piwik no script img

Folgen der PolizeikolumneSeehofer gefährdete taz-Autor*in

taz-Anwalt Johannes Eisenberg über den Versuch des Bundesinnenministers, eine Kolumnist*in und die taz-Chefredaktion zu kriminalisieren.

Bundesinnenminister Seehofer im Bundestag Foto: Michael Kappeler/dpa

Das Strafverfolgungsbegehren gegen unsere Autor*in Hengameh Yaghoobifarah (und die Chefredakteurin Barbara Junge und deren Stellvertreterin Katrin Gottschalk) wegen des Artikels „All cops are berufsunfähig“ in der taz vom 15.6.2020 hat die Staatsanwaltschaft Berlin zurückgewiesen. Der Artikel war nicht strafbar.

Zwar adressiert er die deutschen Polizeiangehörigen, erklärt die Staatsanwaltschaft. Eine Volksverhetzung stellt er gleichwohl nicht dar, weil ihm der „Appellcharakter“ an die Leser fehlt, Polizeibeamte anzugreifen. Er enthält zwar die Ablehnung der Berufsgruppe, nicht aber ein „Anreizen zu einer feindseligen Haltung“. (Die genauere Begründung entnehmen Sie dem Text von Ulrike Winkelmann).

Angezeigt hatten die Autor*in (und die Chefredakteurin Junge und ihre Stellvertreterin Gottschalk, weil diese angeblich ihrer Verpflichtung, die taz frei von Straftaten zu halten, verletzt haben – es gab also den Versuch, die leitenden Redaktionsverantwortlichen der taz massiv zu kriminalisieren) verschiedene Polizeiorganisationen. Darunter: die rechte DPolG, vertreten durch die auch Nazis vertretende Kanzlei „Höcker“, die den rechtsradikalen ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen als „of Counsel-Rechtsanwalt“ in ihren Reihen feiert. Insgesamt lagen mehr als 140 Strafanzeigen vor, großenteils befeuert durch das Agieren des Bundesinnenministers Horst Seehofer.

Aus Recherchen des Berliner Tagesspiegels wissen wir, dass Seehofer seine über die Bild-Zeitung angekündigte Strafanzeige gegen Autorin und Chefredakteurinnen gegen die Empfehlung seiner Ministeriumsfachleute verfolgt hat. Unmittelbar nach der Veröffentlichung verlangte der sich selbst als „Erfahrungsjurist“ qualifizierende Seehofer am 17. Juni von seinem Polizeireferat einen Strafanzeigenentwurf.

Das Schweigen Seehofers

Diesen und die Strafanzeige wollte er eigentlich am 19. Juni nach einer Innenministerkonferenz mit öffentlichem TamTam der Staatsanwaltschaft zuleiten. Den Entwurf bekam er, aber auch erste Zweifel seiner Polizisten, ob die Kolumne Yaghoobifarahs wirklich strafbar sei. Aus unbekannten Gründen änderte Seehofer sein Vorhaben und kündigte am 22. Juni in der Bild-Zeitung die Strafanzeige an. Ihm gehörten die frühmorgendlichen Schlagzeilen, für die Autor*in begann ein Spießrutenlauf: Drohungen, Beschimpfungen, Gefährdungsanalysen der Landespolizei etc..

Nach einem Gespräch mit der Kanzlerin in den Vormittagsstunden desselben Tages verzögerte Seehofer zunächst die Erstattung der Anzeige, am 23. Juni erreichte ihn eine kritische „grundrechtliche Bewertung“ der Juristen seines Verfassungsreferats, die die Veröffentlichung für straflos hielten. Erst am 28. Juni 2020 wurde bekannt, dass er sein Vorhaben, Strafanzeige zu erstatten, endgültig aufgegeben hat.

Die vorstehend wiedergegebenen Einzelheiten weiß die Öffentlichkeit nur, weil der Tagesspiegel Auskunftsansprüche gegen den Widerstand des Ministeriums durchgesetzt hat.

Seehofer hat seine öffentliche Erklärung, dass sich die Autorin strafbar gemacht hat, nie korrigiert. Ein Unterlassungsbegehren der Autorin gegen Seehofer, sie öffentlich als Straftäterin zu diffamieren, hat er bis heute unbeantwortet gelassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • Wer Herrn Seehofer beobachtet und zuhört muß zu dem Entschluß kommen, daß er einfach alt ist und dazu auch stur.

    Die Art sich zu bewegen, sich mündlich zu äußern verrät uns, daß er eigentlich kein öffentliches Amt mehr ausüben sollte.

    Es ist ja keine Schande alt zu werden, aber man sollte sich dann nicht mehr überfordern und ggf. auf Begleiter hören, die entsprechende Kritik bringen

  • Taz, ihr dreht den Spieß um. Ursächlich war doch eine unterirdische Kolumne, die nachträglich als Satire deklariert wurde. Seehofer hat niemanden kriminalisiert, da es dazu ein entsprechendes Gesetz, eine Anklage und eine Verurteilung geben müsste.

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @resto:

      nein, seehofer ist mit seinem kriminalisierungsversuch nur gescheitert, btw ich fand die kolumne unterhaltsam und treffend, aber um geschmacksurteile geht es ja nicht

  • Das hat system.

    Herr Seehofer tut nur so, als wäre er ein Volltrottel.

    In Wirklichkeit stützt er die Position der Rechtsextremen. Und das als Innenminister -- schauderhaft.

    Spätestens seit Merkels "wir schaffen das" und seiner Reaktion darauf sollte uns das klar sein.

    Der Mann gehört nicht auf diesen Posten.

  • Ihr veröffentlichter Kommentar ist in der Welt. Es ist also nicht nötig, jetzt hier regelmäßig ausufernd darzustellen, wie legal er war. Die, die ihn gutheiheißen, werden das weiterhin tun, die anderen werden wissen, was sie davon zu halten haben.



    Vorschlag, ersetzen Sie mal das Wort Polizist mit einer anderen Personengruppe, z.B. Bayern o.a.. Mal sehen, ob er dann immer noch lediglich zwar die Ablehnung der Bevölkerungsgruppe, nicht aber ein „Anreizen zu einer feindseligen Haltung“ enthält.

  • Die Drohungen und Beschimpfungen wären doch auch ganz ohne Seehofer gekommen. Bekanntermaßen zählt im identitätspolitischen Diskurs immer nur, wie eine Aussage beim Empfänger verstanden bzw. vom Empfänger empfunden wird und nie, wie sie gemeint war. Tja, das funktioniert leider auch in die andere Richtung.

  • Der Artikel von H.Y. war zwar nicht strafbar, für mich aber im höchsten Maße unappetitlich und menschenverachtend.

  • Na Servus,



    ein Bundesinnenminister ist nach Ansicht der taz jetzt also an die Rechtsauffassung eines weisungsgebundenen Staatsanwaltes eines Bundeslandes gebunden. So weit kommts noch.

    Auch ein Innenminister darf eine Rechtsauffassung haben. Auch ein Innenminister darf Strafanzeigen stellen. Hierdurch kriminalisiert er niemanden sondern löst lediglich die rechtliche Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft aus.

    • @DiMa:

      Seehofer hat, nachdem seine Jurist*innen ihm gesagt haben, dass eine Verurteilung wenig wahrscheinlich sei, von einer Strafanzeige abgesehen. Ich sehe nicht, wo dieses Verhalten problematisch oder nicht rechtstaatlich wäre. Eine Gefährdung der Autorin lag darin sicher auch nicht.



      Stellen Sie sich vor, Giffey hätte den sexistischen Beitrag in Tichys Magazin zunächst für strafbar gehalten und dann aber von einer Strafanzeige abgesehen. Hätten Sie dann auch von einer "Gefährdung des Autors" gesprochen?



      Dass Seehofer sich vor Polizist*innen gestellt hat und sie gegen den widerwärtigen Artikel verteidigt hat, ist sicher auch nicht verwerflich. Es wäre verwerflich gewesen, wenn er das nicht getan hätte.

      • @Velofisch:

        Sicher kann sich ein Bundesinnenminister schon mal vor Polizist*innen stellen, aber dazu sollte es dann auch einen hinreichenden Grund geben, sonst ist das doch eher peinlich und überflüssig. Es reicht nicht aus, einen Artikel für strafbar oder widerwärtig zu halten, weil man ihn offensichtlich gar nicht gelesen, geschweige denn wenigstens ansatzweise verstanden hat.

        • @Rainer B.:

          Ich hab im Artikel gelesen "Polizisten auf die Mülldeponie". Hört sich erst mal nach einer Beleidigung an. Als oberster Dienstherr würde ich mich auch schützend vor die Betroffenen stellen und eine Strafanzeige in Erwägung ziehen.

          • 9G
            90564 (Profil gelöscht)
            @DiMa:

            "wir treffen uns auf dem parkplatz", also bin ich ein auto

            • @90564 (Profil gelöscht):

              Treffen Sie sich mit Autos?



              Auf einer Mülldeponie finden sich in der Regel Müll oder Müllmänner. Beides wird umgangssprachlich als beleidigend aufgefasst.

              • @DiMa:

                Nöö - Müllmänner genießen ein hohes Ansehen. Sie werden als „systemrelevant“ eingestuft und Müll ist heute zunehmend etwas, aus dem noch was werden kann.

              • 9G
                90564 (Profil gelöscht)
                @DiMa:

                omg, was ist denn mit der würde der müllwerker? das fehlende text-lese-verständnis kann man nun nicht HY vorwerfen, wie ja auch der deutsche presserat erklärt hat.



                gegen ihr "erst mal" spricht ja auch gar nix, aber nach 5 minuten drüber nachdenken, sollte man da auch selbst drauf kommen, und der seehofer hat ja auch jurist!nnen im haus, die ihm davon abgeraten haben, und aus affekt sollte man als verfassungminister keine bild-zeitungs-interviews geben, sondern ERST MAL nachdenken

                • @90564 (Profil gelöscht):

                  Ja, seitder Äußerung des Presserates wissen wir glücklicherweise, dass man ohne weitere "alle Journalisten auf die Mülldponie" (oder so ähnlich) ohne weiteres schreiben darf, nur ist ein Innenminister an die Erkenntnisse und Einschätzungen eines Presserates ganz sicher nicht gebunden.

  • Wer die Polizeikolumne hier in aller Ruhe aufmerksam gelesen hatte, der wird daran von Anfang an doch auch gar nichts Strafbares entdeckt haben können.

    Ich sach's mal so: Was dieses Land am allerwenigsten gebrauchen kann, ist ein Bundesinnenminister, der medienwirksam Journalisten kriminalisiert, während sich überall erkennbar Rechtsextreme daran gemacht haben, ganze Polizeieinheiten zu unterwandern. Ab dafür - sofort!

  • Na Servus

    Erfahrungsjurist. Damscher Saubazi - dieser Vollhorst hinterfotziger.

    kurz - Höcherl hatte wenigstens nur ab&zu das Grundgesetz nicht unterm Arm.



    Dieser Vollhorst aber - dampfelt unterm Arm nur derb stingat. Gellewelle.



    Normal.

    • @Lowandorder:

      Was ist denn ein Erfahrungsjurist? Und was ist das Gegenteil?

      Noch mehr Fragen eines lesenden Landgasthof-Foristen:

      Hätte es nicht sein können, dass wenn die taz nach Erscheinen der Kolumne den Ball etwas gelassener flach gehalten hätte, die anderen Eierpeller gar keinen Wind von der ganzen Chose bekommen hätten?

      Und es womöglich keine Anzeige und kein gar nichts gegeben hätte?

      • @Jim Hawkins:

        Es ist doch bestens für die TAZ gelaufen. Alles stand gegen sie, sogar die eigenen Mitarbeiter, aber dann fing der Vollhorst mit seinem Anzeigengefasel an und schoss den Elfmeter ins eigene Tor.

      • @Jim Hawkins:

        Cui bono?

        Ich frage mich, wie in Redaktionen, nach welchen Abwägungen Entscheidungen gefällt werden das Kolumnen rausgehen.



        Die Aufmerksamkeit war(ist) ja nun da. Hat sie der taz genützt, sind Beschädigte zurückgeblieben oder ist das so im großen Spiel der Medien.

        • @Ringelnatz1:

          Ich könnte mir denken, dass die Ressortleitungen da weitgehend freie Hand haben.

          Und: Ich könnte mir vorstellen, dass der Hassel dazu geführt haben könnte, dass die taz als seriösere Zeitung, manche würden sagen, als langweiligere Zeitung wahrgenommen wird.

          Beschädigt ist der Autor/die Autorin. Wahrscheinlich nicht der Ruf, aber wenn man ernstzunehmende Drohungen bekommt, ist das nicht funny.

          Meine bescheidene Meinung: Was für ein Aufriss wegen eines kleinen, harmlosen Textes.

          • @Jim Hawkins:

            Short cut - muß an die Tröt.

            Nich funny - ist zu milde.



            Als ich mal meine Visage wg Asyl ins tv hielt - bekam ichs direktemang via GerichtsPost - ausgeschnittene Buchstaben + Anleitung zum Selbstmord. Gaahrp.



            Der innere Krampf ließ erst nach als die hilfreiche Polizei mir versicherte: bekannter Typ rechtsrheinisch retundant - fernie reicht & los!



            Die Stimmung war damals durchaus gut aufgeheizt. In Karlsruhe zB hamse die braune Brühe gleich vorher abgeleitet.

            Nein. Das hier ist journalistisch & Haltungsmäßig - sorry - eine einzige



            Schande & Armutszeugnis di tatzis e taz!



            Da gibt’s gar nichts drumherum zu reden. That’s fact •