Flüchtlingsunterkünfte in Quarantäne: „Sie fühlen sich abgeschnitten“
In einer Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg wurde die Hälfte der Insassen positiv auf Corona getestet. Es ist eine Katastrophe mit Ansage.
Ellwangen, eine Unterkunft, die wegen eines Polizeieinsatzes schon bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat, zeigt besonders deutlich, dass die Flüchtlingsunterkünfte ideale Bedingungen für die Verbreitung des Virus bieten, schließlich leben hier bis zu sechs Menschen in einem Zimmer mit Gemeinschaftsduschen und Toiletten. Es war eine Entwicklung mit Ansage.
Dabei räumt selbst Sean McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg ein, die Maßnahmen, die das Land zu Beginn der Pandemie ergriffen habe, „seien gar nicht so schlecht gewesen“.
Routinemäßig werden alle ankommenden Geflüchteten in der zentralen Aufnahmestelle getestet und in den Heimen zwei Wochen unter Quarantäne gestellt. Außerdem habe das Innenministerium in den letzten Wochen zum Teil gegen das Murren von Landräten und Bürgermeistern vermehrt Geflüchtete aus den vier Landeserstaufnahmestellen ausquartiert und dezentral untergebracht und so die Lage in den LEAs entzerrt.
Chaotische Zustände
Nach ersten Corona-Fällen in Ellwangen war das Gelände der ehemaligen Reinhard-Kaserne bereits seit dem 5. April unter Quarantäne gestellt worden. Das Land hatte dazu ein Freizeitheim im benachbarten Rems-Murr-Kreis angemietet und für die Unterkunft von bis zu 60 Infizierten Flüchtlingen vorgesehen.
„Aber die Maßnahmen zum Schutz der Flüchtlinge gingen offenbar nicht weit genug“, sagt McGinley. Der Flüchtlingsrat hatte gefordert, Geflüchtete in derzeit ohnehin geschlossenen Pensionen unterzubringen.
Das geschah nicht und die Planungen des Regierungspräsidiums wurden vom Virus eingeholt. In der Vergangenen Woche waren alle 500 Geflüchteten auf Corona getestet worden, am Osterwochenende lag dann das erschütternde Ergebnis vor.
Deshalb wurde am Wochenende bereits versucht auf dem Gelände Quarantäne-Bereiche zu schaffen, um die 251 positiv getesteten Insassen so gut es geht zu isolieren. Nach Berichten der Geflüchteteninitiative Refugees4Refugees sei diese Aktion zum Teil chaotisch verlaufen. So seien einzelne Gebäudeblocks zu Quarantänestationen erklärt worden. Die Bewohner dieser Blocks hätten aber oft nur per Zufall vom Sicherheitspersonal erfahren, dass sie unter Quarantäne stehen und nicht mehr in der Kantine essen dürfen, obwohl sie ihr Testergebnis noch gar nicht kannten.
Gerüchte machen sich breit
Insgesamt seien die positiv Getesteten zunächst nur schleppend und mündlich und oft auch unzuverlässig über ihre Krankheit informiert worden. Ein Erkrankter sei beispielsweise negativ getestet worden, aber dennoch wieder im Quarantäne-Gebäude untergebracht worden.
„Das schürt das Misstrauen unter den Bewohnern der LEA“, sagt Rex Osa von Refugees4Refugees. Vor allem bei den traumatisierten Geflüchteten gebe es Vorstellungen, dass die Behörden es gern in Kauf nähmen, dass sich die Insassen infizieren. „Die wollen, dass wir krank werden“, sagten manche.
Besonders seit die Infizierten nicht mehr in den Bereich des Geländes gelangen können, wo ein stabiles WLAN erreichbar ist, wucherten die Gerüchte. „Sie fühlen sich abgeschnitten“, sagt Osa, der persönliche Kontakte in die LEA per Telefon pflegt. Am Freitag protestierte eine Abordnung der Geflüchteten bei der Heimleitung über die unstrukturierten Maßnahmen.
Immerhin, nach Angaben des Regierungspräsidiums, wurden nach den Feiertagen alle betroffenen Heimbewohner schriftlich und in mehreren Sprachen darüber informiert, wie ihr Testergebnis ausgefallen ist. Die WLAN-Abdeckung sei inzwischen auch im Quarantänebereich gesichert. Nur die dezentrale Unterbringung ist aufgrund der schieren Zahl an Krankheitsfällen nicht möglich. In das dafür vorgesehene Freizeitheim sind bislang nur vier Erwachsene und fünf Kinder eingezogen
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