Evangelischer Kirchentag in Nürnberg: Trotz Krise ein Heimspiel für Habeck
Auf dem Kirchentag diskutiert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit Aktivistin Carla Hinrichs. Beide haben Fans - aber auch Kritiker*innen.
Mit ein paar Minuten Verspätung startet die Veranstaltung. Habeck muss derzeit eine Zerreißprobe seiner Partei durchstehen. Er hat die Aufgabe, den am Donnerstagabend auf der EU-Innenminister*innenkonferenz ausgehandelten Asylkompromiss gegen scharfe Kritik aus den eigenen Reihen zu verteidigen. Das Publikum hier dürfte dabei nicht unbedingt auf ihrer Seite sein. Doch darum soll es jetzt erstmal nicht gehen. Diskutiert wird über Verantwortung und Schuld in der Klimakrise: „Wer hat's verbockt? Und was machen wir jetzt?“ lautet die Frage.
Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation, macht den Auftakt. Es sei ihr nicht leicht gefallen, heute hier zu sprechen sagt sie, denn sie habe den Eindruck, ihr und der Bewegung würde mit Ambivalenz begegnet.
Polizeieinsätze und Razzien gegen die Letzte Generation hätten gezeigt, dass es viele gäbe, die die Stimme der Klimaaktivist*innen nicht mehr hören wollten. Doch sie kündigt weitere Aktionen an: „Wir haben etwas zu sagen und wir werden uns nicht davon abbringen lassen, es weiter zu sagen.“ Die Gesellschaft wisse um die Konsequenzen des Nicht-Handelns in der Klimakrise: „Jetzt ist die Zeit, in der wir zusammenkommen müssen“, schließt sie. Das Publikum applaudiert.
Warnung vor apokalyptischen Szenarien
Habeck warnt dagegen vor der Instrumentalisierung apokalyptischer Szenarien, um Forderungen nach mehr Klimaschutz Nachdruck zu verleihen. Andauernde Negativnachrichten würden dem Populismus Zulauf bescheren. „Wie hast du dich in der Klimakrise positioniert“, das werde die eigentliche Frage sein, wenn später auf unsere Zeit zurückgeblickt wird. Es ginge jetzt ums „Hoffen und Machen“, eine Referenz auf das gleichlautende Kirchentagsmotto. Wer genau es in der Vergangenheit „verbockt“ habe, das sei eigentlich irrelevant. „Meine gesamte politische Erfahrung sagt mir, dass es für das Schaffen von Mehrheiten Gemeinsamkeiten braucht. Da hilft es nicht, wenn wir mit dem Finger aufeinander zeigen. Wir müssen uns die Hand reichen.“
Die Protestform der Letzten Generation kritisiert er als zu unspezifisch: „Der Protest trifft irgendwie alle. Damit erzeugt man nur Wut“. Das sei keine Hilfe sondern verhindere, dass sich eine Mehrheit für den Klimaschutz findet. Offen zeigt sich der Minister aber für die Forderung der Letzten Generation, zufällig ausgeloste Klimagesellschaftsräte einzuberufen. Allerdings dürften diese dann nicht über der repräsentativen Demokratie stehen. Die Reaktionen aus dem Publikum zeigen, dass sich die Kirchentags-Besucher*innen bei beiden wiederfinden. Sowohl Carla Hinrichs als auch Robert Habeck ernten viel Applaus.
Björn Kissering ist aus Baden-Württemberg zum Kirchentag angereist. Der Ehrenamtliche in der Behindertenhilfe sagt: „Ich bin mit einem ohnmächtigen Gefühl hier her gekommen: Die Auswirkungen des Klimawandels spüren wir jetzt schon, und zwar auch bei uns Deutschland. Aber bei dieser Veranstaltung, da merke ich, dass ich nicht alleine bin, dass sich andere auch Gedanken machen.“ Er schaut sich in der vollbesetzten Halle um: „Und wir sind viele.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren