Nabu-Expertin über Aal-Aussetzungen: „Das dient nicht der Arterhaltung“

Beim „Aalutsetten“ feiern Politik und Fischerei das Aussetzen von Glasaalen. Aber einen Nutzen gibt es nicht, sagt Dagmar Struß vom Naturschutzbund.

Ministerpräsident Daniel Günther kippt Jungaale in die Schlei und wird dabei fotografiert.

Werbewirksam aber sinnlos: Ministerpräsident Daniel Günther 2020 beim Aal-Aussetzen in der Schlei Foto: Wolfgang Runge/dpa

taz: Frau Struß, wie gefährdet ist der Aal?

Dagmar Struß: Der europäische Aal ist zu 99 Prozent verschwunden und damit fast ausgestorben. In der Ostsee gehen wir bereits davon aus. Es gibt nur noch ganz wenige Tiere, die selbständig aus den Laichgebieten hierherkommen. Die meisten Aale, die in der Ostsee zu finden sind, wurden anderswo weggefischt und hier ausgesetzt.

Woran liegt das?

Einerseits an der Überfischung. Andererseits liegt es auch am Lebensraum. Aale ziehen in die Flüsse, um sich dort Fett anzufressen und bereit für die Reise in die Laichgebiete zu sein. Nur noch zehn Prozent der Fließgewässer sind aber in einem guten Erhaltungszustand, weshalb dieser Prozess nicht mehr gewährleistet ist. Häufig verhindern auch Querbauten die Wanderung der Aale.

Wie verläuft der Lebenszyklus eines Aals?

Die Laichgebiete der Aale liegen in der Sargassosee, östlich von Florida. Von dort wandern die Larven über den Atlantik und entwickeln sich kurz vor den europäischen Küsten zu Glasaalen. Von dort schwimmen die Jungtiere in die europäischen Flüsse. Nach acht bis fünfzehn Jahren sind die Aale bereit, wieder in die Laichgebiete zu wandern.

Und was ist das Problem?

Der Kreislauf der Wanderung funktioniert in Deutschland nicht mehr. Deswegen hat man angefangen, Glasaale vor der britischen, französischen und spanischen Küste zu entnehmen und dort auszusetzen, wo keine Wanderung mehr stattfindet. Dazu werden die Aale vorgezogen, um die Überlebenschancen zu erhöhen. In der Schlei wird das seit mehr als zehn Jahren gemacht. Wis­sen­schaft­le­r haben aber festgestellt, dass das nichts bringt. Denn nur ein ganz geringer Anteil der Aale findet überhaupt aus der Ostsee wieder heraus.

53, leitet die Nabu-Landesstelle Ostseeschutz Schleswig-Holstein.

Wieso das?

Der Kompass der Aale ist vermutlich gestört. Wenn sie etwa vor Frankreich gefischt und in der Schlei ausgesetzt werden, sind sie offenbar orientierungslos. Die Maßnahme dient also nicht der Arterhaltung, sondern nur der Fischerei.

Politik und Fischereiverbände feiern dieser Tage wieder die Aal-Aussetzungen.

Ich kann das nicht begreifen. Das ist hier wie ein Volksfest. Immer wenn Aale ausgesetzt werden, kommen Politiker und lassen sich fotografieren. Die sagen dann immer, dass sie das für den Arterhalt tun – dabei stimmt das nicht. Das kann man in Studien nachlesen. Und die Fischer müssten es auch wissen.

Wieso wird dann noch so stark am Aalfang festgehalten?

Aalfang hat im Norden eine lange Tradition. Ich vermute, dass sich viele Leute nicht trauen, aus dieser Position auszubrechen. Niemand möchte Überbringer schlechter Nachrichten sein.

Wie kann der Aal dann erhalten werden?

Nicht nur der Nabu, auch der Internationale Rat für Meeresforschung fordert einen kompletten Fangstopp und ein Ende der Aussetzungen. Das Aufkommen der Aale ist teilweise sogar dort rückläufig, wo Glasaale ausgesetzt werden. Es funktioniert also nicht. Außerdem müssen die Zustände der Gewässer verbessert und Barrieren abgebaut werden. Wissenschaftler bestätigen uns, dass diese Forderungen nicht zu weitgehend ist.

Und warum lassen sich Aale nicht einfach züchten?

Aale paaren sich in europäischen Gewässern. Wie sie das genau tun, konnte bisher niemand beobachten. Das ist ein großes Geheimnis, auch wenn man sich das heutzutage gar nicht vorstellen kann.

Welche Fische kann man noch guten Gewissens essen?

In der Ostsee sind das nur ein paar Plattfische. Alles andere ist zu gefährdet.

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