Fall Oury Jalloh: Brandsimulation stützt Mordthese
Ein Sachverständiger hat den Brand in der Dessauer Polizeizelle originalgetreu simuliert – mit einem eindeutigen Ergebnis.
In einer aufwändigen Rekonstruktion hatte ein Team um Peck die Zelle Nummer 5 im Dessauer Polizeirevier nachgebaut. In Auftrag gegeben hatte dies die Initiative Gedenken an Oury Jalloh, die dessen Familie beim Klageverfahren unterstützt. Um die Brandeigenschaften eines menschlichen Körpers zu simulieren, ließ Peck Schweinehaut und Schweinefleisch auf ein Plastikskelett nähen. Dem Dummy wurde die gleiche Kleidung angezogen, wie Jalloh sie am Tag seines Todes trug: eine schwarze Cordhose und ein weißes T-Shirt.
30 Minuten lang ließ Peck das Feuer lodern – genau so viel Zeit war 2005 zwischen dem Feueralarm und dem Eintreffen der Feuerwehr in der Zelle vergangen. Schließlich, und das ist wohl das Entscheidende, übergoss Peck die Matratze mit 2,5 Litern Benzin. „Wir wissen nicht, welcher Brandbeschleuniger beim realen Brand verwendet wurde, und wir können die genaue Menge nicht bestimmen“, sagte Peck am Mittwoch. Klar sei aber, dass solcher zum Einsatz gekommen sein muss. „Das bloße Entzünden der Matratze oder der Kleidung würde niemals einen solchen Grad an Verkohlung nach sich ziehen.“
Die Initiative stellte am Mittwoch Bilder vom ausgebrannten Zellennachbau und stellte diese neben das – aus bis heute ungeklärten Gründen abgebrochene – Tatortvideo der sachsen-anhaltischen Polizei. Nach Aussage Pecks entspricht der darauf zu erkennende Zustand der Zellwände, der Matratze sowie der Leiche Jallohs weitgehend jenem seiner Simulation. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Grad an Übereinstimmung, den wir erzielen konnten.“
Alle Verfahren eingestellt
Die Staatsanwaltschaft hatte während mehrerer Gerichtsverfahren lange auf eine Brandsimulation verzichtet. 2013 beauftragte die Initiative deshalb einen ersten Brandgutachter. Der stellte bereits damals fest: So restlos verkohlt, wie Jallohs Leiche war, muss Brandbeschleuniger verwendet worden sein. Der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann sprach damals von „sehr ernsten, überraschenden und zum Teil erschreckenden Informationen“. Drei Jahre später, im August 2016, ließ die Staatsanwaltschaft einen Brandversuch am Institut für Brand- und Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde durchführen. Dessen Anordnung wich in einer Reihe von Punkten allerdings von den Bedingungen im Polizeirevier ab.
Bald darauf aber schreibt Bittmann in einem Aktenvermerk, er gehe davon aus, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers „mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot“ war. Vermutlich sei er mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden. Dies legten sechs Gutachter nahe, die Bittmann konsultierte.
Das Motiv könnte nach Auffassung Bittmanns gewesen sein, dass dem Asylbewerber zuvor zugefügte Verletzungen vertuscht werden sollten. Der Staatsanwalt benennt konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizei. Die aber sind bis heute unbehelligt – der Fall wurde Bittmann entzogen, alle Verfahren wurden eingestellt. Die Justiz geht offiziell davon aus, dass Jalloh sich selbst mit einem Feuerzeug anzündete, das bei seiner Durchsuchung übersehen worden war.
„Die Einstellung des Verfahrens ist in keinem Punkt nachvollziehbar“, sagte am Mittwoch Nadine Saeed von der Initiative. „Alle Sachverständigen kamen aus wissenschaftlicher Sicht immer zum gleichen Ergebnis: dass ausgeschlossen ist, dass er sich selbst angezündet hat.“ Die Behauptung der Politik, der Fall könne heute nicht mehr aufgeklärt werden, sei falsch. Die Täter seien namentlich bekannt.
Klage vor Verfassungsgericht
Beim Bundesverfassungsgericht ist ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren anhängig. Es richtet sich gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg. Das hatte im Oktober 2019 entschieden, dass es rechtens sei, dass ein Mordermittlungsverfahren zuvor eingestellt wurde. Saeed sagte, die Initiative werde auf Grundlage des neuen Gutachtens von Peck rechtliche Schritte einleiten, unter anderem eine Anzeige wegen „Strafvereitelung im Amt“ stellen.
Zudem appellierte sie an den Generalbundesanwalt, den Fall doch noch an sich zu ziehen. Man habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass man die Justiz zu nichts zwingen könne – außer dazu, „ihre Lügen immer weiter zu spinnen“, so Nadine Saeed.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid