Folgen der Klimakonferenz von Glasgow: Was Deutschland besser machen muss

Die Beschlüsse der Klimakonferenz von Glasgow werden auch die künftige Politik in Berlin beeinflussen. Ein Überlick.

Junge Frau mit Atemmaske hat auf die Handfläche der rechten Hand ein Auge gemalt. Auf der Linken steht 1,5

Das 1,5-Grad-Ziel im Auge behalten will die Teilnehmerin einer Fridays-for-Future-Aktion in Glasgow Foto: Alberto Pezzali/ap

Kaum war die 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) zu Ende gegangen, da wurden auch schon die Forderungen für die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP in Berlin laut: Die Beschlüsse müssten „Maßstab für die neue Bundesregierung sein“, hieß es von vielen Umweltorganisationen.

Diese Botschaft scheint bei den Ko­ali­tio­nä­r*in­nen in spe anzukommen. „Aus Glasgow kommt ein Aufbruchssignal“, sagt der FPD-Klimaexperte Lukas Köhler der taz. „Die Welt ist sich einig, wir sind nicht allein bei ehrgeizigem Klimaschutz.“ Wie ehrgeizig dieser in Deutschland ausfällt, ist offen. Allerdings erhöht Glasgow in vielen Fällen den Handlungsdruck – oft indirekt, teilweise aber auch direkt. Ein Überblick:

1. Muss früher kommen: Der Kohleausstieg

Zum ersten Mal hat die Klimakonferenz ausdrücklich gefordert, die CO2-intensive Kohlenutzung global herunterzufahren. Die Anti-Kohle-Al­lianz PPCA wurde größer. 45 Länder und viele Banken erklärten, die Kohlenutzung müsse in den 2030er Jahren für Industriestaaten und in den 2040er Jahren für alle anderen beendet werden.

Damit gerät die Ampel nicht direkt unter Druck. Selbst das alte Ausstiegsdatum 2038 ist von dieser Erklärung noch gedeckt; das Sondierungsergebnis, es „idealerweise“ schon bis 2030 zu schaffen, erst recht. Aber Druck macht die Abschlusserklärung der Konferenz, in der sich alle Staaten verpflichten, ihre bisherigen Pläne so zu verschärfen, dass diese möglichst mit dem 1,5-Grad-Ziel in Einklang stehen. Für Deutschland heißt das nach allen Expertisen: Ende der Kohlenutzung bis spätestens 2030.

Dafür müssen aber die Erneuerbaren viel schneller ausgebaut werden. Doch dazu wurde von der Konferenz kaum etwas festgelegt. „Ein großes Problem“ ist das aus Sicht von SPD-Klimapolitiker Matthias Miersch. „Der Ausbau der Erneuerbaren muss jetzt allergrößte Priorität haben.“ Die rechtlichen Grundlagen müssten so geändert werden, dass Erneuerbare bei Planung und Umsetzung „absoluten Vorrang“ haben, sagte Miersch der taz.

2. Müssen wohl beendet werden: Exportkredite für fossile Projekte

Konkrete Auswirkungen dürfte die Selbstverpflichtung haben, künftig keine fossilen Projekte im Ausland mehr mit öffentlichem Geld zu unterstützen. Diese haben 27 Länder unterschrieben, darunter mit etwas Verspätung auch Deutschland.

Die Selbstverpflichtung gilt erst ab Ende 2022. Sie lässt „begrenzte und klar definierte Ausnahmen zu“. Was das für laufende Anträge wie eine Exportkreditgarantie für das in Russland geplante Flüssiggas­terminal Arctic LNG heißt, lässt das Wirtschaftsministerium offen: „Um sicherzustellen, dass Projekte und die Projektfinanzierung im Einklang mit dem Ziel der Klima­neu­tra­li­tät sind, gilt es im weiteren Nachgang zu COP26 klar definierte Kriterien für bilaterale und multilaterale öffentliche Unterstützung zu definieren, die auch der Rolle von Erdgas als Brückentechnologie gerecht werden.“

Die Organisation Urgewald fordert aber, dass die neue Regierung den Beschluss ernst nimmt und auch keine neuen Gasprojekte mehr fördert. „Die Schlupflöcher, die der Text bietet, sollten keineswegs ausgenutzt werden“, sagt Sprecherin Regine Richter. Das könnte zumindest beim umstrittenen Arctic-LNG-Projekt gelingen: In Verhandlungskreisen wird damit gerechnet, dass es nicht mehr bewilligt wird, weil das Projekt mit dem 1,5-Grad-Ziel nicht vereinbar ist. „Anderenfalls hätte die neue Koalition gleich zu Beginn ihre Glaubwürdigkeit verspielt“, heißt es.

3. Hat immer weniger Freunde: Der Verbrennungsmotor

Keine direkten Auswirkungen hat Glasgow auf die deutsche Verkehrspolitik. Zwar haben dort 30 Staaten und 11 Autokonzerne erklärt, dass ab 2035 in Industriestaaten und ab 2040 im Rest der Welt nur noch „emissionsfreie“ Fahrzeuge zum Einsatz kommen sollen; diese Erklärung hat Deutschland aber nicht unterzeichnet.

Denn die britische Regierung hatte den Text so formuliert, dass alle Verbrennungsmotoren ausgeschlossen sind, auch wenn sie mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, die mittels Ökostrom hergestellt werden. Daran hängen aber die Hoffnungen des noch amtierenden CSU-Verkehrsministers Andreas Scheuer und der demnächst regierenden FDP. Aber in Glasgow wurde deutlich, dass außer Union und FDP nicht viele an synthetische Kraftstoffe im Pkw-Verkehr glauben, weil diese extrem teuer und ineffizient sind. Setzt die EU ihr geplantes „Fit for 55“-Paket durch, ist 2035 ohnehin Schluss mit neu zugelassenen Verbrennungsmotoren. Da kann sich die Ampel also raushalten, auf Brüssel verweisen und sich darum kümmern, für genug Lademöglichkeiten zu sorgen. Das, so heißt es, sei in den Koalitionsgesprächen kein Problem.

4. Werden wichtiger: globaler Emissionshandel und freiwillige Kooperationen

Eine der wichtigsten Regeln, die in Glasgow beschlossen wurden, bezieht sich auf „Artikel 6“ des Paris-Abkommens: Eine Einigung über einen globalen Emissionshandel, bei dem etwa eine deutsche Firma einen Windpark in Afrika baut und sich die CO2-Reduktionen anrechnen lässt. Die FDP ist davon begeistert, aber die EU hat festgelegt, dass zur Erreichung von minus 55 Prozent bis 2030 keine solchen internationalen Deals angerechnet werden dürfen. Wenn die EU und in Folge auch Deutschland allerdings mehr als 55 Prozent versprechen, könnte die Regel Anwendung finden.

Einen großen Einfluss könnte Glasgow auf die künftige Klimapolitik haben, wo es um freiwillige Kooperationen von Staaten mit Unternehmen, Stiftungen, Verbänden oder Regionen und Städten geht. „Es war ein großer Erfolg, dass sich da endlich Initiativen zu konkreten Fortschritten auf den Weg machen, ohne darauf zu warten, dass noch der letzte Bremser mitzieht“, sagt Grünen-Chefin Anna­lena Baer­bock der taz. Denn auch der Export von deutschem Wissen und deutscher Technik bei Erneuerbaren gehöre zu den Maßnahmen, bei denen Deutschland dringend besser werden müsste.

5. Mehr Druck, nachzuziehen: Regeln für Finanzmärkte

Für einiges Aufsehen sorgte am Rand des Glasgower Gipfels die Ankündigung der britischen Regierung, London zum klimaneutralen Finanzplatz zu machen: Alle an der dortigen Börse gehandelten Unternehmen brauchen demnächst einen Plan, wie sie ihre Emissionen bis 2030 deutlich reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität erreichen wollen, hatte der britische Finanzminister Rishi Sunak gesagt.

Zwar ist diese Ankündigung weniger konkret, als sie klingt. Trotzdem dürfte dadurch der Druck steigen, in Deutschland und der EU schärfere Regeln einzuführen. Das Finanzministerium sagt zwar, Deutschland tue derzeit schon „eine Menge, um Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit im Finanzmarkt zu werden“. Aus Regierungskreisen heißt es auch, die europäischen Transparenzpflichten seien teils ambitionierter als die auf der COP26 vorgestellten britischen Pläne. Allerdings ist die EU-Richtlinie, in der diese geregelt werden sollen, bisher noch nicht beschlossen.

6. Erhöhen den Druck im Kessel: Zeitpläne und Subventionsabbau

In Glasgow wurde beschlossen, dass die UN-Staaten ihre Klimaziele künftig jährlich überprüfen und verschärfen sollen. Das hieße: Auch die EU muss ihr „Fit for 55“-Paket neu ausrichten – und deshalb auch Deutschland. Das wird vermutlich nicht im Koalitionsvertrag stehen. Aber im nächsten Jahr ein heißes Thema werden.

In der Abschlusserklärung von Glasgow verpflichten sich die Staaten, „ineffiziente“ Subventionen für fossile Brennstoffe zu kürzen – wie es die G7-Staaten schon seit 2009 erfolglos versprochen haben. Das ist eine Aufforderung an die neue Bundesregierung, beim umweltschädlichen Einsatz von Steuergeld umzusteuern. Gerade bei knappen Kassen wäre einiges zu holen: Das Umweltbundesamt taxierte diese Summe für Deutschland gerade auf mindestens 65,4 Milliarden Euro jährlich.

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