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Flüchtlingsanwältin über Bamf-Chef„Herr Sommer sollte zurücktreten“

Anwältin Berenice Böhlo kritisiert die Forderung des Bamf-Chefs, das Recht auf Asyl durch Aufnahmeprogramme zu ersetzen. Sie sieht eine Kampagne dahinter.

Schutz nur als Gnadenakt? Eine der wenigen Afghaninnen, die über das Bundesaufnahmeprogramm gerettet wurden am Flughafen Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Frederik Eikmanns
Interview von Frederik Eikmanns

taz: Frau Böhlo, der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhard Sommer, schlägt vor, das individuelle Asylrecht durch humanitäre Aufnahmeprogramme zu ersetzen. Wo ist das Problem?

Berenice Böhlo: Was Herr Sommer gesagt hat, ist ein Frontalangriff auf das individuelle Asylrecht. Dabei ist er Chef der Behörde, die dieses Recht umsetzt. Er sollte zurücktreten.

taz: Nur wegen dieser einen Aussage?

Im Interview: Berenice Böhlo

ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Asylrecht und sitzt im Vorstand des Republikanischen Anwältevereins (RAV).

Böhlo: Mit seinen Aussagen rüttelt Herr Sommer am Refoulement-Verbot, laut dem niemand zurückgeschickt werden darf, wenn Folter oder Menschenrechtsverletzungen drohen. Genau das würde passieren, wenn man seine Aussagen umsetzt. Es geht dabei auch um die Grundlagen einer Demokratie, der Flüchtlingsschutz ist eine unmittelbare Konsequenz aus dem Nationalsozialismus.

taz: Würden Geflüchtete nicht stattdessen über die Aufnahmeprogramme Schutz finden, die Herr Sommer vorschlägt?

Böhlo: Das Asylrecht steht potenziell jedem und jeder zu. Es wird nach berechenbaren Kriterien vergeben und ist notfalls einklagbar. Aufnahmeprogramme sind dagegen eine Art Gnadenakt. Man bewirbt sich, wird vielleicht ausgewählt – oder auch nicht. Es gibt keinen Rechtsweg, keine klaren Kriterien, alles liegt im Ermessen der Behörden. Das ist das Gegenteil von verlässlichem Schutz.

taz: Auf das Wort der Bundesregierung wäre kein Verlass?

Böhlo: Die Erfahrung mit Aufnahmeprogrammen zeigt, wie unsicher solcher Schutz ist. Die Ampelkoalition wollte Tausende Af­gha­nen*­in­nen evakuieren, die von den Taliban bedroht sind. Doch nur wenige wurden wirklich eingeflogen. Und selbst gegen diese vereinzelten Evakuierungsflüge wetterten Uni­ons­po­li­ti­ke­r*in­nen zuletzt.

taz: Dabei sind es ja gerade CDU-Politiker wie Thorsten Frei, die Aufnahmeprogramme immer wieder ins Gespräch bringen. Sie argumentieren, das Asylsystem bevorzuge junge Männer, die die Kraft haben, sich nach Europa durchzuschlagen.

Böhlo: Ich halte das für ein vorgeschobenes Argument. Nichts hindert die Union daran, in der kommenden Bundesregierung Aufnahmeprogramme zusätzlich zum Asylrecht umzusetzen. Herr Frei kann sich gern dafür einsetzen, gezielt Frauen aus Konfliktgebieten zu holen. Außerdem gehören junge Männer oft zu den gefährdetsten Gruppen: Sie riskieren Wehrdienst, Folter oder Tod.

taz: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Sommers Äußerungen, den jüngsten Ideen der Union, Flüchtlinge zurückzuweisen und den Koalitionsverhandlungen mit der SPD?

Böhlo: Da läuft eine Kampagne, das bestehende Asylsystem abzuschaffen und Deutschland abzuschotten. Humanitäre Aufnahmeprogramme sollen rechtfertigen, Geflüchtete an den Grenzen abzuweisen. Das hieße, die Genfer Flüchtlingskonvention und das Asylrecht über Bord zu werfen.

taz: Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die Aufnahme von Geflüchteten einschränken will. Muss sich nicht wirklich etwas ändern?

Böhlo: Dass es Fragen und Sorgen in der Bevölkerung gibt, muss man anerkennen. Es braucht eine ehrliche Analyse der Fakten. Doch was gerade passiert, ist das Gegenteil. Emotionen und Ängste werden ausgenutzt und geschürt, um restriktive Politik ­durchzusetzen. So sensible Fragen darf man nicht an aktuellen Umfragen oder temporären Mehrheiten auszurichten. Da müssen wir uns gegen stemmen.

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22 Kommentare

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  • Was nicht gesagt wird ist, dass Migranten überhaupt nur deshalb deutsche Grenzen übertreten können, weil sie zuvor in einem anderen EU-Land waren, dort aber in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht registriert, sondern freundlich in Richtung Bundesrepublik durchgewunken wurden.

    Diese seit vielen Jahren eingerissene Praxis stellt nicht nur einen klareren Verstoß gegen europäisches Recht und die Dublin-Verordnung dar. Sie hat – neben großzügigen Sozialleistungen – auch dazu beigetragen, dass Deutschland mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufweist und nun nach Jahren eines ungebremsten Zustroms die Folgen seiner sozialen, politischen und gesellschaftlichen Überforderung tragen muss. Wenn bei den Wahlen inzwischen fast ein Drittel für eine gesichert rechtsextremistische Partei stimmt, ist das nicht nur ein Alarmzeichen, sondern eine konkrete Gefährdung unserer Demokratie.

    Die EU hat mit dem Schengen-Abkommen zwar grenzenlose Reisefreiheit geschaffen, aber auch Möglichkeiten zu ihrer Einschränkung hinzugefügt, etwa wenn ein Staat überfordert oder in seiner inneren Sicherheit gefährdet ist. An diesem Punkt sind wir jetzt.

    Das Asylrecht ist ein hohes Gut. Wir haben es kaputt gemacht.

  • Der Präsident des Umweltbundesamtes hatte vor nicht allzu langer Zeit Gesetzesänderungen einschließlich Änderungen des Grundgesetzes ("Schuldenbremse") gefordert, damit u.a. Klimaziele erreicht werden können.

    Zitat: "Manchmal ärgere ich mich, wenn wir nicht durchdringen, das können Sie sich vorstellen. Andererseits braucht man Frustrationstoleranz und Zuversicht, wenn man solch tiefgreifende Veränderungen anregen will."

    Wurde ihm auch der Rücktritt nahegelegt?

  • "Dass es Fragen und Sorgen in der Bevölkerung gibt, muss man anerkennen. Es braucht eine ehrliche Analyse der Fakten. Doch was gerade passiert, ist das Gegenteil. Emotionen und Ängste werden ausgenutzt und geschürt, um restriktive Politik ­durchzusetzen. So sensible Fragen darf man nicht an aktuellen Umfragen oder temporären Mehrheiten auszurichten. Da müssen wir uns gegen stemmen." → Interessant, wie es Frau Böhlo schafft sich innerhalb einer Antwort selbst zu widersprechen. So fordert sie ein faktenbasierte Analyse und Diskussion, beklagt dann die (angebliche) Argumentation mit Emotionen und Ängsten, nur am Ende frei von jedweden Fakten auf rein emotionaler Basis zu argumentieren.

    Frau Böhlo ist scheinbar die Königin der Doppelmoral.

  • Mit der ersten Antwort ist alles gesagt , der Leiter der Behörde hat seine Kompetenzen überschritten und muss entlassen werden oder zurücktreten (was er wohl nicht tun wird, da er ja scheinbar in einer anderen Welt lebt).

    • @Andreas Braun:

      Behördenleiter dürfen öffentlich keine Verbesserungsvorschläge zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen ihre Behörde arbeitet, in einen Diskurs einbringen?

      Sie leben offensichtlich in einem anderen politischen System als ich.

      Ich lebe in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat.

      Und Sie?

    • @Andreas Braun:

      Hat seine Kompetenzen überschritten?

      Herr Sommer hat seinen Job gemacht. War so mutig auf die extremen Missstände hinzuweisen, obwohl er wusste, dass er damit auf Widerstände stößt. Natürlich bei der SPD und grade bei dieser Partei, die sich selber als Migrantenpartei bezeichnet und daher auf künftige Wählerstimmen spechtet.

      "Die SPD ist eindeutig die Partei der Migranten“, so Özoguz.

      Klarer Fall: Bundesverdienstkreuz.

      www.welt.de/politi...ranten-werden.html

  • Bla,bla,bla....Was regt ihr euch auf und fordert einen Rücktritt?



    Das war ein Vorschlag! Der in einer Demokratie völlig normal sein sollte oder was verstehen hier einige nicht an der Demokratie? Diktatur kenne ich selber von früher aus der DDR !

  • Herr Sommer ist Chef des Bamf und kennt sich bestens in Asylfragen aus. Er weiß aus erster Hand wie es derzeit läuft. Nur weil seine Aussage einem nicht passt ist diese nicht gleich falsch. Natürlich können seine Kritiker Rücktrittsforderungen stellen, das ist ja schon üblich.

  • Die Volkswirtschaft lehrt über Preiselastizität, wenn man viel von einem Gut kaufen will, wird der Stückpreis höher.



    Wenn der deutsche Staat jeden Asylanten aufnehmen muss, wird auch die Aufnahme pro Person in jedem Jahr teurer. Unterkünfte gibt es nicht für lau. Das Grundrecht auf Menschenwürde wird in Deutschland sehr wohlstandsbasiert verstanden. Der Staat ist absolut verpflichtet, würdige Unterkünfte zu liefern. Da fällt es nicht schwer zu errechnen, wann das Geld ausgeht.



    Der Vorschlag des Herrn Sommer beseitigt nicht das Problem: wer erst einmal hier ist, bleibt! Er kann nur mit sehr unfreundlichen Mitteln ausgeschafft werden, die auch sehr teuer sind und vor den Hohen Gerichten eher selten Bestand haben. On Top kommen langsame Bürokratie und langsame Gerichte.



    Also: alles nur Theaterdonner, um unzufriedene Bürger etwas zu beruhigen. Es kommen und bleiben trotzdem nicht weniger Ausländer.



    Die Kosten werden werden nochmals weiter steigen. Und damit auch der Verdruss. Vielleicht sollten die Asyl-Lobbyisten sich Gedanken machen, wie man Kosten und Mühen des Asyl-Themas vermindern kann. Sonst kommen schlimmere Leute als Herr Sommer.

  • Ach was zurücktreten. Entlassen, fertig.



    Oder was hat die Noch-Innenministerin zu verlieren?

    • @Encantado:

      Kann es sein, dass Sie den falschen Artikel kommentieren? Von Frau Faeser steht nichts im Artikel und sie vertritt auch nicht die kritisierte Meinung ...

      • @Christian Lange:

        Ich habe spontan angenommen, der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland (in diesem Fall noch Frau Faeser) sei der Dienstherr des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Korrigieren Sie mich wenn ich mich irre.

  • Klar das Frau Berenice Böhlo das so sieht, da bricht ja Ihre Einkommensquelle weg! Frei nach dem Motto jeder ist sich selbst der nächste!

  • Die Stoßrichtung der CDU ist offenbar eindeutig Brüssel, der einzige Ort an dem das Flüchtlingsrecht wirksam ausgehebelt werden könnte. Gerade das versetzt nicht nur meine Mandanten aus Syrien und Westafrika, sondern auch mich persönlich in Panik und große Angst. Wer sagt mir denn, dass die AfD hier nicht bald 40% bekommen könnte, und ich als linker Homosexueller aus der "Asylindustrie" dann in Frankreich oder Belgien Flüchtlingsstatus brauche? Sicher ist momentan gar nichts mehr.

    • @hedele:

      Niemand sagt Ihnen, dass die AfD nicht bald 40 oder mehr Prozent erreicht.

      Ich halte es sogar für ausgesprochen wahrscheinlich, wenn nicht bald ein funktionales Asylsystem etabliert wird.

      In Frankreich oder Belgien werden Sie als EU-Bürger eher keinen Flüchtlingsstatus bekommen.

      Aber sind Sie sich sicher, dass Sie nach Frankreich noch hinwollen, wenn dort der RN regiert?

  • Ein Interview mit Sommer wäre spannend gewesen.

    Der Mann wird eine gewisse Fachexpertise haben.

    • @rero:

      Im Gegensatz zu wem? Die Argumente von Böhlo sind nicht von der Hand zu weisen. Zu Sommer (CSU, war mal Stoibers Büroleiter) gab es 2018 einem Artikel in der Süddeutschen. Titel: "Ein Mann, wie er der CSU gefällt". - Ja, seine "fachliche Expertise" wurde dort auch u.a. erwähnt, aber ...

      • @Christian Lange:

        Wenn ich wissen will, was Sommer genau meint und warum er es meint, nützt mir Böhlo gar nichts.

        Das kommt in dem Interview auch gut zum Ausdruck.

        Sommer kann falsch liegen.

        Aber dieses Interview hier hilft mir kein Stück weiter, Sommer zu verstehen.

      • @Christian Lange:

        Genauso wenig sind auch die Argumente von Herrn Sommer von der Hand zu weisen.

    • @rero:

      Laut Wikipedia kurz zusammengefasst, Jurist, Verwaltungsrechter und CSU-Politiker. War Büroleiter bei Stoiber und ist Kassenprüfer des Vereins CSU e.V..



      Der hat also maximale Parteiexpertise, wer in diesem Biotop groß geworden ist, von dem ist nichts sachlich-fachliches zu erwarten. Er hat den Posten ja auch nur bekommen, weil seine parteilose Vorgängerin wegen letztlich unbegründeten Vorwürfe vom CSU Innenminister Seehofer entlassen wurde.



      Also kein harmloser Behördenleiter mit Expertise sondern ein Behördenleiter aus der rechten Ecke der Union.

      • @Axel Schäfer:

        Parteimitgliedschaft schliesst also fachliche Expertise aus?

  • "Dass ein Präsident einer deutschen Bundesbehörde geltendes deutsches Recht und das Völkerrecht infrage stellt, ist für einen Rechtsstaat nicht tragbar"



    "Wer als Behördenchef die Kernaufgabe seines eigenen Amtes, individuelle Asylprüfungen vorzunehmen, für unzeitgemäß, überflüssig oder gar falsch hält, sollte von seinem Posten zurücktreten"



    Also das Recht kann man ja ändern, es werden doch ständig Gesetze geändert. Und dies geschieht nicht von selbst, sondern weil jemand Vorschläge unterbreitet und eine Mehrheit sich dafür findet.

    Die Frage ist, darf der Chef einer Bundesbehörde Reformvorschläge in seinem eigenen Bereich machen oder nicht? Wie ist das bei z.B.: der Gesundheitsbehörde? Wenn der dortige Chef Reformvorschläge unterbreiten würde, gäbe es dann ebenfalls solch einen Aufschrei? Wenn nicht, dann haben wir hier ein doppeltes Maß - also Ideologie.