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Fahren ohne FahrscheinStädte verhängen mildere Strafen

7.000 müssen jährlich in Haft, weil sie ohne Ticket erwischt wurden. Der Bund will das Delikt entkriminalisieren. Einige Orte sind schon weiter.

Von hier aus geht es demnächst auch ohne Ticket nicht mehr ins Gefängnis: Stadtbahn in Köln Foto: imago

Berlin taz | „Diese Menschen kurzfristig ins Gefängnis zu sperren, hilft niemandem“, sagt Catherine Schöppen, Mitglied der FDP-Fraktion im Kölner Stadtrat. Weil sie ohne Fahrschein Bus oder Bahn gefahren sind, sitzen in Deutschland jährlich rund 7.000 Leute in Haft, schätzt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. In Köln soll damit Schluss sein. Eine Fahrt ohne Ticket soll in der Domstadt in Zukunft zwar Folgen haben, „aber nicht mehr ins Gefängnis führen“, sagt Schöppen.

Das hat der Kölner Stadtrat im Dezember 2023 beschlossen. Bisher konnten die Kölner Verkehrsbetriebe KVB Strafanzeige erstatten, wenn ihre Kon­trol­leu­r:in­nen eine Person dreimal innerhalb eines Jahres oder viermal binnen zwei Jahren ohne Fahrschein erwischt haben. Laut Paragraf 265a des Strafgesetzbuches gilt Fahren ohne Fahrschein als „Beförderungserschleichung“ und damit als Straftat – seit 1935, Nazis haben den Straftatbestand eingeführt.

Den Antrag zum Verzicht auf Strafanzeigen brachten die Kölner FDP gemeinsam mit den Grünen, der SPD, der Linken und Volt in die Ratssitzung ein. Schöppen habe das Thema in ihrem Kreisverband angestoßen, schreibt der Referent ihrer Fraktion. Die FDP-Politikerin arbeitet als Strafverteidigerin und sitzt im Anstaltsbeirat der Justizvollzugsanstalt Köln. „Da habe ich Erfahrungen damit gemacht, wie problematisch das System der Ersatzfreiheitsstrafe für Menschen in prekären Lebenslagen ist“, sagt sie.

4.400 Menschen waren zum Stichtag 30. Juni 2022 laut Statistischem Bundesamt hinter Gittern, weil sie eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen mussten. Davon war jede vierte Person wegen Fahrens ohne gültigen Fahrausweis inhaftiert, zeigt eine kriminologische Studie der Uni Köln. Für Passagier:innen, die ohne Ticket erwischt werden, fällt ohnehin ein erhöhtes Beförderungsentgelt an. Das sind meist rund 60 Euro, je nach Verkehrsverbund, erklärt Schöppen.

Wenn die Verkehrsbetriebe darüber hinaus einen Strafantrag stellen, drohen zusätzliche Geldstrafen. Wer die nicht zahlen kann, landet schlimmstenfalls hinter Gittern. Dabei sind laut der Studie die meisten derjenigen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, von Armut betroffen: Drei Viertel sind Langzeitarbeitslose, jede fünfte Person hat keinen festen Wohnsitz.

Fahren ohne Fahrschein wird zur Ordnungswidrigkeit

Fahren ohne Fahrschein soll entkriminalisiert werden und nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit gelten – wie Falschparken zum Beispiel. So plant es Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bei seiner Modernisierung des Strafrechts, deren Eckpunkte er im November vorstellte. Danach bleibt das erhöhte Beförderungsentgelt bestehen, ein Bußgeld für die Ordnungswidrigkeit könnte obendrauf kommen.

„Eine ungerechte Doppelbestrafung“, schreibt die Initiative Freiheitsfonds in einem Post auf Instagram. Mit Spenden befreit der Freiheitsfonds Menschen, die ohne Ticket unterwegs waren und nach einer Anzeige eingesperrt wurden. Dass das Ministerium die Entkriminalisierung angeht, sei gut. Aber: „Auch nicht bezahlte Ordnungswidrigkeiten können zu Haft führen – zu Erzwingungshaft“, heißt es in dem Post.

Tatsächlich will die KVB weiterhin schon den „Anspruch auf ein erhöhtes Beförderungsentgelt gegebenenfalls auf zivilrechtlichem Weg geltend machen“, wie ein Sprecher auf Anfrage der taz betont. Die KVB nehme den Beschluss des Stadtrates ernst und warte nun darauf, dass die Politik den Konzernvorstand offiziell zur Umsetzung anweist. So richtig glücklich über die Neuerung ist der Verkehrsbetreiber aber nicht: „Wenn wir in Zukunft auf Anzeigen verzichten, befürchten wir eine negative Signalwirkung, die die Quote der Fahrgäste ohne gültigen Fahrausweis deutlich erhöhen könnte“, so der Sprecher. Die Strafbarkeit habe grundsätzlich „eine abschreckende Wirkung“.

Mit diesem Argument warteten auch die Kri­ti­ke­r:in­nen in der Kölner Politik auf, erzählt Catherine Schöppen. Die FDP-Ratsfrau findet, Gefängnis für dieses Vergehen sei unverhältnismäßig, 60 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt seien Abschreckung genug. Ob nun nach der Reform des Strafrechts auf Bundesebene jede Fahrt ohne Fahrschein zusätzlich mit einem Bußgeld bestraft wird, steht noch nicht fest. Wann die Novelle in Kraft treten wird, ist auch noch unklar, wie das Bundesjustizministerium mitteilte.

Städte verzichten auf Paragraf 265a

Nicht nur Köln will schon vorher auf Strafanträge verzichten: In Düsseldorf müssen Fahrgäste bereits seit Juni 2023 keine Anzeigen mehr fürchten. Die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden fällte im November 2023 eine entsprechende Entscheidung, Münster folgte im Dezember. Ebenfalls im Dezember stellte die Linke in Halle an der Saale einen Antrag, der aktuell in den Ausschüssen des Stadtrates diskutiert wird.

„Es ist gut, dass die Städte die Initiative ergreifen“, sagt Arne Semsrott, Gründer und Vorstand des Freiheitsfonds. Das zeige umso mehr die Absurdität des Paragrafen 265a: Wenn Städte per Beschluss auf Strafanträge verzichten, obwohl das Gesetz Strafanträge möglich macht, habe der Straftatbestand in diesem Fall offensichtlich keinen Sinn, so Semsrott.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die Verurteilten könnten anstatt ins Gefängnis auch ihre Geldstrafen ehrenamtlich abarbeiten. 6 stunden prof hafttag. "Schwitzen satatt sitzen". Mit Zb. Obdachlosen oder Asylbewerbern.

    Und wenn dann mit Bußgeldern bestraft wird, wer das nicht bezahlt kann in Erzwingungshaft genommen werden. Ehrenamtlich abarbeiten ist dann nicht möglich.

  • taz: „Dabei sind laut der Studie die meisten derjenigen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, von Armut betroffen: Drei Viertel sind Langzeitarbeitslose, jede fünfte Person hat keinen festen Wohnsitz.“

    Armut? Das Wort kennen unsere 'Volksvertreter' doch gar nicht, denn in ihrer Welt gibt es nur reiche Manager und andere reiche "Leistungsträger", die sich mit dem einfachen Volk ohnehin nicht in einen Bus oder in eine Bahn setzen würden.

    Wie im obigen taz-Artikel schon erwähnt wurde, handelt es sich bei 'Fahren ohne Fahrschein' ("Erschleichen von Leistungen") um den § 265a StGB, der am 1. September 1935 in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Jan Böhmermann hat über diesen 'Naziparagraphen' aus dem Jahr 1935 schon vor 2 Jahren eine Sendung gemacht.

    ***Fahren ohne Fahrschein: Unnötigste Straftat seit 1935 | ZDF Magazin Royale*** www.youtube.com/watch?v=iWX3pqbidKk

  • Was ja noch hinzu kommt ist die Beweislast bei elektronischen Tickets.



    Die trägt nämlich der Fahrgast.



    D.h. es ist durchaus nicht ungewöhnlich dass bei einer Ticketkontrolle die Technik streikt und sie als Fahrgast müssen sich anschließend ein Bein ausreißen um zu belegen dass sie ein Ticket besitzen und das auch in der Bahn mitgeführt hatten.

    Die Bahn weiß das natürlich und gibt sich "kulant" - aber das ist ja ganz von Wohlwollen der Bahn abhängig.

    • @Bolzkopf:

      Ich kenne nur Tickets, welche downloadbar, also jedezeit auch offline vorzeigbar sind. Zumindest auf dem Planeten Erde. Beine können also dranbleiben, so man Herr der eigenen Technik ist. ;-)

      • @Trabantus:

        Was nutzt ihnen das "Ticket" wenn die Technik der Bahn das nicht lesen kann bzw. nicht als gültig erkennt ?



        Dann werden sie erstmal einer Straftat falsch bezichtigt.

        Und die Illusion "Herr der eigenen Technik" zu sein platzt spätestens wenn das Ticket in der Cloud liegt (was so manches Smartphone ganz gerne so hintenrum erledigt) und sie nicht drankommen.

        Wenn die Bahn schon digitale Ticket fordert soll sie gefälligst das gesamte Risiko selber tragen.

        Sonst haben wir bald Fälle wie die jüngst bei der Britischen Post.

        www.zdf.de/nachric...r-horizon-100.html

        • @Bolzkopf:

          Cloudnutzung kann man ausschließen, Sich davon abhängig zu machen, zeugt von Naivität, meiner Meinung nach. Jedes Ticket, als PDF runtergeladen ist jederzeit offline lesbar. Einen Versuch ist es wert und erspart dann den von Ihnen so heftig herbeigeschriebenen Ärger.

          • @Trabantus:

            Wir können das noch lange diskutieren.

            Tatsache ist, dass sie in "analogen Zeiten" ein Ticket ausgehändigt bekommen haben. Am Schalter, am Automat oder im Zug.



            Und das war dann gültig. Auf jeden Fall.



            Auch wenn der Akku leer war, wenn die Cloud weg war, oder gar wenn man keine Smartphone will oder kann.

            Und Das hat die Bahn einfach mal wegoptimiert. Zu Lasten des Kunden.

            Und der Kunde findet das gut.



            Weil es nämlich niemanden am Bahnhof gibt der einem ein Ticket verkauft und die Automaten oft genug streiken.



            Un im Zug ein Ticket lösen - beim "Schaffner" ?



            Flötepiepen oder genauer: Straftat !

  • Das ist doch mal eine gute Entscheidung.