Flüchtlinge in Rostock: Ein Linker kuscht vor Neonazis
Nach Protesten und Pöbeleien von rechts zieht der Sozialsenator die Einrichtung einer Asylunterkunft zurück.
Die 70 Flüchtlinge, die in diesem Jahr aus ihren Sammelunterkünften in ein Haus mit Wohnungen für Großfamilien in den Stadtteil umziehen sollten, hätten all dies sicher zu schätzen gewusst. Doch dazu wird es erst einmal nicht kommen.
Denn der Rostocker Sozialsenator, Steffen Bockhahn (Linke), hat eine lange geplante Unterkunft mit abgeschlossenen Wohneinheiten für bis zu 70 Personen bis auf Weiteres gestoppt. Bockhahn bezieht sich auf Sicherheitsbedenken der Polizei und des Landes-Innenministeriums von Mecklenburg-Vorpommern.
In den letzten Wochen waren rechte Gruppen mehrfach vor einem im gleichen Stadtteil gelegenen Begegnungszentrum für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge und deutsche Jugendliche aufgetaucht. Die 15 minderjährigen Flüchtlinge, die zusammen mit deutschen Jugendlichen gegenüber dem Zentrum in betreuten Wohngemeinschaften wohnten, wurden denn auch schon in der Vorwoche auf andere WGs in Rostock verteilt.
Kritik von Träger und Ortsbeirat
Ausgerechnet ein linker Senator kuscht also gegenüber dem rechten Mob, der gegen Flüchtlinge pöbelt? Und das mitten in einem Landtagswahlkampf, in dem die Alternative für Deutschland mit dem Ziel antritt, stärkste Kraft in Mecklenburg-Vorpommern zu werden?
Bockhahns jüngste Entscheidung hat denn auch Unverständnis hervorgerufen. Etwa beim Trägerverein, der die Familien beherbergen wollte. „Da hätte man nicht zurückweichen dürfen“, sagt Wolfgang Richter. Er war 1992 Ausländerbeauftragter der Stadt und half die Bewohner des brennenden Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen zu evakuieren.
Verstimmung auch beim Ortsbeirat von Groß Klein, der im vergangen Jahr einstimmig für die Familienunterkunft gestimmt hatte, „Die Stadt knickt ein“, so Vorsitzender Uwe Michaelis.
In Bockhahns Partei ist man ebenfalls enttäuscht. Hikmat Al-Sabty, migrationspolitischer Sprecher der Linken, kämpft für ein Direktmandat in Groß Klein. „Das Zeichen ist: Wer lange genug dasteht und pöbelt, bekommt am Ende, was er will. Beschämend.“ Al-Sabty kritisiert allerdings nur Bockhahns Rückzieher beim geplanten Familienzentrum. Die Entscheidung, die Jugendlichen umzusiedeln, sei richtig gewesen.
Rechte zeigen Präsenz
Tatsächlich hatte sich die Situation in der Rostocker Plattenbausiedlung (Ausländeranteil 6 Prozent) zugespitzt. Stramme Neonazis machten über Wochen gegen das Begegnungszentrum in Groß Klein mobil. 40 Anhänger kamen im Juni zu einer Kundgebung. Erst vor zwei Wochen tauchten die Rechtsextremen dann vermummt vor einer Sitzung des Ortsbeirats auf, riefen dort dumpfe Parolen.
Zuvor schon wurden in einem Einkaufszentrum Flugblätter verteilt. Man sei eine „neue Generation“, stand dort, wolle „einen Funken entzünden“. „Macht euch auf einen spannenden Sommer gefasst.“
Steuerte Groß Klein auf ein zweites Lichtenhagen zu? 1992 kam es in der Plattenbausiedlung – von Groß Klein nur durch eine Brücke getrennt – zu pogromartigen Szenen. Nein, widerspricht Richter. „Das war eine völlig andere Dimension. Die zivilgesellschaftliche Atmosphäre in Rostock ist heute eine andere.“ Er warne vor naheliegenden Parallelen.
Solche ziehen aber die Rechten. Mit einem Transparent – „Unser Kiez, unsere Regeln“ – ließ sich kürzlich ein Dutzend Mitglieder just vor dem Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen ablichten – dort, wo 1992 die Brandsätze flogen.
„Kindeswohl gefährdet“
Dass ihnen die Stadt mit ihrer Entscheidung Vorschub leistet, ist Bockhahn schmerzlich bewusst. Er sieht sich jedoch eher als Getriebener von Innenminister Lorenz Caffier (CDU). Den Vorwurf, Druck auf die Stadt Rostock ausgeübt zu haben, weist das mecklenburg-vorpommersche Landesinnenministerium zurück.
Es habe zwar „der Stadt Rostock geraten, die unbegleiteten minderjährigen Ausländer aus der Einrichtung in Groß Klein zu nehmen, weil Auseinandersetzungen die Sicherheit der Kinder, mithin das Kindeswohl gefährden könnten“, sagte Ministeriumssprecher Michael Teich. Das sei jedoch auf der Grundlage einer von der Rostocker Sozialbehörde erbetenen Gefährdungsanalyse der Polizei geschehen.
„Die Versorgung und Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge fällt natürlich in den Verantwortungsbereich des dortigen Rostocker Sozialsenators“, betonte Teich. Die letztendliche Entscheidung habe daher Senator Bockhahn ganz selbstständig getroffen.
Schon früh Bedenken
Wie es heißt, soll die Polizeiinspektion Rostock bereits im Herbst vergangenen Jahres in einer Bewertung der Gefährdungslage zu dem Schluss gekommen sein, dass das Viertel nicht für die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft geeignet erscheint. Trotzdem habe die Stadt an ihren Plänen festgehalten. Tatsächlich hätte es von der Polizeiinspektion Rostock „von Anfang an Bedenken“ gegen die Standortwahl gegeben, „die das Innenministerium auch teilte“, bestätigt Ministeriumssprecher Teich.
Ob und wann die Familienunterkunft eröffnet wird, ist derzeit ungewiss. Das Thema sei nicht vom Tisch, meint Richter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren