Alternativen für WM-Muffel: Ja, Angeln

Für WM-Boykotteure testet die taz Alternativen und stellt sie vor. Diesmal nähert sich unsere Autorin einem Sport an, der vielleicht gar keiner ist.

Forellen mit Kescher und Angelrute

Kescher und Rute: Zwei Forellen mit Folterinstrumenten Foto: G. Wolpert/blickwinkel/imago

In einem anderen Leben dachte ich, zum Angeln bräuchte man eine Angel und einen Köder. Dann setzt man sich und fängt Fische. Weil ich keinen Fisch esse, war mir diese Bildungslücke außerdem weitgehend egal. Aber mit Sportarten ist es ja wie mit Familie, man kann nicht ändern, wo man einheiratet. Seit ich einen Freund habe, der angelt, bin ich in das Angeln eingeheiratet. Gut, mit am Wasser war ich jetzt noch nie.

Entweder war es zu kalt oder zu regnerisch, zu windig oder zu schönes Wetter, zu früh morgens (5 Uhr!) oder zu spät abends (Nachtangeln!), und wenn das alles nicht zutraf, dann, Sie verstehen schon, hatte ich wohl etwas anderes vor. Aber völlig egal ist mir Angeln gewiss nicht mehr.

Eine Erkenntnis, die mich überrascht hat: Angeln ist nicht billig und einfach. Vergessen Sie das Capri-Fischer-Narrativ. Beim Fußball gibt es Stollenschuhe, Noppenschuhe und Hallenschuhe, aber Angeln lässt jeden Marketingfuzzi ganz wuschig werden. Es gibt Ruten für jedes Gewässer (See, Fluss, Meer, verschiedenste Strömungen), mit jedem Gewicht und jeder Länge (Ultraleichtrute, Feederrute, Spinnrute, Teleskoprute …) und sogar für einzelne Fische (Karpfenrute!). Ich glaube, Markus hat alle.

Wie haben die Neandertaler mit Stock und Schnur überlebt, frage ich mich manchmal, wenn mein Freund zurückkommt und wieder nicht an der richtigen Strömungskante stand oder eine Angel die falsche Wahl war oder das Wetter für Zander nicht optimal. Man geht nämlich nicht und sagt: „Mal schauen, was wir heute fangen.“ Man sagt: „Heute gehen wir an Platz X auf Zander.“

Der nächste Top-Angler

Angeln hat sich, wie jeder Sport, zu einem Wettbewerb versportelt. Gerade läuft zum Beispiel YPC-Bank-Cup. Das Intro spreche ich mittlerweile sicher nach („24 Angler. Dreizehn Angeltage …“). YPC-Bank ist ein bisschen wie Germany’s Next Topmodel, man fliegt mit einer stetig schrumpfenden Gruppe an Locations. Nur, dass da weiße Männer statt magerer Frauen stehen und aussortiert wird, wer nicht genug Fische fängt. Ein eingängiges Konzept also.

Es gibt auch eine Art Angler-Instagram und Angel-Influencer. Und natürlich Zeitschriften, von der Angelwoche („Die Bild-Zeitung des Angelns“, würde Markus sagen) bis zum gehobenen Raubfisch. Angeln, habe ich gelernt, ist kein Hobby, sondern ein Universum. Und von der Diversität her ungefähr da, wo der Fußball der Achtziger war.

Was ich mag, ist, dass man offenbar viel ins Gespräch kommt. Mit wirklich allen Mitgliedern der Gesellschaft, die irgendwie abends an einem Fluss unterwegs sind, von Teenies auf MDMA bis hin zu arabischstämmigen Kids, die zum Tee einladen. Was ich auch mag, sind die Köder. Es gibt nämlich nicht nur Lebendköder (Würmer, Maden und dergleichen), sondern auch Kunstköder aller Arten. Viele davon bilden auf so liebevolle Weise Fische nach, dass sie echte Kunst sind.

Seit ich mir den Haken von so einem Wobbler in den Finger gepiekst habe, bin ich bei den Dingern aber etwas weniger tatschig. Ob ich eines Tages mitgehe zum Angeln? Da will ich mich jetzt nicht festlegen. Aber eines blieb haften: Wenn Markus abends diese Angelvideos mit der beruhigenden Musik guckt, kann ich wirklich gut einschlafen.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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