Fehlende Touristen: Die wüste Wüstenstadt
Petra gilt als Touristenmagnet in Jordanien. Doch der Gazakrieg und die regionalen Spannungen sorgen für leere Hotels und stornierte Reisen.
I n der glänzenden Marmorhalle, unter schimmernden Glasleuchtern schaut ein junger Mann mit schwarzen, nach hinten gegelten Haaren und nachdenklichem Lächeln auf eine Drehtür, die sich nicht dreht. Neben einem polierten Holztisch zeigen zwei Vintage-Wanduhren die Zeit in London und New York an, für die sich im Augenblick niemand interessiert. Bunte Fische schwimmen in einem blauen, zwei Meter großen Tank.
Auf der anderen Seite der Halle steht ein Mann in grauer Hoteluniform neben einem Metalldetektor, der nicht piept, und starrt gelangweilt ins Leere. Es ist früh am Nachmittag, 15 Uhr, und die weiße Empfangshalle des H-Luxury-Hotel in Wadi Musa ist, bis auf eine Handvoll Mitarbeiter, menschenleer. Keine Gäste, die auf den sanften Kissen der Ledersessel sitzen und plaudern, kein Pianist, der sich am Konzertflügel in der Ecke an gewagten Akkorden versucht. Nur Loungemusik wabert im leeren Saal.
Zwei Etagen höher steht das Wasser im runden Schwimmbad still, die Oberfläche so glatt, dass der hellblaue Himmel durch die Fenster sickert und sich darin spiegelt. In den oberen Stockwerken sind die meisten Zimmer noch gemacht, die Betten mit den als Blumen gefalteten Bettüberzügen unberührt.
Das Fünf-Sterne-Hotel, 70 Zimmer, fünf Etagen plus Rooftop, etwa 18 Millionen US-Dollar wurden hier investiert, leidet so wie die meisten anderen Unterkünfte in Wadi Musa unter einem Mangel: der Abwesenheit von westlichen Tourist*innen. Momen Hlalat, der junge Mann mit den gegelten Haaren, hat seit einigen Monaten kein richtiges Gehalt mehr erhalten.
Schlechte Jobaussichten
Und doch lächelt er weiter. Ab und zu bittet er den Manager, „Mister Abdallah“, um einen kleinen Vorschuss, 50, 60 Dinar, kauft sich Zigaretten, was für viele in Jordanien zum Alltagsbedarf zählt, und andere alltägliche Kleinigkeiten. Wenn es so weitergeht, könnte er seinen Job verlieren.
Zu hoch sind die Betriebs- und Personalkosten für das Luxushotel, zu niedrig der Umsatz. Doch Hlalat, der seit neun Jahren in Petra arbeitet, bleibt zuversichtlich. „Wenn der Krieg endet, werden wieder mehr Menschen hierher kommen“, sagt er und rückt zwei Samtkissen zurecht auf Sofas, auf denen gerade niemand sitzt.
Hlalat, 26 Jahre alt, ist einer der 22 Angestellten im H-Luxury-Hotel. Anfangs, als das Hotel am 1. September 2023 eröffnet wurde, waren es noch 68. Petra hatte wieder die Eine-Million-Besucher-Marke geknackt, Luxushotels waren gerade gefragt. Doch dann kam der 7. Oktober, das Massaker der Hamas an Israelis, und danach der Gegenangriff Israels auf Gaza.
Es wurde brenzlig in der gesamten Region: Libanon, Jemen, Iran, Raketen flogen hin und her. Zu brenzlig für europäische, amerikanische, asiatische Tourist*innen, die ihren Urlaub nun lieber anderswo buchten. Immer mehr Reiseagenturen stornieren ihre Reisen.
„Mister Abdallah“, alias Abdallah Al-Helalat, Manager des H-Luxury Hotels, macht keinen Hehl daraus: Seit vier Monaten hat er Schwierigkeiten, seine Angestellten zu bezahlen. Wenn es so weitergeht, wird das neueröffnete Luxushotel in ein paar Monaten wieder schließen. Kurz nach dessen einjährigen Geburtstag. „Die durchschnittliche, monatliche Belegung liegt bei drei, vier Gästen.“
Der 47-jährige Geschäftsführer, schwarzes Hemd, lockige Haare und resignierter Blick, sagt, gut die Hälfte der Zimmer müssten eigentlich belegt sein, um die Kosten zu decken. Etwa 1.600 Dinar Verlust, rund 2.000 Euro, mache das Hotel pro Tag.
„Ich hoffe, dass der Krieg bald endet. Petra, wissen Sie, ist anders, anders als Amman oder das Tote Meer. Denn Einheimische mögen es nicht, nach Petra zu fahren. Nur Europäer, Amerikaner“, erläutert der Manager und dreht eines der gelben Sofakissen in den Händen. Jordanier*innen besuchen den historischen Ort oft nur einmal im Leben.
Heute ist dennoch ein glücklicher Tag: 22 Touristen sind angekommen, die meisten davon aus Spanien, eine organisierte Reise über Ägypten. „Wir sind ein Fünf-Sterne-Hotel, der normale Preis für ein Zimmer wäre 175 US-Dollar (160 Euro), ich habe 50 verlangt“, sagt Al-Helalat. „Nur heute und morgen, und danach – leer.“
Drei Menschen in T-Shirts und kurzen Hosen betreten kurz danach die Empfangshalle. Concierge Momen springt auf und läuft ihnen entgegen, begrüßt sie mit ein paar Worten auf Spanisch. Ihre lauten Stimmen füllen den großen Raum, nur für einen kurzen Moment, dann verschwinden sie wieder.
Wer den Einfluss des Konflikts in Gaza auf den Tourismus und die Wirtschaft der Region verstehen will, sollte nach Petra fahren. Oder besser noch, man besucht das benachbarte 7.000-Seelen-Dorf Wadi Musa. In diesen Bergen, die so wellig sind wie Sahneeis und stets von einer unbarmherzigen Sonne beschienen werden. Es gibt dort Tempel, deren rosarote Säulen sich in den rauen Felsen tarnen, und Schluchten, die Regen und Wind in den Stein gegraben haben. Man kann dort die Beduinen singen hören, ihre Stimmen hallen von den Felsen wider.
An diesem Ort wanderten vor 2.400 Jahren die Nabatäer, errichteten teils im Inneren der Felsen ihre Hauptstadt, bauten ein bewundernswertes Hydrauliksystem auf, das Wasser in unterirdische Kanäle pumpte. Heutzutage schlendern hingegen in den vom Wind ausgewaschenen Schluchten Scharen von Tourist*innen mit ihren Rücksäcken, Cappies und Sonnenbrillen. Oder jedenfalls war das so bis zum 7. Oktober. Jetzt ist Petra, die weltberühmte Wüstenstadt, nahezu verwaist.
Es ist 10.30 Uhr, und der Minibus, der Einheimische und Tourist*innen nach Wadi Musa fahren soll, wartet auf dem Parkplatz im Busbahnhof Süd in Amman. Im Inneren des weißen Toyota-Vans herrscht helle Aufregung.
Reisewarnungen schrecken ab
Zwei Passagiere, hellbraune Haare und eine blasse Haut, die offenbar noch keine arabische Sonne genossen hat, diskutieren mit dem sichtlich aufgebrachten Ticketverkäufer. Seit zwei Stunden warten sie, dass der Minivan in Richtung Petra losfährt. Doch von 20 Sitzplätzen sind nur fünf belegt. Erst nach langwierigen Verhandlungen entscheidet sich der Fahrer, doch gegen Aufpreis loszufahren.
Die zwei jungen Männer mit Backpacks kommen aus Großbritannien, sie heißen Alex Walter und Teal Higgins. Sie sind die einzigen Touristen auf dieser Fahrt. Sie sitzen nun an den Fenstern, essen Chips aus der Tüte und unterhalten sich. Beide 22 Jahre alt, beide zum ersten Mal in Jordanien.
Eigentlich wollten sie im April kommen, doch dann schoss eine Woche vor ihrem geplanten Abflug Iran Raketen über Jordanien in Richtung Israel, der Luftraum war zeitweise gesperrt, die Lage unsicher. Fluggesellschaften strichen ihre Flüge, Außenministerien erließen Reisewarnungen für die Region. Und die Reise von Higgins und Walter blieb ebenfalls auf der Strecke.
„Ich war trotzdem bereit hinzufliegen, aber alle um mich herum waren dagegen“, erinnert sich Walter. „Doch Jordanien ist eines der Länder, die ich wirklich bereisen wollte.“ Angst haben die beiden Kommilitonen nicht. Sie sehen Jordanien als neutrales, sicheres Land. Ihre einzige Sorge ist, hier zu stranden, falls der Luftraum wieder geschlossen wird.
In Petra warten derweil Reihen von Pferden und deren Besitzer, meistens Beduinen, auf ankommende Tourist*innen. Dutzende Gruppen drängen sich üblicherweise durch die gewundenen Steinformationen des Siq-Canyons. Doch heute laufen Walter und Higgins allein durch die Schlucht.
Bis auf ein paar vorbeifahrende Fahrzeuge voller Soldaten und einige Mitarbeiter, die am Rand des Pfads ruhen, ist der Weg größtenteils leer. So still, dass man Walters Sohlen quietschen und die Vögel zwitschern hören kann. Es ist Nebensaison und heiß, doch allein damit ist diese Ruhe nicht zu erklären.
Kurz vor den „Statuen der alten Götter“ posiert dann eine kleine Gruppe aus Osteuropa für ein Selfie. Je näher man zum im Felsen eingemeißelten Schatzhaus kommt, desto häufiger sichtet man Tourist*innen. Eine Spanisch sprechende Gruppe läuft an den zwei Briten vorbei – es sind die Gäste des H-Luxury-Hotel.
Vor den Säulen des Schatzhauses zählt man um die 50 Tourist*innen, drei gesattelte Kamele, einen Wüstengendarm in roter Kufiya und olivgrünem Gewand, eine Handvoll Beduinen und eine Polizeipatrouille in der Ecke. Weiter im Tal ist die Wüstenlandschaft bis auf ein paar leere Läden und Cafés wieder öde. Walter und Higgins machen Bilder mit analogen Kameras, die „jetzt wieder im Trend sind unter den Jüngeren“, kaufen alte Eingläser und Souvenirs, wundern sich weiter über die Höhlenhäuser in den Felsen.
Abhängig von Tourismus
Durchschnittlich 5.000 Tourist*innen besuchten Petra pro Tag vor dem Gazakrieg. Inzwischen sind es etwa 200. Insgesamt hat der Tourismus in Jordanien stark gelitten. Die Regierung spricht von 5 Prozent weniger Einnahmen und über 7 Prozent weniger Tourist*innen. Einnahmen von europäischen Reisenden sanken um 56 Prozent, von Amerikanern um 43 Prozent. Verbände sprechen von etwa 65 bis 90 Prozent stornierte Buchungen durch Reiseagenturen.
Der Tourismus macht in Jordanien etwa 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Petra ist am heftigsten davon betroffen: Waren im Juni 2023 ein Drittel der Hotelzimmer belegt, waren es im Juli 2024 lediglich 5 Prozent.
35 Unterkünfte haben hier seit dem 7. Oktober dauerhaft geschlossen, sagt der jordanische Hotelverein, etwa 900 Menschen in der gesamten Branche haben ihre Jobs verloren: Kellner*innen, Reiseleiter*innen, Verkäufer*innen. Staatliche Hilfen gibt es kaum. Und die meisten leben hier vom Tourismus. Denn viel mehr zu tun gibt es nicht, in diesen wunderschönen einsamen Bergen.
Das weiß auch Fares Braizat, Leiter der Tourismusbehörde in Petra. „Der Krieg hat unsere Ambitionen zerstört“, sagt er. Die Anzahl an ausländischen Tourist*innen hat seit dem 7. Oktober um mehr als 70 Prozent abgenommen im Vergleich zu den Monaten davor.
Ende August, als Iran und die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon wieder mit dem Gedanken spielen, Raketen auf Israel zu schießen, haben mehrere Fluggesellschaften ihre Flüge in die Region erneut gestrichen. Westliche Regierungen sprechen wieder Reisewarnungen für die Region aus. Dabei betont Braizat: „Jordanien ist sicher, wie Sie sehen.“ Doch die Wahrnehmung im Ausland sei, dass der Nahe Osten gerade in Flammen aufgehe.
Braizat hat gerade keinen leichten Job. Am 9. Oktober, zwei Tage nach dem Überfall der Hamas in Israel, hat er sein Amt übernommen. Aus den überdimensionalen Fenstern in seinem Büro auf dem Hügel blickt er auf das gesamte Tal. Braizat, leger angezogen in Jeans und kurzärmeligem Hemd, setzt sich auf den Ledersessel und nimmt eine Dattel aus einer geschliffenen Kristallschale, die auf dem Couchtisch liegt.
„Ich hatte heute noch keine Zeit zum Essen“, sagt er entschuldigend. Er war unterwegs, Gutscheine verteilen für Schulkinder im beduinischen Dorf nebenan. 50 Dinar, umgerechnet 64 Euro, für Schulranzen, Hefte, Kugelschreiber. „Um der Gemeinschaft zu helfen, die Herausforderungen wegen des Kriegs zu überwinden.“
Einige Einwohner*innen sind bereits nach Amman ausgewandert, um neue Jobs zu suchen. Ob sie dann zurückkehren, wenn der Krieg vorbei ist? Braizat ist zuversichtlich, hält am Bau weiterer 1.400 Hotelzimmer fest. Doch was, wenn der Konflikt nicht so schnell endet? Die beduinische Gemeinde ist bereits aufgebracht, weil in den vergangenen Monaten unlizenzierte, beduinische Verkäufer*innen und Reiseleiter*innen aus Petra vertrieben wurden, teils unter Einsatz von Tränengas und Panzerfahrzeugen.
Unbeständige Einnahmen
„Die Lage ist sehr, sehr schlecht“, erzählt ein Mann namens Yousef, Reiseleiter für englischsprachige Gruppen und Wadi-Musa-Bewohner in siebter Generation, der gerade in einem Café sitzt. Menschen seien nicht mehr in der Lage, ihre Darlehen und Hypotheken zu bezahlen. Die Schule beginne, sagt der 55-jährige, drahtige Mann, die Familien könnten nicht immer das Nötige kaufen. „Seit dem 7. Oktober habe ich keine Arbeit. Ich habe Ersparnisse, doch jetzt sind sie aufgebraucht.“
Auf Kredit kaufen, im Minimarkt, im Imbiss, funktioniert in der kleinen Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt. Doch nicht ewig. Den Kaffee, den er gerade getrunken hat, habe er nicht bezahlt, sagt er. Doch wie lange noch? „Früher hatte ich keine Zeit, hier rumzusitzen. Arbeiten, arbeiten. Doch jetzt komme ich von zu Hause hierher, nur um hier zu sitzen. Um nichts zu tun.“
Er überlege, wieder mit dem Schafzüchten anzufangen, wie seine Vorfahren. Der Tourismus sei zu unbeständig, zu abhängig von regionalen Entwicklungen. Doch auch fürs Schafe züchten brauche man Geld.
Dass es in der Region noch nicht zu großen Massenprotesten gekommen ist, ist auch dem Geld zu verdanken, das Reiseleiter*innen, Verkäufer*innen, Hotelbesitzer*innen in der Hochsaison nach Hause bringen.
Wie die Region attraktiver werden soll
Einige tausend Euro sind je nach Tätigkeit möglich – in einem Land, in dem der monatliche Mindestlohn etwa 330 Euro beträgt. Viele haben also Ersparnisse, besitzen Häuser. Und haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder schwere Krisen erlebt: den Bürgerkrieg in Syrien ab 2011, die Coronapandemie.
Zurück in Wadi Musa ist die lange „Touristenstraße“ wie leergefegt. Es ist nordeuropäische Abendessenszeit, doch in den vielen Bars und Restaurants sitzt niemand. Im H-Luxury-Hotel sind die zwölf Tische auf der Speiseterrasse ebenfalls leer. Der Muezzin singt seinen Gebetsruf, während die Sonne ihre letzten orangefarbenen Strahlen ins Tal wirft. Zwei Kellner warten auf Wünsche von Gästen, die nicht da sind.
An Ideen, um die Lage zu bessern, fehlt es nicht: Manager Al-Helalat wünscht sich mehr Low-Cost-Flugverbindungen nach Akaba und mehr Vielfalt beim Angebot vor Ort, damit auch Einheimische mehrmals nach Petra reisen: Wasserparks, eine Schwebebahn. Der Anteil der einheimischen Reisender liegt aktuell gerade einmal bei 10 Prozent.
Reiseleiter Yousef wünscht sich mehr Unterstützung von den Behörden, um andere Wirtschaftsquellen zu entwickeln, und Unterstützung für kleine Projekte für lokale Familien, für Tierzucht etwa. Der Hotelverein schlägt eine Steuerminderung und Ratenzahlungen vor.
Hoffen auf Rückkehr des Tourismus
Alle sind inzwischen vom Krieg betroffen. „Alles, was in Nahost passiert, passiert auch in Petra. Wir stehen in der Mitte“, sagt Al-Helalat. Und doch ist der Manager zuversichtlich: Wenn alles vorbei sei, würden die Tourist*innen wieder kommen.
Die kleine spanische Reisegruppe ist inzwischen in ihr verlassenes Hotel zurückgekehrt. Ihre Schritte hallen durch die Säle, der Klang ihrer Stimmen wabert, bricht die Stille auf der Terrasse mit Gelächtern und Trinksprüchen.
Spanische Worte und Phrasen fliegen durch die leeren Flure. Dann verschwinden sie wieder in den Korridoren, die Türen schließen sich hinter ihnen. Und die Stille kehrt wieder ein im H-Luxury-Hotel in Wadi Musa.
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