Bundeswehr in Mali: Die Wüste lebt
„Es ist besser, wenn Sie nicht so lange bleiben“, warnt eine Bewohnerin. Auf Patrouille mit dem deutschen UN-Kontingent in Gao.
Doch während sie lächeln und winken, beobachten die 20 Männer die Umgebung: Wie schauen die, die im Hintergrund stehen? Wird irgendwo ein Stinkefinger gereckt? Lauert jemand auf einem der Flachdächer?
„Aufklären und Präsenz zeigen“, lautet die Jobbeschreibung der deutschen Bundeswehr in Nord-Mali. Es gibt Patrouillen, Drohnenflüge und Fernspähermissionen in der Sahara.
Drei Stunden nach dem Start der Patrouille – es ist jetzt neun Uhr – knallt die Sahara-Sonne schon mächtig herunter. Die Füße kochen, unter den Sicherheitswesten fließt der Schweiß und verpappt den allgegenwärtigen roten Bodenstaub auf der Haut zu einer Schmierschicht.
Der Zug durchquert das „Quartier 4“ der 100.000-Einwohner-Stadt – das „arabische Viertel“. Auf der Stadtkarte der Soldaten prangen über diesem Viertel rote Sterne. Sie markieren Orte, an denen „terroristische Aktivitäten“ nachgewiesen wurden: Bombenwerkstätten, ausgehobene Al-Qaida-Stützpunkte, Waffenlager.
„Dabei ist Gao eine Insel relativer Sicherheit“, sagt der deutsche Entwicklungshelfer und Mali-Kenner Henner Papendieck. „Alles darum herum ist wirklich Feindesland.“
Denn während hier „nur“ Kriminalität grassiert, versinken der übrige Norden und die Mitte Malis im Blutvergießen. Die Gewalt breitet sich in Mali immer weiter aus, bis hinunter in das angrenzende Burkina Faso. Spätestens 2019 werde sie auch in der Hauptstadt Bamako Einzug halten, fürchten viele.
Hier tummeln sich bewaffnete Gruppen
In Gao ist es vergleichsweise friedlich. Hier treffen die regierungstreue Tuareg-Miliz „Gatia“, die arabisch geprägte Al-Qaida-Gruppe „Mourabitoun“ sowie Ex-Rebellen aller Ethnien aufeinander. Sie organisieren in Gao ihre illegalen Einkünfte, sprechen sich ab und gehen Schmuggeldeals ein, während sie anderswo Krieg gegeneinander führen.
Der Vorteil für die Bewohner: Anschläge sind selten. „Die verdienen hier ihr Geld und wollen in Gao nicht zu viel Wind machen“, erklärt Demokratieaktivist Ousmane Maiga.
Der Nachteil: Die Untergebenen der Bosse bedienen sich rücksichtslos bei Auto- und Mopedbesitzern. Die Polizei ist gleichgültig, die UN-Mission (Minusma) machtlos.
Ihre Blauhelme dürfen zwar eingreifen. „Aber wer begeht schon einen Überfall gerade dann, wenn wir hier mit großem Gefolge durchmarschieren“, sagt ein Offizier im Bundeswehrcamp Castor.
Wie schön ist es im Hinterhof
Im arabischen „Quartier Vier“ führt ein Anwohner namens Abbas den Zugführer der deutschen Patrouille in einen Hinterhof. Die anderen Soldaten sichern draußen die Umgebung. Eine Freundin von Abbas’ Mutter leitet hier einen Kindergarten und eine kleine Grundschule. Sie freut sich über den Besuch. Ebenso wie die rund 30 kleinen Kinder, die laut johlen und im Chor „Bonjour“ rufen.
Abbas, der Leutnant und die Frau lassen sich auf Hockern in einer Hofecke nieder. Während sie die Teekanne über dem Feuer schwenkt, erzählt die Frau, wie schön es hier im Hinterhof-Kindergarten ist – und wie hässlich draußen auf der Straße.
„Wenn es dunkel wird, gehen wir überhaupt nicht mehr raus“, sagt sie.
Täglich zwingen Bewaffnete in Gao Autofahrer aus ihren Autos, zerren Mopedfahrer von ihren Zweirädern oder schießen sie einfach herunter und nehmen die Fahrzeuge mit. Leute werden ausgeraubt oder entführt. Händler werden erschossen.
„Manche von den Tätern kennen wir mittlerweile“, sagt die Kindergartenleiterin. „Aber keiner wagt es, sie anzuzeigen.“ Die Polizei werde ja ohnehin nicht aktiv.
Wer in Gao ein Problem hat, sucht sich jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt. So etwas wie einen Staat gibt es im ganzen riesigen Norden Malis, der doppelt so groß ist wie Deutschland, aber nur eineinhalb Millionen Einwohner hat, nur in der Theorie.
Das Terrain tut ein Übriges: Die unkontrollierbare Saharawüste biete jedem Terroristen und Schmuggler Verstecke ohne Ende, sagt der Tuareg und Ex-Minister Yehia Ag Mohamed Ali.
Zudem ist Gao ein Durchgangslager für den Kokainhandel. Nicht weit vom Bundeswehr-Camp Castor liegt rechts und links der Zufahrtsstraße zum Flughafen das Viertel „Kokain Bougou“. Der Stoff, der hier verschoben wird, kommt aus Südamerika.
Arabische Händler organisierten das Geschäft, sagt ein Landeskenner der Minusma. Tuareg, die in der Sahara die „Raumkontrolle“ ausüben, wie die Militärs sagen, transportierten es von Nord-Mali aus über die Tanezrouft-Route nach Nordafrika.
Dschihadisten-Bekämpfer sind heute verbittert
Und auch in Gao sind die Ethnien zerstritten: Neben den „Weißen“ – Arabern und Tuareg – leben in der Provinzmetropole vor allem dunkelhäutige Songhai wie Abbas und seine Verwandten. Gao ist eigentlich „ihre“ Stadt.
Ihre Vorfahren gründeten die weitläufige Lehmsiedlung am trägen Niger-Fluss vor über 1.000 Jahren. Später wurden Songhai zur Beute der Sklavenjäger der Tuareg und der Araber.
Heute sind die Songhai verbittert. Als 2012 Dschihadisten die Kontrolle in Gao übernahmen, mobilisierten Gruppen junger Songhai-Aktivisten die Bevölkerung. Sie versteckten Verfolgte, verhinderten mit einem spektakulären Volksauflauf eine Steinigung und schützten die jahrhundertealte Askari-Moschee mit einer Menschenkette vor der Zerstörung.
Als dann die Franzosen 2013 mit der Operation „Serval“ die Dschihadisten aus Nord-Mali vertrieben, halfen sie mit Rat und Tat. Anschließend gaben sie auch noch brav ihre Waffen ab.
Die Folge: Die Songhai galten nicht mehr als Problem – und bekamen nichts ab, als die UN-Mission zur Besänftigung der Gewaltbereiten begann, in den neuen gemischten Einheiten aller ehemaligen bewaffneten Gruppen Posten zu verteilen.
„Die Blauhelme kontrollieren doch gar nichts“
Die UN-Mission Minusma nennt Aktivist Maiga spöttisch „Amusma“, nach dem französischen Wort „Amusement“. „Die Blauhelme aus Tschad oder Bangladesch kontrollieren doch gar nichts“, sagt er. Die Bundeswehr wolle er von der Kritik ausnehmen. Sie sei aber eben nur ein Teil der UN-Mission.
„Es ist besser, wenn Sie nicht so lange bleiben“, sagt die Kindergartenleiterin in Gao nach zehn Minuten zum Zugführer. „Sonst wird es für mich gefährlich.“ Sie fürchtet, dass jemand sie „besucht“, weil sie hier mit den Deutschen spricht.
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