Ersatzfreiheitsstrafen und ÖPNV: 67 Personen freigekauft

Wer ohne Fahrkarte erwischt wird und Bußgelder nicht bezahlen kann, muss in den Knast. Der Freiheitsfonds hat nun erneut einige davor bewahrt.

Eine leere Wartebank in einem Ubahnhof

Dass vorsätzliches Fahren ohne Fahrschein eine Straftat ist, liegt am §265a des Strafgesetzbuches Foto: Sebastian Gabsch/imago

BERLIN taz | 141 Euro Strafe, weil er ohne Ticket gefahren war: Die konnte ein Mann aus Berlin nicht zahlen, obwohl der Tagessatz bei nur einem Euro lag. Deshalb kam er in den Knast, 141 Tage, fast fünf Monate, sollte er in der JVA Berlin-Plötzensee einsitzen. Doch jetzt hat die Initiative Freiheitsfonds ihn und bundesweit 66 weitere Menschen freigekauft. Mit der Aktion seien in der Summe mehr als zwölf Jahre Haft gelöscht worden, erklärte der Freiheitsfonds am Montag.

Die Kampagne setzt sich für eine Entkriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein ein und begleicht die Strafen von Menschen, die deswegen im Gefängnis sitzen. Seit ihrer Gründung im Dezember 2021 wurden laut eigenen Angaben in ganz Deutschland 783 Menschen befreit und so 149 Jahre Haft gestrichen, wodurch der Staat Haftkosten in Höhe von rund 11,6 Millionen Euro gespart habe. Die Strafzahlungen summierten sich derweil auf nur knapp 720.000 Euro.

Allein im Fall des Berliners, der 141 Euro schuldete, hätte jeder einzelne Hafttag den Staat mehr gekostet, als der Betroffene insgesamt hätte zahlen müssen, rechnet der Freiheitsfonds vor. Die Gesamtkosten der Bestrafung wären 150 Mal höher als der ausstehende Betrag gewesen.

„Freedom Day“ nennt der Freiheitsfonds seine Aktionen. Für die Freilassung der 67 Inhaftierten am Montag zahlte die Initiative knapp 51.000 Euro. Zum ersten Mal beteiligte sich auch die Kampagne „9-Euro-Fonds“ an den Kosten. Rund 10.000 Euro habe man beigesteuert, sagte deren Sprecher Leo Maurer der taz. Auch in Zukunft wolle man zusammenarbeiten, den Freiheitsfonds sieht Maurer als ein „Schwesterprojekt“.

50.000 Häftlinge pro Jahr

Der Grundgedanke ist ähnlich: Wer ohne gültigen Fahrschein angetroffen wird, kann sich an den 9-Euro-Fonds wenden, der dann das „erhöhte Beförderungsentgelt“ übernimmt. So will man Menschen helfen, die sich seit dem Ende des 9-Euro-Tickets kein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr leisten können. Das eigentliche Ziel der Kampagne sei aber günstiger Nahverkehr. „Aber selbst der wäre für manche zu teuer“, erklärt Leo Maurer. Zu einer klimagerechten Verkehrswende gehöre deshalb auch, Fahren ohne Ticket zu entkriminalisieren, so Maurer.

Dass vorsätzliches Fahren ohne Fahrschein überhaupt eine Straftat ist, liegt am Paragrafen 265a des Strafgesetzbuches. Er wurde 1935 von den Nationalsozialisten eingeführt. Demnach wird das „Erschleichen von Leistungen“ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet – oder einer Geldstrafe. Und wer die nicht abarbeiten oder zahlen kann, muss ersatzweise in den Knast: einen Tag pro Tagessatz. Es trifft also meistens arme Menschen. Denn wer sich keinen Fahrschein leisten kann, kann meistens erst recht keine Geldstrafe begleichen.

Pro Jahr werden in Deutschland mehr als 50.000 Personen wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert – die meisten, weil sie ohne gültiges Ticket Bus oder Bahn gefahren sind.

Die Ampelkoalition hat versprochen, sowohl den Straftatbestand der „Leistungserschleichung“ als auch die Ersatzfreiheitsstrafen zu prüfen. Mitte März legte das Justizministerium von Marco Buschmann (FDP) eine Reform des Sanktionsrechts vor, das auch die Ersatzstrafen umfasst. Der Entwurf sieht vor, die Haftdauer zu halbieren: Zwei Tagessätze sollen mit einem Tag im Gefängnis abgegolten werden können. Insgesamt sollen die Strafen aber als Druckmittel bestehenbleiben. Bei der Entkriminalisierung des Fahrens ohne Ticket ist es bislang bei den Ankündigungen geblieben, Eckpunkte oder gar einen Gesetzentwurf gibt es noch nicht.

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