piwik no script img

Feuerpause im Nahen OstenKeine guten Optionen

Judith Poppe
Kommentar von Judith Poppe

Israel steckt in einem erdrückenden Dilemma. Eine Feuerpause könnte der Hamas einen wichtigen Vorteil bringen. Weiterkämpfen gefährdet die Geiseln.

Verletzte Frau in einem Krankenhaus in Chan Yunis, Gaza, 3. 11. 2023 Foto: Fatima Shbair/ap

W er die Bilder sieht, die uns aus dem Gazastreifen erreichen, wer hört, wie Narkosemittel für Operationen fehlen, wie Kinder in der Nacht vor Hunger weinen, wie ganze Familien unter Schutt begraben werden, der kann im Grunde nicht anders, als umgehend einen Waffenstillstand zu fordern. Der Krieg lässt die nach dem grauenhaften Terrorangriff der Hamas auf Israel so oft gestellte Frage offen, wie anschließend eine Koexistenz von Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen noch möglich sein soll.

Die blutigen Schlachten führen nicht nur zu einer humanitären Katastrophe für die Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen im Gazastreifen, sondern sie bergen auch für Israel die Gefahr, die Entführten zu treffen. Die internationale Stimmung, die anfangs vor allem angesichts des brutalen und in der Region bislang präzedenzlosen Terrors solidarisch mit Israel und Israels Recht auf Selbstverteidigung stand, kippt zusehends. Bei Demonstrationen und in den sozialen Medien wird immer öfter der Vorwurf des Genozids laut.

Rechtsextreme Fa­na­ti­ke­r:in­nen, die auch in der Regierung sitzen, heizen diese Stimmung zusätzlich an, wenn, wie geschehen, die Rede gar von einer Atombombe ist, mit der man Gaza ein für alle Mal auslöschen solle. Doch es sterben auch deshalb Tausende von Zivilist:innen, weil die Hamas die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht und ihre Quartiere neben Kindergärten und unter Spitälern einrichtet. Und auch die Islamisten halten nicht mit Drohungen zurück.

So hat einer der Köpfe der Hamas vor wenigen Tagen geschworen, dass sie Angriffe wie den vom 7. Oktober wiederholen werde, bis Israel von der Landkarte verschwunden sei. Die israelische Regierung steckt in einem erdrückenden Dilemma: Wenn sie auf die Forderungen nach einem Waffenstillstand eingeht, akzeptiert sie, dass die Hamas weiter den Gazastreifen kontrolliert und von dort aus Israel bedroht. Wenn sie die Bombardements fortführt, macht sie sich bei allem Recht auf Selbstverteidigung weiterer Kriegsverbrechen schuldig und isoliert sich international.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Judith Poppe
Auslandsredakteurin
Jahrgang 1979, Auslandsredakteurin, zuvor von 2019 bis 2023 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Israel wird es so oder so falsch machen. Die Schlacht war am 7. Oktober schon verloren.



    Der wichtigste aller Kämpfe ist der gegen die Brandstifter. In Israel, in Palästina, in der Ukraine, Russland und auch bei uns. Sonst werden weiterhin Menschen für den Hass einzelner sterben müssen.

  • Das beschriebene Dilemma "Wenn sie auf die Forderungen nach einem Waffenstillstand eingeht, akzeptiert sie, dass die Hamas weiter den Gazastreifen kontrolliert und von dort aus Israel bedroht", stimmt so nicht, denn



    1.die Hamas ist jetzt extrem geschwächt und ihre Weiterfinanzierung wird auch als offizielle Terrorgruppe schwieriger werden, es gilt dabei die PLO zu stärken und Reformen der jetzigen Struktur durchzusetzen,



    2.wenn UNRWA als UN-Organisationen die Administration und Geldvergabe in Gaza für den Wiederaufbau und Humanitäre Hilfe übernimmt und dazu UN-Sicherheitskräfte (Polizei/Militärs) (so wie in Kosovo nach 2000), eingesetzt werden, wird die Rolle der Hamas als ideologischer Player automatisch geringer,



    3.Wenn gleichzeitig die Zweistaatenlösung Form annimmt und illegale Siedlungen in Westbank geräumt werden, wäre das auf die Palästinenser ein Hoffnungsschimmer und würde die Situation entspannen,



    4.Vieles hängt von den Veränderungen in Israel ab und der Einsicht, dass ihre Sicherheit auch von der Sicherheit und den Rechten der Palästinenser abhängt.