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Finanzloch bei der PflegeversicherungDesaster mit Ansage

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Die Gesundheitsministerin müsste die Pflege von Grund auf reformieren – so, dass sie nicht zum Armutsrisiko wird. Zu erwarten ist etwas anderes.

Pflege wird sich ins Private verlagern Foto: Jens Kalaene/dpa

E s ist eine Katastrophe, die absehbar war: Bis 2029 droht den Pflegekassen ein Finanzloch von 12,3 Milliarden Euro. Was das für jene heißt, die gepflegt werden müssen, und die, die pflegen, darf man sich schon jetzt ausmalen: Pflegebedürftige werden in ihren Betten liegen, ungewaschen, mit vollen Windeln, ohne Frühstück. Personal in Heimen wird von Zimmer zu Zimmer hetzen, nie genug Zeit haben, deshalb möglicherweise mal vergessen, eine Tablette zu geben. Für Angehörige zu Hause dürfte es noch dramatischer werden, denn für sie gibt es nicht einmal einen Feierabend.

Die von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) einberufene Bund-Länder-Kommission für eine Pflegereform steht vor einer Aufgabe, die so groß ist wie der Himalaja. Am Montag kam sie zum ersten Mal zusammen, bis Ende des Jahres soll sie Vorschläge erarbeiten. Die Erwartungen sind entsprechend hoch und könnten trotz der Dringlichkeit für heftige Verstimmung in der Bevölkerung sorgen. Denn Pflege ist teuer und wird noch teurer, soll sie auch künftig gewährleistet sein, Stichwort alternde Gesellschaft. Kommission und Gesundheitsministerin müssen daher unangenehme Wahrheiten aussprechen und die Pflege von Grund auf reformieren – und das so, dass Pflege weder zum Armutsrisiko wird noch aufgrund von Armut erst gar nicht gewährleistet werden kann.

Eine solide Reform erwartet man nicht unbedingt – soziale Fragen liegen zumindest bisher nicht im Fokus der Regierung. Zumal nahezu jede Ausgabe unter dem berühmt-berüchtigten Finanzierungsvorbehalt steht. Man ahnt es schon: Pflege dürfte mehr und mehr ins Private verlagert werden. Das wäre die schlechteste aller Ideen, sollte die Kommission mit solchen Vorschlägen aufwarten. CDU-Seniorenministerin Karin Prien hat mit der Idee für eine Familienpflegeversicherung den Grundstein dafür schon gelegt. Zu Lasten der Frauen, denn sie werden es sein, die ihre Jobs kündigen, weil sie für die Eltern zu Hause da sein müssen. Aber vielleicht überrascht die Kommission ja mit praktikablen, finanzierbaren und sozial verträglichen Ideen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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14 Kommentare

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  • Die Antwort auf die Finanzierungsprobleme liegt da, wo sie bei allen umlagefinanzierten Sozialstaatskomponenten liegt: Verbreiterung der Beitragsbasis durch Einbeziehung aller Berufsgruppen und Einkommensarten (v.a. Kapitalerträge).

  • Moin Frau Schmollack,

    ich bin ein Mann, der seit sechs Jahren rund um die Uhr seine Mutter pflegt, seine Berufstätigkeit aufgegeben hat und nicht weiß, wo das Geld für die Krankenversicherung herkommen soll, weil die Pflegeversicherung die nicht bezahlt. Die Vorschläge von Frau Prien wären ein gewisser Fortschritt, aber umgesetzt werden sie nicht, weil sie Geld kosten.

  • "Zu Lasten der Frauen, denn sie werden es sein, die ihre Jobs kündigen, weil sie für die Eltern zu Hause da sein müssen."

    Wieso eigentlich? Wo sind die Männer? Die (Schwieger)Söhne? Warum lassen sich Frauen das gefallen?

  • Mir ist etwas rätselhaft, was an manchen Pflegeheimen eigentlich so teuer ist. Das Essen billigste Massenware, die Pfleger unterbezahlt und nicht besonders gut ausgebildet, keinerlei Freizeitaktivitäten, die Zimmer einfachst eingerichtet - 2.700 EUR allein der Eigenanteil. In einer Kleinstadt.

  • Grundsätzlich haben Sie natürlich recht, Frau Schmollack. Doch stellt sich auch hier die Frage, woher das Geld kommen soll, denn nach der größten Verschuldung der Nachkriegsgeschichte ist schlichtweg kein Geld mehr da für noch mehr Sozialpolitik.



    Wer fordert, auch wenn dies zu recht ist, muss auch sagen woher das Geld kommen soll.

  • "...nie genug Zeit haben, deshalb möglicherweise mal vergessen, eine Tablette zu geben."



    Oder eine Bedarfsmedikation dauerhaft zur Beruhigung einsetzen, wie Dr Gernot Rücker aus Rostock bei einer Buchvorstellung beiläufig erwähnt hat. Als Notfallmediziner kennt er die Personalnot auf Stationen, die hoffnungslos mit Personal unterbesetzt sind.



    www.ardaudiothek.d...:324c77023aefc28f/

  • Die Pflege ist wahrscheinlich dasjenige Politikfeld, das vom politischen Mainstream mit dem größten Zynismus behandelt worden ist, frei nach der Erwartung, dass die Betroffenen sich nicht mehr wehren können, auch nicht an der Wahlurne. Es könnte aber anders kommen, da jetzt die Boomer ins frühe Alter eintreten und erste physische Grenzen am eigenen Leib spüren, daneben aber auch noch hochbetagte Eltern haben.

    Eine Vollversicherung wäre sicher sinnvoll, weitgehend finanziert aus dem allgemeinen Steueraufkommen. Ja, das bedeutet Steuererhöhungen. Aber eine Teilprivatisierung, auf die es jetzt hinauslaufen könnte, bedeutet insgesamt auch größere Belastungen und wäre dabei sozial höchst unausgewogen.

  • Ich weiß nicht, wann es in diesem Land gekippt ist, dass für die Schwächsten, das sind für mich Kinder, alte Menschen, Obdachlose usw., kein Geld mehr da ist. Ich würde es gerne an einer Regierung oder einem Bundeskanzler:in festmachen. Oder ist es eben doch die Globalisierung im weitesten Sinne?

    • @*Sabine*:

      Das täuscht dir Ausgaben für soziales sind sowohl relativ als auch absolut so hoch wie nie.

    • @*Sabine*:

      Was meinen Sie mit: kein Geld da ist. Der größte Teil der im Pflegeheim betreuten Menschen bekommt die Heim/Pflegekosten vom Sozialamt bezahlt. Die wenigsten Pflegebedürftigen können die Heimkosten selber tragen. Leute, die nie eingezahlt haben, bekommen Pflege bezahlt, und zwar diesselbe Pflege, die der Einzahler/Vermögende ein Zimmer weiter erhält. KInder können hier zur Schule gehen ohne Schulgeld bezahlen zu müssen, der öffentliche Kindergarten ist kostenlos oder wird in irgendeiner Form bezuschusst, oder meinen Sie der kostet in Wirklichkeit nur knapp 400 Euro? Es gibt sicherlich einiges zu verbessern, aber von kein!!! Geld kann überhaupt nicht die Rede sein. Das ist wirklich jammern auf hohem Niveau.

      • @Carolin Rudolf:

        "jammern auf hohem Niveau"? Was in der Pflege abgeht, ist eine institutionalisierte Menschenrechtsverletzung.

    • @*Sabine*:

      Ich befürchte, da bleibt der Wunsch nach einfachen Lösungen / Schuldigen auf der Strecke. Die Unausgewogenheit aus Politik für alte Leute die voranging von Alten gewählt wird, versus immer weniger Unterstützung für Kinder, junge Menschen, Familien aber auch Frauen im Erwerbsleben ist ein seit Jahrzehnten zu beobachtender Trend. Ergo wächst die Unzufriedenheit unter den Jungen (Familien) und wer kann, der reißt die Zelte in D ab, wo der demografische Wandel zu nekrophiler Politik führt die sich selbst beerdigt. Nun da wir angewiesen sind, auf migrantische Arbeitskräfte, verschrecken wir mit rechtsradikalem Koller auch noch die wenigen, die unsere Alten pflegen würden und sicher ergehe auch ich mich in Naivität, wenn ich mich frage, wann wir endlich an die Milliarden gehen, die Konzerne wie Vivantes täglich mit den Leiden der Menschen umsetzten, um die sie sich nicht (ausreichend) kümmern.

  • "Aber vielleicht überrascht die Kommission ja mit praktikablen, finanzierbaren und sozial verträglichen Ideen."



    Nun dieser Kommentar enthält ja auch keinen Hinweis auf eine solche Idee. Das wird schon rein mathematisch schwierig: immer mehr Alte und Pflegebedürftige und immer weniger Beitragszahler und weniger Personal für die Pflegeeinrichtungen. Und Migranten wollen wir ja auch nicht.

  • Hatte Spahn nicht 5 Mrd aus der Pflegekasse fuer die Kosten der Pandemie entnommen und nicht zurueckgezahlt? Hat die Ampel wie bei der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur einen Teil der Kosten fuer Buergergeldempfaenger beglichen?



    Statt diese Ungerechtigkeit zu heilen und ueber den Haushalt auch die Privatversicherten (zB viele unserer Politiker und die Reichen (tm)) zu beteiligen, gibts fuer die naechsten 2 Jahren einen Kredit von 2 Mrd. Sprich die Versicherten zahlen fuer diese Arbeitsverweigerung auch noch Zinsen. Vielen Dank an die Spahnfreundin und unseren Finanzminister.