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Falschbehauptungen von Anthony LeeDer Demagoge der Bauernproteste

Bauernsprecher und Freie-Wähler-Politiker Lee fällt durch Rechtspopulismus auf. Er behauptet, Politiker wollten Bauern Land für Migranten wegnehmen.

Seine Leute nennt er „lupenreine Demokraten“: Bauernsprecher Anthony Lee bei einer Demonstration in Brandenburg Foto: Frank Hammerschmidt/dpa

Berlin taz | Ein wichtiger Wortführer der Bauernproteste und Kandidat der Freien Wähler ist mehrmals durch falsche und rechtspopulistische Behauptungen aufgefallen. Anthony Lee, Sprecher des Vereins Landwirtschaft verbindet Deutschland (LSV Deutschland), erklärte Mitte Januar, Politiker wollten Landwirten ihr Land zugunsten von Flüchtlingen wegnehmen.

In einem Interview antwortete der Social-Media-Star der Bauernbewegung auf die Frage „Warum sind die Politiker hinter Euch her? Warum wollen sie euch zerstören?“: „Ich glaube, es gibt viele Gründe. Vor allem: Die wollen unser Land… Die wollen unser Land, um darauf Industrie zu bauen, Häuser. … Häuser für Flüchtlinge oder wen auch immer.“ Das Gespräch führte die niederländische Influencerin Eva Vlaardingerbroek, die mehrmals in Shows des rechtsradikalen Donald-Trump-Unterstützers und Verschwörungsmystikers Tucker Carlson aufgetreten ist.

Lees LSV Deutschland hatte gemeinsam mit dem Deutschen Bauernverband zu den Trecker-Demonstrationen in Berlin am 18. Dezember und am 15. Januar aufgerufen, die auf großes Medieninteresse stießen. Im Juni setzten die Freien Wähler Lee bei ihrem Bundesparteitag auf Platz 8 ihrer Liste für die Europawahl. Allein auf Facebook hat der Landwirt aus Niedersachsen mehr als 100.000 Follower.

Für seine Behauptung, die Politiker wollten Bauern ihr Land wegnehmen, um darauf Häuser für Migranten zu bauen, liefert Lee in dem Video keinen Beleg. Die Bauernproteste richteten sich gegen die von der Ampelkoalition geplante Streichung der Subvention für klimaschädlichen Agrardiesel sowie gegen Umwelt- und Tierschutzregeln. Eine Enteignung von Höfen mit besonders hohen Stickstoffemissionen, wie sie in den Niederlanden diskutiert wird, fordert in der Bundesregierung aber niemand. In Deutschland werden Höfe, die schließen, in der Regel von Konkurrenten übernommen – die Äcker werden dann weiter landwirtschaftlich genutzt. Die Agrarfläche blieb deshalb in den vergangenen Jahrzehnten trotz „Höfesterbens“ ungefähr gleich groß: rund 16 Millionen Hektar.

Mehrmals lobte Bauernsprecher Anthony Lee Ungarns rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán

In einer in mehreren Videos im Internet verbreiteten Rede auf einer Demonstration der nicht gemeinnützigen Lobbyfirma „Freie Bauern Deutschland GmbH“ am 15. Januar in Berlin schrie Lee: „Wenn wir allen Ernstes Spirenzchen machen, indem wir zum Beispiel 10 Milliarden Euro für den Aufbau eines Katasteramts in Kolumbien bereithaben...., dann sind wir bekloppt.“ Deutschland solle „erst mal zu Hause die Hausaufgaben machen, und wenn dann was über ist, dann geben wir es gerne ab“. Zum Bundesfinanzminister, der den Bauern die Agrardieselsubvention von jährlich 440 Millionen Euro streichen will, sagte Lee: „Und wir haben genug Geld, Herr Lindner“.

Doch das Entwicklungsministerium (BMZ) dementiert Lees 10-Milliarden-Euro-Behauptung. „Das BMZ finanziert ein laufendes Projekt zum Aufbau eines Katasterwesens in Kolumbien mit 2 Millionen Euro“, schreibt eine Sprecherin des Ministeriums der taz. Das Projekt soll Kleinbauern in dem südamerikanischen Staat helfen, damit sie im Zuge einer Landreform Boden erhalten. Die ungleiche Landverteilung sei „eine zentrale Ursache des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts in Kolumbien“, so das BMZ.

Lee empörte sich auch über Äußerungen in Medien, wonach der durchschnittliche Haupterwerbsbetrieb der Landwirtschaft im vergangenen Bilanzjahr mit 115.000 Euro Gewinn gut verdient hat. Dabei müsse der Betrieb davon „immer noch die Angestellten bezahlen“. Doch das ist falsch. „Von den 115.000 Euro Unternehmensergebnis muss der Betrieb nicht mehr die Löhne der Angestellten bezahlen. Die sind schon vorher abgezogen worden“, sagt Sebastian Lakner, Agrarökonomie-Professor an der Universität Rostock.

Trotz seiner Falschbehauptungen weist Lee den Vorwurf zurück, ein „Populist“ zu sein. Über seine Äußerungen sagte er: „Was ist denn daran falsch? Nichts daran ist falsch, was auf diesen Bühnen hier gesagt wird!“ Den Medien dagegen kreidete er an, dass „die Berichterstattung bewusst falsch gesteuert wird“. „Ich sage nicht, dass wir eine Lügenpresse haben“, erklärte er unter Bezug auf eine gerade bei Rechtsextremen beliebten Beschimpfung. „Aber wir haben eine Lückenpresse, weil man bewusst bestimmte Dinge weglässt, um andere zu diffamieren.“

„Affenkäfig“, „beschissen“, „bescheuert“

Es werde „gehetzt“ gegen die Landwirte. Obwohl auch ihm immer Hetze vorgeworfen werde, so Lee. Das Wörterbuch Duden definiert „hetzen“ als „Hass entfachen, schüren; Schmähreden führen, lästern“. In seiner Rede schmähte der Bauernführer Politiker im Reichstag als „die da drüben in dem Affenkäfig“. Mehrfach nutzte er Ausdrücke wie „beschissen“, „Scheiß“ und „bescheuert“ und brüllte wiederholt, um seine Gegner oder deren Argumente lächerlich zu machen.

Lee sagte auch: „Sie haben es versucht, uns in die rechte Ecke zu drängen … Es muss euch scheißegal sein. Wir stehen als lupenreine Demokraten zusammen.“ Als „lupenreinen Demokraten“ pries der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Wladimir Putin, der in Russland politische Gegner einsperren lässt.

Auffällig ist, dass Lee gern Argumente anführt, die auch Rechtsextreme nutzen. Ein Beispiel: Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke unterstellt, dass Bilder von den Menschenmassen bei den Demos gegen Rechtsextremismus manipuliert seien. Ähnlich äußerte sich Lee in einem Video. Er zeigt auf eine Luftaufnahme vom Kölner Heumarkt, der bei der Demo am 16. Januar voller Menschen ist. „Ein Kumpel von mir sagt: Das kann gar nicht wahr sein. Und da steht hier: 92 Prozent AI, also künstliche Intelligenz.“

Nur: Der Urheber des Bildes, ein professioneller Fotograf, hat auf seinem Instagramkanal gleich mehrere Drohnenaufnahmen gepostet, darunter auch ein Video. Sie alle zeigen den Heumarkt aus verschiedenen Perspektiven und voller Menschenmassen. Das bestätigen laut tagesschau.de auch weiteres Bildmaterial von Nachrichtenagenturen und anderen Nutzern sozialer Netzwerke. Nach Polizeiangaben hatten etwa 30.000 Menschen an der Demonstration teilgenommen.

Lee würde offenbar nicht auf die Idee kommen, selbst dabei zu sein. „Dieser Kampf gegen rechts, der jetzt ausgerufen wurde. Alles gut. Macht das“, sagt er mit einem süffisanten Lächeln in seinem Video. „Ich hasse Extremisten, ob links, ob rechts. Alles scheißegal.“ Das klingt so, als ob er Extremismus von links für derzeit genauso gefährlich wie den von rechts halten würde, obwohl in Ostdeutschland bekanntlich nicht Autonome stärkste politische Kraft zu werden drohen, sondern die AfD.

In einem anderen Video behauptete Lee über die Demos gegen Rechtsextremismus: „Man will ablenken von dem Wahnsinn, der hier los ist. Rentenalter soll auf 69 hochgesetzt werden.“ Auch das ist falsch. Es gibt zwar ExpertInnen, die ein höheres Renteneintrittsalter wegen des demografischen Wandels für nötig halten. Aber beschlossen ist das keineswegs.

Lee hat kein Problem damit, Kommentare für die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit zu schreiben. Oder in einem langen Video gemeinsam mit einer Landesvorsitzenden der Querdenkerpartei „die Basis“ aufzutreten. Sie duzen sich sogar. Mehrmals hat er rechten Medien wie Tichys Einblick Interviews gegeben. Und bei einer Veranstaltung 2021 hatte sich Lee ausländerfeindlich und „klimaskeptisch“ geäußert, wie die taz damals berichtete. „Mein Vater war britischer Soldat bei der Rheinarmee. Und mein Opa war Waffen-SS-Offizier. Das heißt also, wenn ich Klartext spreche, hat das seine Gründe“, sagte der Landwirt seinerzeit bei der Gründungsversammlung des Hannoveraner Regionalverbands der Werteunion. Die Waffen-SS war für zahlreiche Massaker im Zweiten Weltkrieg verantwortlich.

Freie Wähler: Lee habe nur als LSV-Sprecher geredet

Ausdrücklich im Zusammenhang „mit Migrationsgeschichten“ erklärte der Landwirt, der früher Polizist war, 2008 habe es bei der Berliner Polizei eine Anordnung gegeben, dass „2 Polizistinnen nicht allein Streife fahren dürfen“, was die Polizei aber dementierte. Mehrmals lobte Lee Ungarns rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der zusehends Presse und Justiz unter seine Kontrolle bringt.

Zudem stellte der Bauernführer die Verantwortung des Menschen für den Klimawandel infrage. „Wie weit der menschengemacht ist, ja, darüber kann man ja streiten“, wiederholte er eine Behauptung etwa des Ex-AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland von 2019. Einen geplanten Auftritt bei der AfD im März 2023 sagte Lee erst nach Protesten ab.

Lee und LSV Deutschland ließen Bitten der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Der Bundespressesprecher der Freien Wähler, Eike Jan Brandau, schrieb der taz auf Anfrage: „Herr Lee ist Aktivist von LSV und hat sich auf den Demos ausschließlich in dieser Funktion geäußert.“ Allerdings postet Lee einen Großteil seiner Videos auf einer Facebookseite mit Freie-Wähler-Logo im Titelbild.

Gleichzeitig unterstützte Brandau Lee inhaltlich. „Richtig ist mit Blick auf eines seiner aktuellen Interviews, dass der Rückgang landwirtschaftlicher Nutzflächen die Konkurrenz um den knappen Boden in Deutschland erhöht hat“, so der Freie-Wähler-Sprecher. Das Statistische Bundesamt hat jedoch gerade wieder festgestellt, dass die „Größe der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland bereits seit 2010 beinahe gleich“ blieb.

Brandau ergänzte: „Die drastische Darstellung von Herrn Lee in diesem Interview wollen wir uns als Partei nicht zu eigen machen.“ Weiter schrieb Brandau: „Herr Lee ist nicht rechtsradikal. Der aktive Kampf gegen den Rechtsextremismus und für die Demokratie gehört zu den Grundwerten von FREIE WÄHLER.“

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Konkurrenz um den knappen Boden in Deutschland" halte ich für eine dreiste Lüge. Ich durfte schon einige kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe kennenlernen. Die hatten durchaus auch Probleme. Mangel an nutzbarem Boden gehörte nicht dazu.

    Am meisten kotzt mich an unseren "Bauern" das ständige Gejammer an. Das geht ja seit Jahrzehnten schon so. Entweder zuviel Regen oder zu wenig. Zu schlechte Ernte. Zu gute Ernte ist auch wieder Mist, weil da die Preise angeblich runter gehen (sieht man halt nirgendwo im Laden). Das ständige Geflenne gegen Umweltschutz, obwohl diese Hirnakrobaten selbst auf eine intakte Umwelt angewiesen sind.

    Vielleicht sollte man die Landwirtschaft wieder verstaatlichen. In den LPGs wurde um ein vielfaches weniger rumgeheult und Rechtsextremisten durften ihren Dreck auch nicht offen verbreiten...

    • @Matt Olie:

      Sie liegen mit ihrer Analyse schlicht falsch.



      Wenn Sie die Landwirtschaft verstaatlichen wollen, bestätigen Sie Lees Aussage, daß der Staat die Flächen der Bauern haben will.Haben Sie das nicht bemerkt?

  • DANKE!

  • Schau mal hier



    de.statista.com/st...he-in-deutschland/

    Die Flächen bleiben ziemlich gleich

    Die Anzahl der Höfe sinkt.

    www.destatis.de/DE...1/PD24_021_41.html

  • "Die Agrarfläche blieb deshalb in den vergangenen Jahrzehnten trotz „Höfesterbens“ ungefähr gleich groß: rund 16 Millionen Hektar"

    Kann ich dazu mal bitte eine Quelle haben, ich glaube es nämlich schlicht und einfach nicht. Wenn ich sehe, was hier in NRW in den letzten jahren an Ackerfläche zugebaut wird mit neuen Wohn- und Industriegebieten, das ist ja für jeden Sichtbar, da kann die Fläche wohl kaum die gleiche geblieben sein.



    Nichtsdestotrotz wurden diese Flächen natürlich ganz legal aufgekauft und nicht irgendjemandem "weggenommen", das ist natürlich kompletter Blödsinn.

    • @PartyChampignons:

      Ich sehe das wie ähnlich wie Sie. Nach Angaben von BMUV werden täglich 55ha als Siedlungs- und Verkehrsfläche ausgewiesen. Hinzu kommen da noch die Ausgleichsverpflichtungen nach Baugesetzbuch und Bundesnaturschutzgesetz.Natürlich kann man da Ackerland in Magerwiesen wandeln um Ausgleichspunkte zu sammeln. Da bliebe Landwirtschaftliche Nutzfläche gleich. Die zugebauten 55 ha am Tag gehen allerdings netto verloren. Oder wir können behaupten, dass wir getrost weiterbauen können, da sich an der LNF ja kaum was ändert.



      Übrigens, als Lee einen Kommentar für die JF geschrieben hat, hat er nach meinem Empfinden einen Fehler gemacht. Das passt auch nicht mit:



      - „Ich hasse Extremisten, ob links, ob rechts. Alles scheißegal.“- zusammen.

    • @PartyChampignons:

      Den Eigentümern wurden die Flächen natürlich nicht weggenommen. Die haben sehr viel Geld dafür bekommen. Den darauf angewiesenen Pächtern wurden sie aber damit entzogen. Der größte Teil der Agrarflächen sind verpachtet.

      • @Martin17:

        Genau das ist in Deutschland das größte Problem. Die Erben von Flächen sind lange keine Bauern mehr und verpachten nur noch. Viele haben jeglichen Bezug dazu verloren. Sie wissen manchmal werder wo genau ihr Land liegt, noch welche Bewirtschaftung darauf statt findet und wie der Bauer damit umgeht. Wenn das dann Bauland wird, freut er sich einfach nur über den warmen Geldregen, während der Pächter manchmal 2fach das Nachsehen hat und auch noch die Ausgleichsfläche zur Verfügung stellen soll.

    • @PartyChampignons:

      ... das hat mich natürlich auch interessiert. Laut destatis nahm die LF zwischen 2001 und 2023 um 595.223 ha bzw. 3,48 % ab. Bei 17.095.823 ha (2001) und 16.500.600 ha (2023) ist „rund 16 Millionen Hektar“ unsauber.

      Die Thematisierung von Lee bleibt aber natürlich wichtig und richtig. Auch wenn ich ein paar Argumente etwas spitzfindig fand.