Fleisch ohne Tier: Hier geht’s um die Wurst
Die niedersächsische CDU will, dass nur Wurst heißen darf, wo auch Tier drin ist. Verbraucher könnten versehentlich vegetarische Produkte kaufen
„Der Verbraucher wird getäuscht“, sagt Frank Oesterhelweg (CDU). Das Wort „Veggie“ vor dem Schnitzel reiche nicht, um Fehlkäufe zu verhindern. Laut der Verbraucherzentrale Niedersachsen greifen rund vier Prozent der Konsumenten versehentlich zu vegetarischen Ersatzprodukten, weil sie diese für Fleisch gehalten haben. Das geht aus einer Befragung von rund 1.000 Verbrauchern hervor.
„Ich bin selbst schon über Veggie-Geflügelsalat gestolpert, den es ja per Definition gar nicht geben kann“, sagt Oesterhelweg, der selbst schon einmal „vegetarischen Aufstrich mit Wurstgeschmack“, wie er die Veggie-Leberwurst nennt, probiert hat und lecker fand. „Ich habe mit den Produkten kein Problem, aber hier geht es darum, Verbraucher zu schützen.“
Kein Aufstand wegen Mäusespeck
Laut dem Vegetarierbund ernähren sich in Deutschland rund 7,8 Millionen Menschen vegetarisch und rund eine Million Menschen vegan.
Weltweit sollen es eine Milliarde Menschen sein, die auf Fleisch oder grundsätzlich auf tierische Produkte verzichten.
Konzerne verdienen mit Fleischalternativen wie der Veggie-Wurst immer mehr Geld. Seit 2008 verzeichnen sie ein jährliches Umsatzplus von 30 Prozent.
Im Jahr 2014 lag der gesamte Jahresumsatz bei rund 100 Millionen Euro. Laut dem Marktforschungsinstitut Nielsen waren es 2015 über 150 Millionen Euro.
Die Fleischersatzprodukte werden auf der Basis unterschiedlicher Pflanzen hergestellt. Am häufigsten ist Soja. In Deutschland boomt der Anbau der Hülsenfrucht – zwischen 2012 und 2015 hat sich die Anbaufläche verdoppelt.
Doch auch Seitan, Lupinensamen und Quorn eignen sich für Veggie-Produkte.
SPD und Grüne halten das für Unsinn. Das Verwechslungsrisiko sei gering, sagt die Grünen-Abgeordnete Miriam Staudte. „In Mäusespeck sind weder Mäuse noch Speck verarbeitet.“ Da mache die CDU auch keinen Aufstand wegen irreführender Bezeichnungen.
Wenn ein Veggie-Produkt „Schnitzel“ hieße, wisse der Verbraucher vielmehr, was er für einen Geschmack, welche Konsistenz er erwarten könne und dass das Produkt gebraten werden solle.
Verbraucher könnten sehr wohl erkennen, dass die Begriffe „Veggie“ oder „vegetarisch“ dafür stünden, dass in der Wurst kein Fleisch enthalten sei, meint auch der SPD-Abgeordnete Ronald Schminke. Und falls es doch zu Fehlkäufen komme, „sterben werden sie daran auch nicht“. Der Vorschlag der CDU sei falsch verstandene Loyalität gegenüber der Fleischindustrie, sagt Schminke.
Denn sogar klassische Fleischproduzenten wie das Unternehmen Rügenwalder Mühle halten nichts von dem Vorschlag der CDU. „Wir sind dafür, Fleischbegriffe für vegetarische Alternativen eindeutig zuzulassen“, sagt der Geschäftsführer des Unternehmens aus dem niedersächsischen Bad Zwischenahn, Godo Röben. Rügenwalder produziert auch vegetarische Alternativprodukte wie Bratwürste oder Hack und benennt diese auch so.
Namen nur zur Orientierung
Die Begriffe seien Orientierung für Konsumenten. „Ähnlich wie bei alkoholfreiem Bier“, sagt Röben. „Da kann sich auch jeder etwas drunter vorstellen, obwohl eines der zentralen Merkmale, der Alkohol, fehlt.“
Auch der Vegetarierbund (Vebu) sieht Alternativbegriffe wie „Bratstück“ kritisch. „Das hätte Verwirrung auf Seiten der Kunden zur Folge“, sagt Vebu-Sprecher Till Strecker. Das sei „genau das Gegenteil von dem, was die CDU eigentlich erreichen will“.
SPD und Grüne haben in die Landtagssitzung einen Änderungsantrag eingebracht. Sie wollen weiterhin „Schnitzel“ oder „Wurst“ auf Veggie-Produkten stehen haben, sich stattdessen aber auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die Begriffe „vegetarisch“ und „vegan“ eindeutig definiert werden. Dann könnte beispielsweise ausgeschlossen werden, dass Apfelsaft, der mit Gelatine gefiltert worden ist, als vegan gelte – eine Forderung die auch die CDU sinnvoll findet.
Parallel zu der Debatte in Niedersachsen entscheiden heute auch die Richter des Europäischen Gerichtshofs über die Klage eines Verbandes namens Sozialer Wettbewerb aus Berlin gegen die Firma Tofutown. Die verkauft Produkte wie „Veggie-Cheese“ und „Soyatoo-Tofu-Butter“. Die Frage ist nun, ob so in der EU nur Milchprodukte heißen dürfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung