keine Einsicht in die Miethöhen der aktuell 727 von der Stadt angemieteten Gebäude.
Sie kann auch keine Aussage über den Immobilienbesitz und die Sanierungskosten der Stadt Hamburg machen. Das diesbezügliche Register befindet sich derzeit erst im Aufbau. Als sein politisches Ziel gibt Dressel an, dass sich zukünftig wieder über 50 Prozent der Flächen der Hansestadt Hamburg im Eigentum der Stadt oder öffentlicher Unternehmen befinden sollen.
Der Linke Hackbusch beurteilt dieses Ziel skeptisch: „Das ist das Fatale an Privatisierung, du kriegst das durch nichts wieder eingefangen in der gegenwärtigen Art“, sagt er. „Es ist für immer. Du bist völlig in der Hand dieser Investoren.“
Sophie Schätzle und Emmy Thume studieren Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Uni Hamburg. Dieser Text ist im Rahmen eines Recherche-Seminars in Kooperation mit der taz nord entstanden.
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