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Ex-SPD-Chef über Wahlkampf„Ein gewisser Optimismus“

Norbert Walter-Borjans glaubt, dass die Sozialdemokraten die Wahl wie 2021 noch drehen können – wenn sie nicht nur auf Olaf Scholz setzen.

Foto: Axel Schmidt/reuters
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Walter-Borjans, die Union liegt in Umfragen bei 30 Prozent, die SPD bei 15. Schafft die SPD die Wende noch?

Norbert Walter-Borjans: Ich gehöre zu den Grundoptimisten. Es gibt Ähnlichkeiten und Unterschiede zu der Situation 2021. Zwei Monate vor der Wahl waren wir 2021 ungefähr da, wo wir jetzt auch sind. Der Trend kehrte sich erst gut einen Monat vor dem Wahltag um. Friedrich Merz hat so wenig Zustimmung wie Armin Laschet damals. Es gibt also ein paar Zutaten, aus denen man einen gewissen Optimismus schöpfen kann.

Olaf Scholz ist aber auch unbeliebt. Und er ist Kanzler einer gescheiterten Regierung.

Ja, es gibt auch Unterschiede. Die Ampel hat einen schlechten Ruf, auch wenn sie in vielem besser war als ihr Image. Das öffentliche Ansehen von Olaf Scholz ist anders als 2021, auch weil Scholz' Stärke das Tun ist, nicht die Kommunikation. Daraus muss man Konsequenzen ziehen.

Welche?

Die SPD hat viele, die erfahren im Umgang mit der Öffentlichkeit sind. Neben den Parteivorsitzenden und Generalsekretär Matthias Miersch könnten Anke Rehlinger, Bärbel Bas, Manuela Schwesig und natürlich Rolf Mützenich, Boris Pistorius und Stephan Weil im Wahlkampf ihr Talent in die Waagschale legen, unverkrampft auf die Menschen zuzugehen. Auch Alexander Schweitzer, der erst seit kurzem rheinland-pfälzischer Ministerpräsident ist.

Also ein Team-Wahlkampf, um Scholz' kommunikatives Defizit auszugleichen?

Es hilft wenig, das von außen zu empfehlen. Entscheidend ist, ob der Kanzler das selbst will. Ich habe dafür immer geworben, weil ich glaube, dass die genannten Köpfe mit ihm als Chef Sozialdemokratie einfach breiter und nahbarer vermitteln können. Es geht nicht um gegeneinander, sondern miteinander. Dann kann die Trendwende auch diesmal gelingen. Ich habe als SPD-Vorsitzender 2021 Olaf Scholz als Kandidaten vorgeschlagen, weil ich von seiner Erfahrung und Intelligenz überzeugt war. Daran hat sich nichts geändert. Die Kompetenz ist vorhanden. Die Kommunikation kann besser werden.

Bild: Stefan Didam via wikimedia commons
Im Interview: Norbert Walter-Borjans

Jahrgang 1952, Spitzname Nowabo, führte von 2019 bis 2021 zusammen mit Saskia Esken die SPD. Zuvor war er von 2010 bis 2017 Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen gewesen.

2021 war Scholz in der Partei unumstritten, diesmal hätten viele lieber Boris Pistorius als Kandidaten gesehen. Hat das der SPD geschadet?

Die Parteiführung hätte die beiden früher an einen Tisch holen sollen, um diese Frage schneller zu klären. Das wäre besser gewesen. Aber ich glaube nicht, dass diese Debatte die Wahlchancen der SPD beeinträchtigt hat.

Hat die Debatte Scholz verunsichert?

Verunsicherung ist nicht die Sache von Olaf Scholz.

Die gesellschaftliche Stimmung ist konservativer als 2021. Damals gab es für die SPD mit dem Slogan Respekt und dem Mindestlohn einen größeren Echoraum als derzeit. Reagiert die SPD auf diese Lage richtig?

Der Widerhall für rechte Politik ist im Augenblick erschreckend groß. Die SPD darf sich an diese Stimmung nicht anpassen. Markus Söder, Friedrich Merz und Christian Lindner spielen die populistische Karte, von der AfD ganz zu schweigen. Für die SPD wäre es fatal, Töne zu produzieren, die in rechte Echoräume passen. Wir werden die Trendwende nicht schaffen, wenn wir eine Politik kopieren, die nicht unsere ist.

Sie waren lange Finanzminister in NRW. Die SPD verspricht 95 Prozent der Steuerzahler zu entlasten, die wirklich Reichen sollen dafür mehr zahlen. Ist das realistisch? Per Einkommensteuer ist bei den oberen fünf Prozent nur wenig zu holen…

Wenn man damit nur die Einkommensteuer meint, stimmt das. Man kann nicht 95 Prozent der Einkommen spürbar steuerlich entlasten, indem man die oberen 5 Prozent ein wenig stärker belastet. Die Steuerreformen der vergangenen Jahrzehnte haben zu einer Abflachung der Steuer im ganz hohen Bereich geführt. Damit trägt die Mitte einen immer größeren Batzen. Wenn die Normalverdiener merken sollen, dass sie weniger Steuern zahlen, sind Sie schnell bei Steuermindereinnahmen im mittleren zweistelligen Milliardenbereich. Das nur durch höhere Einkommensteuern bei den Top-Einkommen hereinholen zu wollen, ist praktisch nicht machbar.

Also meint es die SPD nicht ernst mit der Entlastung Ärmerer?

Doch. Mittlere Einkommen müssen bei der Einkommensteuer entlastet werden. Kleine Einkommen profitieren durch die geplante Senkung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel um zwei Prozent. Das wäre eine echte Entlastung. Um die Reichsten für einen Ausgleich heranzuziehen, braucht man Vermögens- oder Erbschaftsteuer. Mega-Erbschaften von zig Millionen Euro sind leistungsloses Einkommen. Es ist ungerecht, Arbeit zu besteuern und solche Erbschaften steuerfrei zu stellen.

Davon steht nichts auf den SPD-Wahlplakaten…

Es steht im Wahlprogramm. Die Vermögensteuer soll wiederbelebt werden, und es soll bei Erbschaften eine effektive Mindestbesteuerung für große Betriebsvermögen geben. Ich weiß allerdings aus eigener Erfahrung, dass es äußerst schwierig ist, Steuerpolitik in ein griffiges, emotional wirkendes Narrativ zu packen. Nur mit „Umverteilung ist wichtig“ und „Die Reichen müssen mal mehr zahlen“ wird das nicht funktionieren.

Wie dann?

Die richtige Begründung ist, zu erzählen, wofür man das Geld braucht – nämlich für eine pünktliche Bahn, solide Brücken, gute Schulen, Krankenhäuser, Pflege und Digitalisierung. Die Frage, woher das Geld kommt, interessiert die Leute viel weniger als wofür es gebraucht wird. Ich will nicht klagen, aber wenn Finanzpolitiker sagen „Wir müssen darüber reden, wie das bezahlt wird“, ist das Interesse oft bedauerlich gering. In der Bevölkerung, in den Parlamenten, auch bei den meisten Medien.

Meint die SPD ihre Steuerpolitik ernst genug?

Was wir vom Staat erwarten, muss finanziert werden: mit Umverteilung über gerechte Steuern oder mit Krediten. Damit gerät man aber schnell an den Pranger. Deshalb werden diese Themen im Wahlkampf nur sehr leise angesprochen und landen in Koalitionsverhandlungen als erstes im Papierkorb. Den Mindestlohn oder die Mietpreisbremse in Koalitionsverhandlungen zu opfern, ist weit schwieriger als die Vermögensteuer oder höhere Einkommensteuern für Top-Verdienende. Natürlich muss man Kompromisse machen. Aber die SPD tut nach solchen Kompromissen zu oft so, als hätte sie die Umverteilungspolitik, die sie nicht durchsetzen konnte, auch nie gewollt. Das ist falsch.

Die Union steht laut ihrem Wahlprogramm fest zur Schuldenbremse. Wird das so bleiben, falls die Union mit SPD oder den Grünen regiert?

Nein, CDU und CSU werden ihre Position zur Schuldenbremse ändern.

Warum sind Sie sich da so sicher?

Merz hat das schon angedeutet, auch wenn er das wieder zurückgenommen hat. Der Preis der Schuldenbremse ist der Verfall des öffentlichen Vermögens. Die Wirtschaft braucht eine intakte Infrastruktur. Und sie will auch Raum für Steuersenkungen für Unternehmen. In Zukunftsbranchen und für Investitionen sind Steuersenkungen auch sinnvoll. Beides ist mit dieser Schuldenbremse nicht machbar. Mit der CDU/CSU wird es vermutlich eine Reform der Schuldenbremse mit einem eng gefassten Begriff von Investitionen geben. Aber die wird kommen. Die SPD ist auch deshalb gut beraten, die Forderungen nach der Reform der Schuldenbremse offensiv und nicht verdruckst zu vertreten.

Sie waren zwei Jahre SPD-Vorsitzender und haben 2021 auf eine Wiederwahl verzichtet. Tut es Ihnen manchmal leid, nur noch auf der Zuschauertribüne zu sitzen?

Nein. Ich bekomme derzeit mehr Einladungen von der SPD-Basis als ich bewältigen kann. Ich spiele da aber weder den Regierungssprecher noch den Nestbeschmutzer. Ich war gerne SPD-Vorsitzender, aber es war trotzdem richtig aufzuhören. Ich bin 72 Jahre und fühle mich fit. Man sollte bei der extrem kräftezehrenden Arbeit an der Spitze die eigenen Möglichkeiten im Alter realistisch einschätzen. Das sage ich auch an die Adresse von Friedrich Merz, der mit knapp 70 Jahren Kanzler werden will.

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13 Kommentare

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  • Habe ich etwas verpasst?



    ich habe seit 1982 nicht erlebt, dass die SPD reiche Menschen und Unternehmer wirklich besteuern will.

    Mit der Riester und den Hartz-Reformen hat die SPD der unteren Mittelschicht stark zugesetzt. Keine andere Partei hat die Verarmung und den Niedriglohnsektor so befördert wie die SPD. Selbst Rentner fallen immer stärker in Armut, viele arbeiten noch, um zu überleben. Viele Frauen im Niedriglohnsektor leben trotz Arbeit in dauerhafter Armut, oft müssen Jobcenter die Leistung draufzahlen, damit die Familien überleben. Diese nachhaltige Armut ist das Produkt von SPD -Reformen, es hätte auch andere Wege gegeben. Zum Beispiel bessere Steuergesetze. Nur das wollte die Partei gar nicht.

    Und jetzt ?



    Jetzt will die Partei glaubwürdig wirklich Steuergesetze zugunsten von normalen Arbeitnehmern ändern?



    Oder ist das heiße Luft für den Wahlkampf?

  • Interessant.



    Für mich ist SPD - auch, und gerade mit Olaf Scholz - eindeutig die beste und vernümftigste Option für Deutschland und Europa.



    Olaf Scholz und SPD hat trotz sehr schwierigen Zeiten und trotz den destruktiven internen Aktivitäten der FDP das Land erstaunlich gut mitregiert.



    Morgen gehe ich für SPD plakatieren.



    Das wollte ich nur so gesagt haben, weil ja scheinbar so viele Menschen ein Probleme mit Olaf Scholz haben sollen - oder ist es vielleicht nur der Giftnebel aus dem Trollwald der autokratischen Netzwerken?



    Buchtip: Anne Applebaums Buch "Die Achse der Autokraten" www.thalia.de/shop...etails/A1071380505

    • @Nilsson Samuelsson:

      Olaf Scholz ist für mich unwählbar aufgrund seines Verhaltens im Cum-Ex Skandal in Hamburg. Die Partei ist für mich auch als Ganzes unglaubwürdig da sie so etwas einfach laufen lässt. Eigentlich sollten diese schmutzigen Geschäfte und die Aufarbeitung dessen ein gefundenes Fressen sein für eine soziale Arbeiter-Partei. Aber die SPD ist wohl zusammen mit der CDU/CSU zu sehr verstrickt mit den Tätern und Finanzlobby, dass ihr an einer sauberen, transparenten und vor allem schnellen und effizienten Klärung nichts gelegen ist. Bei mir hat sie zumindestens diesen Eindruck hinterlassen, v.a. dank Olaf Scholz.

  • Olafs Stärke sei das 'Tun' ? Nein, die 'Sozial'demokraten haben immer mehr von ihrem einmal sozialen Kern verlassen, die 'Neue Heimat' vergurkt, Coop verscherbelt und mit den Gewerkschaften immer nur die etwas besser Verdienenden mit den von ihnen unterstützten 'tariftreuen' Unternehmen im Fokus gehabt, wo es gleichzeitig für Funktionäre gut bezahlte Jobs gab (und die Ärmsten den Kirchen und Tafeln überlassen). Gerade Olaf Scholz hat in seiner Hamburger Zeit keine Aktionärsversammlung ausgelassen und gern mit den dort damals noch starken Banken gekungelt (die Nord-LB hat dem Steuerzahler später viel abverlangt). Auch seine gegenüber der Wählerschaft kaum kommunizierten Fernreisen der letzten drei Jahre waren reiner Lobbyismus zugunsten der an Einfluß verlierenden Großindustrie. Und dann stellen sich Habeck und Scholz in Emden vor die Belegschaften und behaupten, ihre den Aktionären zu teuer gewordenen Arbeitsplätze seien sicher und verjubeln Milliarden in einer längst schon insolventen Meyer-Werft in Papenburg ! Diese SPD hat genauso abgewirtschaftet wie die Union, die eigentlich schon vor Jamaica und Kretschmann am Ende war: Armes Deutschland !

  • Bei allen Problemen der SPD und Olaf Scholz - er ist mit Sicherheit immer noch vielfach vertrauensvoller und kompetenter als Robert Habeck mit all der Grünen Partei.



    Umso erschüttender ist die neuste Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, die die Grünen mit 15% einen Prozentpunkt vor der SPD sieht.



    Es ist mir völlig schleierhaft, wie man die fortgesetzte unter Beweis gestellte Inkompetenz von Herrn Habeck ignorieren kann. Das Land geht unter seiner Führung im Wirtschaftsministerium durch die schwerste Rezession seit Jahrzehnten. Keinem anderen Industrieland geht es so.



    Wie kann man nur so oberflächlich sein und sich durch Bilder am Küchentisch und Wollkragenpullis beeinflussen lassen?

    • @Andere Meinung:

      Andere lassen sich dann durch anderes beeinflussen und übersehen das wohl auch. Um Meinen wenigstens etwas durch Analysieren zu ersetzen, spiele ich den Advokatus einer anderen Perspektive:



      Hat die Energiepolitik der letzten Jahre uns erfolgreich von der Schröder-Merkel-Bindung an Putin-Russland befreit, die Erneuerbaren wieder entfesselt oder nicht, und das in Zeiten von Covid wie Ukrainekrieg?



      War der Glaube, die USA schützen uns für lau, China bleibt Absatzmarkt für so etwas Moribundes wie Verbrennerautos und Russland ein verlässlicher Lieferant von Fossil zum Dumpingpreis, war der realistisch oder ein Irrglaube?



      Kann es Wirtschaftspolitik gegen die Haupterzeugerin von Wohlstand, die Natur, längerfristig geben?



      Einfach mal gefragt: so verständlicher?

  • Die SPD hat 2021 nichts "gedreht". Olaf Scholz hat zugeguckt, wie Annalena Baerbock und Armin Laschet ihre Wahlkämpfe mit Schwung gegen die Wand gefahren haben. Das wird dieses Mal nicht reichen.

  • Mehr Walter-Borjans täte dem Lande gut, seine Analyse in Buchform damals und das Interview hier zeigen es wieder.



    Denn weiterhin soziale Unfairness bedrohte unsere Gesellschaft. Da ist es die Aufgabe nicht nur der SPD, eine gerechtere Zukunft aufzuzeigen und möglichst auch Schritte dorthin einzuschlagen. Das sind wir uns selbst schuldig.

  • "Man sollte bei der extrem kräftezehrenden Arbeit an der Spitze die eigenen Möglichkeiten im Alter realistisch einschätzen. Das sage ich auch an die Adresse von Friedrich Merz, der mit knapp 70 Jahren Kanzler werden will."



    Dem kann ich als 48er nur zustimmen.



    Man meint, man wäre fit, aber bei näherer Betrachtung, ist das Wunschdenken.



    Aber: ich bin fit!



    Es gibt auch Ausnahmen .:-)

  • Mochte den immer. Es gibt noch ein paar echte Sozialdemokraten (ein weiteres Beispiel wäre Gesine Schwan).

    Es zeugt übrigens von politischer und menschlicher Größe, dass Walter-Borjans und Esken gemeinsam die Flügelkämpfe in der SPD beendeten und ihren parteirechten früheren Konkurrenten Scholz unterstützten, weil er die besten Chancen hatte.

    Gutes Interview!

    • @Stavros:

      Stimme ihnen zu. Bei allem Knartsch in der SPD, ging es doch bei allen Diskussionen um das Wohlergehen der Menschen, war selbst Ortsvereins-Chef :-), und nicht um andere nieder zu machen.



      Zu Zeiten des Balkan-Kriegs ging es darum, wie bringen wir die Leute unter, nicht, wie werden wir die wieder los.



      Mag ein wenig alterspathetisch klingen, würde der heutigen Diskussion aber gut tun, denk ich.

  • Ein beliebtes Mittel in deren Kommunikation, einfach ein Satz immer wiederholen, der soll hängen und nicht hinterfragt werden.

    "Die Ampel hat einen schlechten Ruf, auch wenn sie in vielem besser war als ihr Image."



    Was war den so gut?

    Vor ein paar Monaten war die Antwort das 49 euro ticket und der Mindestlohn. Die Mindestlohnempfänge haben sie dann aber im Oktober wissentlich geopfert für ihr Wahlkampfthema 15 Euro Stundenlohn.

    Auch das stimmt "Umverteilung ist wichtig" von unten nach oben war kein Problem in den letzten drei Jahren umgekehrt natürlich nicht möglich.

  • "...auch weil Scholz' Stärke das Tun ist, nicht die Kommunikation."



    Ja wahnsinn - der scheint das tatsächlich selbst zu glauben