Reform der Ersatzfreiheitsstrafe: Freifahrtschein aus dem Knast

Die Initiative Freiheitsfonds kauft 75 Schwar­zfah­re­r*in­nen aus dem Gefängnis frei und fordert die Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen.

Blick aus einem vergitterten Fenster auf die Backsteinwand eines Gefängnisses

Zelle in der JVA Plötzensee: Hier werden Menschen inhaftiert, die eine Geldstrafe absitzen müssen Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Lautes Klappern mit Spendendosen, Applaus und vereinzelter Jubel ist vor dem Bundestag zu hören, als die Zahl der Gefangenen, die an diesem Tag bundesweit befreit wurden, bekannt gegeben wird: 75 Menschen, darunter 10 Frauen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein verbüßen, konnte die Initiative Freiheitsfonds am Mittwoch mit Spendengeldern aus dem Gefängnis freikaufen.

Rund 57.000 Euro hat die Aktion laut Initiator Arne Semsrott gekostet. Damit konnten 4.654 Tage Gefängnis, also mehr als zwölf Haftjahre, getilgt werden. „Das ist die größte Gefangenenbefreiung der deutschen Geschichte“, ruft Semsrott den 30 Ak­ti­vis­t*in­nen zu. Sie haben sich an diesem „Freedom Day“ in Berlin versammelt, um für die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe zu demonstrieren.

Insgesamt hat der Freiheitsfonds seit seiner Gründung vor anderthalb Jahren bereits 716 Schwarz­fah­re­r*in­nen aus Gefängnissen ausgelöst. „Wir hätten noch viel mehr befreien können, es gab so viele Anträge wie noch nie“, sagt Semsrott zur taz. Das führt der Aktivist darauf zurück, dass sich die soziale Situation für arme Menschen verschärft hat. „Immer mehr Menschen können sich ihre Geldstrafen nicht leisten und müssen ins Gefängnis. Dadurch werden sie aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen, verlieren ihre Wohnung oder ihren Therapieplatz.“

Strafe vor Gesundheit

Einer dieser Menschen ist Hasan. Der Berliner war laut der bundesweiten Gefangenengewerkschaft GG/BO vor Antritt seiner Ersatzfreiheitsstrafe in einer Entgiftung und hatte sich bereits um eine anschließende Langzeittherapie gekümmert. Die Berliner Staatsanwaltschaft habe seine Haft jedoch nicht aufgeschoben und Hasan sei direkt aus der Entzugsklinik in die JVA Plötzensee geschickt worden – wodurch er seinen Therapieplatz verloren habe.

„Das ist unverhältnismäßig“, sagt GG/BO-Sprecher Manuel Matzke zur taz. „Die Ersatzfreiheitsstrafe wurde höher gestellt als seine Gesundheit.“ Angesichts der langen Wartezeiten sei es nun extrem schwierig, einen neuen Therapieplatz zu finden

Dabei gibt es eigentlich ein Gesetz, das Gesundheit vor Strafe stellt: Laut Paragraf 35 Betäubungsmittelgesetz kann eine Haftstrafe bis zu zwei Jahre ausgesetzt werden, wenn der Betroffene sich wegen seiner Abhängigkeit in eine Therapie begibt. Doch ausgerechnet für Ersatzfreiheitsstrafen gilt dieser Paragraf nicht. „Das ist völlig unverständlich, immerhin handelt es sich bei Geldstrafen um Bagatelldelikte“, kritisiert Matzke die Ungleichbehandlung von Gefangenen.

Vor allem arme Menschen betroffen

Tatsächlich sitzen die meisten der mehr als 50.000 Menschen, die jedes Jahr wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert werden, wegen Fahrens ohne gültigen Fahrschein ein. Danach erst folgen Diebstahl und andere Kleinkriminalität. „Diese Form des Freiheitsentzugs trifft fast ausschließlich arme Menschen“, kritisiert Anthony Obst von der Initiative Justice Collective, die Teil des Bündnisses zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe ist.

Am internationalen Tag gegen Polizeigewalt will er auch darauf aufmerksam machen, dass vor allem stigmatisierte Menschen – Migrant*innen, Obdachlose, Drogenabhängige – kontrolliert und eingesperrt werden.

Laut der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin, wo bundesweit die meisten Schwarz­fah­re­r*in­nen inhaftiert sind, haben 40 Prozent der Er­satz­frei­heits­straf­le­r*in­nen keinen festen Wohnsitz. Die Arbeitslosenquote liegt demnach zwischen 60 und 85 Prozent, viele sind massiv verschuldet, drogensüchtig oder psychisch krank. Dass es sich bei den Ersatzfreiheitsstrafen um eine unsoziale Praxis handelt, die arme Menschen diskriminiert, ist zumindest in Berlin angekommen.

Reform des Sanktionsrechts auf dem Weg

„Das Problem, dass Menschen im Gefängnis landen, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, kann nicht durch die Zivilgesellschaft gelöst werden, sondern es braucht eine legislative Lösung“, so Justizsenatorin Lena Kreck mit Blick auf den „Freedom Day“ zur taz. Die Linken-Politikerin würde Ersatzfreiheitsstrafen am liebsten abschaffen, auch einige Gefängnisleitungen sprechen sich dafür aus. Damit wäre nicht nur das Problem der Überbelegung von Gefängnissen gelöst, es wäre auch sehr viel günstiger. Ein Haftplatz kostet im Schnitt 200 Euro pro Tag – ein Vielfaches der Geldstrafe, die die Betroffenen absitzen müssen.

Das Justizministerium sieht in der Ersatzfreiheitsstrafe jedoch „ein effektives Druckmittel zur Durchsetzung der Geldstrafe“, so ein Sprecher zur taz. Vor dem Hintergrund, dass fast 90 Prozent aller Verurteilungen auf Geldstrafe lauten, sei dies „leider notwendig“. Die von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vorgelegte Reform des Sanktionsrechts sieht deshalb nur eine Halbierung der Haftdauer vor. Am Mittwochabend wird der Vorschlag in erster Lesung im Bundestag diskutiert.

Den De­mons­tran­t*in­nen vor dem Bundestag reicht das nicht aus. Immerhin würde dadurch keine einzige Person davor bewahrt, wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis zu müssen. Sie wollen weiter Druck machen, bis „diese Form der Klassenjustiz“ abgeschafft wird.

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