FDP-Pläne für Wirtschaftswende: FDP will wenden, wo soll das enden?
Mit einem 12-Punkte-Papier heizt die FDP den Streit in der Koalition neu an. Die SPD ist empört, die Union höhnt, Grüne bleiben gelassen.
Bijan Djir-Sarai sah sich am Montag unter Rechtfertigungszwang. Die FDP habe „das Recht, eigene Positionen vorzutragen“, betonte der FDP-Generalsekretär am Morgen nach Beratungen des Präsidiums seiner Partei vor der Presse. Mit dem Rücken zur gemauerten Wand der Parteizentrale in Berlin forderte er fast flehentlich Verständnis für den Vorstoß der FDP ein: Von einer gezielten „Provokation“ könne keine Rede sein.
Am Wochenende waren neue Pläne der FDP bekannt geworden. Demnach will sie die Leistungen für Empfänger von Bürgergeld künftig sofort um 30 Prozent kürzen, wenn diese Angebote verweigern. Außerdem will sie die Subventionen für Wind- und Solarenergieanlagen abschaffen, die Rente mit 63 für bestimmte Beitragszahlende beenden und das Lieferkettengesetz aussetzen. All das steht in einem 12-Punkte-Papier, aus dem die Bild am Sonntag vorab zitierte. Am Montag wurde das Papier vom FDP-Präsidium abgesegnet. Djir-Sarai machte deutlich, dass es eine Vorlage für den Parteitag der FDP am Wochenende in Berlin sein wird. Dort würden die Fragen in einem Leitantrag ausführlicher behandelt.
Die SPD hatte prompt auf die Pläne reagiert. Wenn die FDP glaube, „dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig“, holzte SPD-Chef Lars Klingbeil. SPD-Generalsekretär Kühnert sagte, seine Partei werde es nicht zulassen, „dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird“. Die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten für die Europawahl, Katarina Barley, sprach am Montag in Berlin von einem „Anti-Sozial-Papier“, riet aber zur Gelassenheit: Es gelte noch immer der Koalitionsvertrag.
Linken-Chefin Janine Wissler bezeichnete das FDP-Papier am Montag als „Dokument der sozialen Grausamkeit“. Mit Blick auf geplante schärfere Sanktionen beim Bürgergeld sagte sie: „Was die FDP hier vorschlägt, ist nicht nur schäbig und verwerflich, sondern auch noch verfassungswidrig.“
„Scheidungsurkunde der Ampel“
Die Grünen hielten sich zunächst damit zurück, die Vorschläge der Liberalen zu kommentieren. Nur Außenministerin Annalena Baerbock mahnte staatstragend an, die Vorschläge der FDP seien „angesichts der aktuellen Weltlage“ problematisch. Parteichef Omid Nouripour reagierte am Montag betont gelassen. Es sei nicht neu, dass man in vielen Dingen unterschiedliche Ansichten habe.
CSU-Chef Markus Söder bezeichnete das FDP-Papier dagegen höhnisch als „Scheidungsurkunde der Ampel“ und forderte die FDP auf, die Koalition zu verlassen. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte, das Papier lese sich wie „Lambsdorff 2.0'“ – ein Seitenhieb auf den ehemaligen FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der 1982 mit einem ähnlichen Papier den Wechsel von einer sozialliberalen Koalition in ein Bündnis mit der Union unter Helmut Kohl vorbereitet hatte. Seine Partei sei zur Zusammenarbeit bereit, warb er um die FDP.
Davon wollten Djir-Sarai und Marie Agnes Strack-Zimmermann, die ihm als Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl am Montag zur Seite stand, nichts wissen. Die FDP wolle sich innerhalb der Koalition „dafür starkmachen, dass diese Dinge umgesetzt werden“, sagte Djir-Sarai. „Für uns sind diese Themen zentral.“ Man werde bei den anderen Parteien dafür werben, sei sich aber der Grenzen der eigenen Möglichkeiten bewusst.
Auf dem FDP-Parteitag am Wochenende könnten weitere Punkte dazukommen, sagte der Generalsekretär. „Das ist nicht ein Parteitag der Grünen, das ist nicht ein Parteitag der SPD, es ist auch nicht ein Parteitag der Ampelkoalition. Das ist ein Parteitag der FDP“, betonte Djir-Sarai das Offensichtliche. Es klang leicht verzweifelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana