Fisch für Fortgeschrittene: Karpfen ist okay, wirklich!
Modrig und fett ist sein Image. Doch die Ökobilanz dieses Speisefischs fällt gut aus, und sein herber Geschmack lässt sich leicht beheben.
Rot, Gelb, Grün leuchten gleichzeitig, wenn die Sonne tief hängt – und Sie drücken vor der Ampel zögerlich die Bremse.
Alle Farben gleichzeitig sehen Sie auch, wenn Sie nachhaltig Fisch essen wollen. Dann schlagen Sie den WWF-Fischratgeber auf und sehen: mal Rot (Aal, Hai, Kaiserbarsch), mal Gelb-Rot (Flunder, Hummer, Pangasius). Meist aber leuchten gleich drei Ampelfarben, etwa beim Pazifiklachs. Schleppgeangelter Buckellachs aus Kanada: Grün. Wildfang aus Kanada: Gelb. Königslachs aus pelagischen Kiemennetzen: Rot – geht gar nicht.
Wenn Sie schwierigen Verkehrssituationen beim Einkauf lieber ausweichen, bleibt nur ein Fisch im grünen Bereich. Der Karpfen. Hmpf.
„Ungenießbar!“ Georg Rittmayer hört das vor allem von älteren Leuten. Diese Einschätzung gehe auf Nachkriegserinnerungen zurück, sagt der Wirt, der seine Fische an andere verkauft, vor allem aber in seiner fränkischen Wirtschaft serviert: „Der Karpfen kommt mit recht wenig Sauerstoff zurecht, deswegen waren die Dorfweiher mit Karpfen besetzt. In die Weiher liefen aber auch die Abwässer rein, verfaulende Blätter schwimmen drin, und Sie wissen es selbst, wenn Sie Ihre Hand in einen grünen Gartenteich halten und dran riechen: Das stinkt!“
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Lange galt der Karpfen in Deutschland als Brotfisch – als einer, mit dem Angler verlässlich ihr täglich Brot verdienen konnten –, neben der Regenbogenforelle war er bis vor 200 Jahren gar der einzige kultivierte Fisch hierzulande. „Deutschland ist immerhin das Hauptland für den Karpfen geblieben“, hieß es 1884 etwa in der Allgemeine Fischerei-Zeitung. Und das trotz seiner Verbreitung bis nach Nordamerika, wo der Karpfen zunächst verabscheut worden sei: „Eine Lady sagte: Der Lederkarpfen verdiene den Namen, denn er schmecke wie Leder.“
Der Karpfen schlürft in Schlick und Schlamm. Daher rührt bis heute sein mieser Ruf: Konsistenz fettig, Geschmack modrig. Eine telefonische Schnellumfrage bei Fischhandel, Teichwirtschaft und Forschung ergibt jedoch ein widersprüchliches Bild, die Aussagen erinnern an eine Debatte bei „Hart, aber fair“. Ein Händler sagt, jeder Karpfen gründle ein wenig, gerade das mache ihn zur Delikatesse. Ein Fischereiwissenschaftler widerspricht: Heute würden allenfalls Karpfen möseln, die im Sommer geangelt werden, wenn es am meisten Blaualgen gibt. Nicht die aus der Zucht, die ab September abgefischt und in Frischwasserbecken verlegt werden, bevor ihr Leben endet. Überhaupt würden manche Menschen den Moder womöglich gar nicht schmecken. Laut manchem Hobbyangler wiederum haben nur sehr alte und dicke Fische einen erdigen Gusto. Karpfenwirt Rittmayer sagt: „Bei uns boomt der Karpfen.“
Auch wenn der Modergeschmack nicht die Regel zu sein scheint – er scheidet die Geister. Zwei Stoffe verursachen ihn: Geosmin und 2-Methylisoborneol (MIB). Blaualgen und andere Bakterienarten sondern jene Stoffe ins Wasser ab, so landen sie in den Fischen und vor allem in ihrem Fettgewebe. In Frischwasser brauchen Fische zwei Tage bis zu einem Monat, um die Stoffe auf natürliche Weise wieder zu verlieren. Die Wissenschaft hat derweil keine effektiven Methoden – Oxidation? Aktivkohlefilter? – gefunden, die Stoffe anders zu beseitigen. Gesundheitlich sind sie übrigens unbedenklich. Wenn’s nicht um Essen geht, genießen Sie Geosmin im richtigen Moment vielleicht sogar: Es sorgt mit für den Duft von frischem Regen.
Wo der Karpfen wohnt, geht es Vögeln und Insekten gut
Der Karpfen in extensiver Teichwirtschaft sei nachhaltig, wirke sich sogar positiv aus, erzählt Ulfert Focken, der am Bremerhavener Thünen-Institut zu Aquakultur forscht: „Karpfenteiche gehören zu den artenreichsten Biotopen. Wassertiere, Insekten, Vögel, Pflanzen; so gut wie alle Organismen profitieren von der Teichwirtschaft.“ Außerdem befinde sich sehr selten Fischmehl im Karpfenfutter, der Karpfen sei selten krank, und die Teichwirtschaft belaste anliegende Gewässer kaum.
Obendrauf sind die Wege kurz. Die meisten hierzulande verzehrten Karpfen kommen aus Deutschland, der Rest vor allem aus der Teichlandschaft um Třeboň in Tschechien. Allerdings machen Karpfen zur Zeit nur 0,5 Prozent aller in Deutschland gegessenen Fische aus, genauso viel wie der Neuseeland-Hoki. Auf deutsche Teller kommt er in aller Regel als Typ Cyprinus carpio – von dem weltweit mehr produziert wird als vom Atlantiklachs. Alle Karpfenarten zusammen bevölkern gut ein Drittel der globalen Aquakultur, von Teichwirtschaften und Gehegen in den Ozeanen.
Dabei stellen China, Indonesien und Vietnam zusammen drei Viertel aller Karpfen her, dort ist er der wichtigste Speisefisch. „In Deutschland ist die Angst vor Gräten groß, während sie in Asien selbst von Kindern einfach ausgemümmelt und ausgespuckt werden“, sagt Fischereiökologe Focken. Auch würden die Karpfen in Asien weniger mit Moder kämpfen als hierzulande. Der Graskarpfen isst vorwiegend Mais- und Bananenblätter, der Silberkarpfen filtriert Plankton aus dem Wasser.
Könnte man da nicht einfach auf Gras- und Silberkarpfen umsteigen? Focken sagt, als beide Arten nach Deutschland eingeführt worden seien, sei das nach hinten losgegangen. Der Silberkarpfen sollte überdüngte Teiche vom Plankton befreien, heizte letztlich aber die Nahrungskette an. Dann fing der Graskarpfen bei niedrigen Temperaturen an, vom Grund zu fressen wie der heimische Karpfen. Auch er gründelte schließlich.
Muss also eine Imagekampagne her? Focken meint: Das nütze nichts, wenn es hierzulande kaum Karpfen gibt oder nur über wenige Wochen. Der gilt weiterhin als Weihnachtsgericht, im Frühjahr verschwindet er oft von den Verkaufsständen. Dazu komme seine üppige Größe: „Karpfen fällt in zwei bis drei Kilo an – in einem Zweipersonenhaushalt mit Kochzeile können Sie so ein Viech nicht mehr zubereiten.“ Daher würden Karpfen eher im Restaurant verspeist, für erweiterte Fischtheken für Privateinkäufer fehlten oft die Investitionen. Dabei könne gerade das eine Lösung sein: „Warum nicht grätenfreie Filets von 500-Gramm-Karpfen in Folie legen und ins Supermarkt-Tiefkühlregal stellen, und das über mehrere Monate im Jahr?“
Bis es so weit ist, hat Sie der Karpfen mit seinem ökologisch grünen Ampelsignal vielleicht schon an der Angel. Doch Sie haben nach wie vor das Problem, dass Sie dem Geschmack nicht trauen. Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen: Reiben Sie ihn ordentlich mit Salz ab oder verpassen Sie ihm eine dicke Salzkruste mit Eiweiß. Oder: Schneiden Sie ihn in Stücke und legen Sie ihn über Nacht in saure Weißweinschorle mit Zwiebeln und Knoblauch ein. Insider behaupten, das sauge den Moder aus dem Fisch.
Die Chemie spricht eher dafür, dass die Mischung den Geschmack nur übertüncht. Vielleicht lassen Sie sich also einfach mal drauf ein. Grüner wird’s nicht.
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