piwik no script img

Europas Versagen in MaliBlamage in Bamako

In Mali ist das Desaster europäischer Politik komplett. Entwicklungshilfe und Bundeswehr stützen eine antidemokratische Staatsführung.

Komplettes Desaster in Mali – und Europa trägt eine nicht geringe Mitschuld Foto: Matthiew Rosier/reuters

E ine Regierung lässt auf eine unbewaffnete Opposition schießen, verhaftet ihre Sprecher, schickt gegen Jugendliche, die Barrikaden bauen, eine Antiterroreinheit auf die Straßen der Hauptstadt. Zurück bleibt ein Dutzend Tote, ein Vielfaches an Verletzten.

Hieße der Schauplatz Iran, wären die Reaktionen im Westen eindeutig. Doch dies ist Bamako, Mali: besagte Regierung wird finanziell wie militärisch von der Europäischen Union unterstützt, die Antiterroreinheit von EU-Kräften ausgebildet. Statt eines Aufschreis stummes Händeringen, auch Medienberichte verlieren sich lieber im Vokabular des Diffusen – „blutige Unruhen“, als sei die Täterschaft aufseiten der Unruhe, nicht aufseiten der Macht.

Wer klaren Auges auf die Geschehnisse blickt, sieht in Mali ein umfassendes Desaster westlicher Politik. Dem militärischen und politischen Scheitern des Antiterrorkampfs folgt nach sieben Jahren Intervention nun ein moralischer Offenbarungseid. Eine von Entwicklungshilfe gepäppelte Staatsführung schießt auf ihre Bürger, und die sogenannten Geberländer rufen nicht mal einen Botschafter heim.

Dabei weiß jeder, der in Mali tätig ist, dass der Staatspräsident, dessen Rücktritt die Bewegung auf der Straße verlangt, tatsächlich eine Katas­trophe ist für sein Land. Ibrahim Boubacar Keïta wird nicht nur Bereicherung und Verfassungsbruch vorgeworfen, sondern er hat Mali lethargisch und eigensüchtig immer tiefer in eine verheerende Krise gleiten lassen, in der nun die Ärmsten, Hirten und Bauern, einander bekämpfen, weil der Staat sie mit ihren Problemen völlig alleinlässt.

He is our bastard

Der Fisch stinkt am Kopf, sagt die Opposition, Mali lässt sich nicht retten mit diesem Präsidenten. Wenn sie unter sich sind, nicken die Vertreter Europas, aber irgendwie brauchen sie den Präsidenten, hängt doch das ganze System sogenannter Hilfe an einer gefügigen malischen Staatsführung – der UN-Einsatz inklusiv Bundeswehr, unzählbare Projekte, Verträge, Auslandsgehälter. Das Hilfesystem gefährdet sich niemals selbst. Und darum blinkt über dem Präsidenten Keïta jetzt der alte Kissinger-Spruch: He’s a bastard, but he is our bastard.

Tatsächlich hat Keïta einen französischen Pass, in Paris sein Vermögen, seine Ärzte. Der feiste Sohn Karim, auf zentrale Posten gehievt, damit die Pfründen in der Familie bleiben, verstörte die konservativen Malier zuletzt durch Videos, die ihn auf einer Mittelmeer-Jacht mit knapp bekleideten Frauen zeigen.

Bereits vor drei Jahren zeigte eine militante Jugendbewegung dem Präsidenten die rote Karte; nun verstärkte der Lockdown wegen Corona den schwelenden Zorn. „Dieses Regime ist ­Malis Corona­virus“, stand auf einem Schild. Gleichwohl war der jüngste Auslöser der Proteste sehr konkret: Parlamentsabgeordnete sollen durch Wahlbetrug an ihre lukrativen Sitze gekommen sein, das Verfassungsgericht war dabei zu Diensten, mutmaßlich gekauft vom Präsidenten. Solche Machenschaften anzuklagen, inmitten von Armut und Krise, scheint nobel. Doch manche hiesigen Medien ziehen es vor, den prodemokratischen Aufstand in einer islamophoben Wendung zur radikal-religiösen Gefahr zu stilisieren, angeheizt von einem „neuen Chomeini“.

Ein gemäßigter Salafist

Gemeint ist Mahmoud Dicko; ich traf ihn mehrfach in der Vergangenheit. Ein gemäßigter Salafist (das heißt: kein Dschihadist), seine Strömung stellt unter den malischen Muslimen eine große Minderheit. Einige Jahre war Dicko gewählter Vorsitzender des nationalen Islamrats, ohne dass Mali, religiös immer heterogen, deswegen salafistisch geworden wäre. Bei den Sufis, größer an Zahl, ist Präsident Keïta nicht minder unbeliebt, doch begehren sie nicht gegen eine amtierende Autorität auf, das gilt für den eigenen Orden wie für den Staat. Dicko macht seine Aura des Unbeugsamen populär, doch ist er politisch moderater als manche Mitstreiter.

Seit Langem gewinnen in Mali religiöse Gestalten, die als moralisch sauber gelten, in jenem Maße an Statur, wie die säkulare politische Klasse in Machtmissbrauch versinkt. Umso bemerkenswerter, dass die Opposition keinerlei religiöse Forderungen erhebt, sich republikanisch nennt und sich auf die Verfassung beruft. Ohnehin besteht die „Sammlung patriotischer Kräfte“, wie sie sich nennt, neben Dickos Anhängerschaft auch aus säkularen Kräften: Einem Bündnis Dutzender Kleinparteien sowie einer zivilgesellschaftlichen Gruppe, die der linke Regisseur Cheick Oumar Sissoko anführt; der 74-Jährige ist Cineast von internationalem Renommee und Exkulturminister.

Weil er nicht ins Strickmuster einer islamistischen Gefahr passt, taucht er in keinem Medienbericht auf. So wenig wie der christliche Oppositionelle, ein Hochschullehrer, den der malische Geheimdienst als vermeintlichen Putschisten gekidnappt hat.

Was ist die Lehre aus all dem? Mali schreit nach einem besseren, einem gerechten und sich sorgenden Staat. Die Bevölkerung fühle sich „verwaist“, so formuliert das ein Manifest malischer Intellektueller. Die ausländischen Akteure haben über Jahre an diesem Bedürfnis nach einem gerechten Staat vorbei hantiert – als sei der Staat nur ein Territorium, auf dem sie dann „Sicherheit“ schaffen. Dieses Vorgehen ist gescheitert – nicht weil Mali Afghanistan wäre. Sondern weil Ausländer entschieden haben, was für Mali gut ist. Wie wenig Mali mit Afghanistan gemein hat, beweist nun eine Opposition, die national und republikanisch auftritt.

Gewiss, viel mehr Menschen als auf den Straßen Bamakos sind bisher durch interethnisch ausgetragene Konflikte in Zentralmali umgekommen. Aber es macht einen Unterschied, wenn die Staatsgewalt tötet. Und es berührt mich sehr, dass so viele Malier und Malierinnen sich das Gespür dafür bewahren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Mali?? Das ist Macrons Interesse für Uran! Die „Grande Nation“ hat beim oft schmerzhaften Prozess der Entkolonialisierung in den 60er- und 70er-Jahren nie die eigenen Interessen aus dem Auge verloren: Französisch blieb als Sprache Pflicht. Und auch heute noch existieren zwei Währungsverbünde mit insgesamt 15 afrikanischen Staaten. Deren Reserven liegen bei der französischen Zentralbank. Seit 1961 kontrolliert Paris so die Währungsreserven von Benin, Burkina Faso, Guinea-Bissau, Elfenbeinküste, Mali, Niger, Senegal, Togo, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Kongo, Äquatorialguinea und Gabun.

  • Was folgt daraus?

    Entwicklungshilfe nur noch für Staaten mit Regierungen, die unseren Maßstäben genügen? - Wird schwierig, dann heißt es wieder, der Westen tue nichts.

    Einmischung in die Innenpolitik des Landes, um die uns genehme Kräfte an die Macht zu bringen? - Hat ja in der Vergangenheit immer gut funktioniert...

    Man sollte sich raushalten.

    • @Katharina Reichenhall:

      Entwicklungshilfe ist nichts anderes als Erpressung. Mit "Raushalten" meinen Sie Verzicht auf Rohstoffdiebstahl?