piwik no script img

Nach dem EuGH-UrteilDer Vorratsdatenstreit ist wieder da

Nach dem EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung entbrennt wieder der Streit über das anlasslose Datenspeichern – diesmal in der Ampel und innerhalb der SPD.

Das klassische Symbolbild zur Vorratsdatenspeicherung: Zahlen, Zahlen, Zahlen Foto: Oliver Berg/dpa

BERLIN taz | Kaum hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) die deutsche Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt, da entbrannte hierzulande der politische Streit um das Instrument – mal wieder. Man werde die Vorratsdatenspeicherung nun „zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen“, verkündete Justizminister Marco Buschmann (FDP) sofort. Die Grünen forderten, das Instrument „auf die Müllhalde der Geschichte“ zu verfrachten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dagegen betonte, sie wolle die vom EuGH offengehaltenen Möglichkeiten „nutzen“ und die Vorratsdatenspeicherung in engem Rahmen wiedereinführen.

Es ist ein Streit, der seit 15 Jahren um die Vorratsdatenspeicherung geführt wird. Diesmal zieht er sich quer durch die Ampel – und die SPD.

Schon 2010 hatte die FDP vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht, dass die drei Jahre zuvor eingeführte Vorratsdatenspeicherung als rechtswidrig erklärt wurde. Auch eine Neuauflage mit verkürzten Speicherfristen von zehn Wochen statt sechs Monaten, 2015 von der SPD angeschoben, wurde gerichtlich gestoppt und lag seitdem auf Eis. Bis nun auch der EuGH erklärte, dass eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten in Deutschland mit dem EU-Recht unvereinbar ist. Nur in Fällen einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit sei eine „gezielte“ Erfassung von IP-Adressen möglich.

Schon vor dem Urteil hatte Innenministerin Faeser klargemacht, dass sie dafür eintritt, diese absehbare rechtliche Option zu nutzen, um die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen, insbesondere um sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen. Sie weiß die Sicherheitsbehörden dabei hinter sich. Und Faeser betonte dies auch am Dienstag. Das EuGH-Urteil enthalte „sehr wichtige Aussagen“, lobte die Sozialdemokratin. Man könne und sollte nun IP-Adressen speichern, um schwere Kriminalität zu bekämpfen. Dies sei „zulässig und dringend notwendig“, um Täter identifizieren zu können. Und es sei für sie auch keine ideologische Frage, so Faeser. „Ich will keine alten Debatten führen, sondern pragmatisch handeln.“

Widerspruch erntet Faeser auch aus der eigenen Partei

Da aber hatte Justizminister Buschmann das EuGH-Urteil bereits als „historisch“ bejubelt – mit ganz anderer Interpretation. Es sei ein „guter Tag für die Bürgerrechte und den Rechtsstaat“, erklärte der FDP-Mann. Die Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen die Grundrechte, stelle die Bür­ge­r:in­nen unter Generalverdacht, sei „totes Recht“ und leiste keinen messbaren Effekt bei der Aufklärung von Straftaten. Er werde sie deshalb abschaffen – und stattdessen „in Kürze“ das Quick-Freeze-Verfahren einführen. Mit diesem sollen Daten nicht anlasslos, sondern erst nach einem Anfangsverdacht auf eine schwere Straftat und nur von konkret verdächtigten Nut­ze­r:in­nen erfasst werden.

Die Grünen sekundierten: Das EuGH-Urteil sei eine „herbe Klatsche“ für die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, erklärten dort Fraktionsvize Konstantin von Notz und Rechtsexperte Helge Limburg. Auch sie betonten den Generalverdacht und dass konkrete Gefahren nicht zielgerichtet abgewehrt würden. „Für eine wie auch immer geartete Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung sehen wir weder rechtlichen noch politischen Spielraum.“ Stattdessen stellten sich die Grünen hinter Buschmanns Quick-Freeze-Vorstoß.

Und Widerspruch erntete Faeser auch aus der eigenen Partei. Sie sei „froh“ über das EuGH-Urteil, sagte SPD-Chefin Saskia Esken der taz, langjährige Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung. „Das Urteil bestätigt meine Einschätzung erneut: Eine präventive, allgemeine und anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ist mit dem Europarecht unvereinbar.“ Auch sie wolle, dass schwere Straftaten im Internet aufgeklärt würden. Dafür gelte es nun den Koalitionsvertrag umzusetzen.

Das Problem ist nur: Der ist nicht so eindeutig. Schon in den Koalitionsverhandlungen hatten SPD, FDP und Grüne hart um die Vorratsdatenspeicherung gerungen. Am Ende stand keine definitive Absage. Festgehalten aber wurde, dass diese „rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss“ ausgestattet werden soll. Was aus Sicht von Grünen und FDP ein Massenspeichern ausschließt – aus Sicht von Faeser aber Spielräume offenlässt.

Sie werde nun zeitnah mit Buschmann in Gespräche gehen, erklärte Fae­ser, und sei sicher, gute Lösungen zu finden. Der indes will nur über Quick Freeze reden, zu dem er bereits seit Monaten einen Gesetzentwurf vorbereitet. Diese Variante bedeute „effektive Strafverfolgung und Grundrechtsschutz“, so der FDP-Mann. Der dabei Schützenhilfe von SPD-Chefin Esken bekommt. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung zeitnah ein Quick-Freeze-Gesetz vorlegen wird“, sagte auch sie der taz. Esken plädiert zudem für die sogenannte Login-Falle, die ebenso im Koalitionsvertrag steht und bei der die IP-Adresse von Nut­ze­r:in­nen erst gespeichert wird, wenn diese straffällig wurden und sich erneut einloggen. Beides allerdings wird in Faesers Ministerium und den Sicherheitsbehörden eher als Placebo gesehen.

Die Frage ist nun, wem der Rest der SPD folgt. Deren Innen- und Rechts­po­li­ti­ke­r:in­nen erteilten der Vorratsdatenspeicherung am Dienstag jedenfalls keine Absage. Klar sei, dass diese nur anlassbezogen zur Aufklärung schwerer Straftaten erfolgen dürfe, erklärten die SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese und Detlef Müller. Man wolle aber die rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um schwere Straftaten aufzuklären, betonten auch sie. Gleichzeitig unterstützten beiden auch den Quick-Freeze-Vorstoß von Buschmann und die Login-Falle. Die Debatte um das Massenspeichern, sie ist wieder eröffnet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Zur Bekämpfung schwerer Straftaten könne Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste auch aufgegeben werden, „während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern“."

    Den Punkt verstehe ich nicht. Wieso sollte man eine Vorratsdatenspeicherung des Kommunikationsverhaltens einer Person erlauben, NACHDEM die Straftat geschehen ist? Das trägt absolut nichts zur Strafverfolgung bei. Man kann ja schlecht nach einem erfolgten Anschlag benötigte Daten rückwirkend wiederherstellen und speichern.

  • Bin ich froh, dass Vodafone, Facebook und Co damit meine Daten nicht mehr an den Staat umsonst weitergeben dürfen, sondern sie nur noch an andere Unternehmen verkaufen dürfen. Die Freiheit ist gerettet.

  • Die Hintertür zur anlaßlosen Vorratsdatenspeicherung bleibt nach wie vor weit geöffnet, wenn eine schwere Bedrohung der inneren Sicherheit als Standardzustand augerufen werden sollte. Die Werkzeuge dazu gibt es bereits: Zusammenbruch der Energieversorgung, der Lebensmittelversorgung und des Gesundheitswesens. Es kommt dann nur noch auf die passende Interpretation an.

  • Das war doch völlig klar. Es ist ja nicht das erste Urteil mit diesem Inhalt. Aber es gibt in Deutschland einen Hang dazu, verfassungswidrige Gesetzte zu beschließen und wenn diese - wie immer - aufgehoben werden, zu jammern, dass der Dateschutz alles verhindere.

    Aber wenn man ein verfassungegemäßes Gesetzt beschlösse, könnte man ja nicht mehr jammern. Und diese Urteile als Anlass benutzen, den Datenschutz und weitere Bürgerrechte zu beschneiden.

  • Eigentlich ist das weder "hochumstritten" noch "in D rechtswidrig". Das verstößt schlicht gegen EU-Recht.



    Die gebetsmühlenartig vorgetragenen Begründungen von wegen "Kinderpornographie" oder "Terrorismus" sind natürlich auch erfunden - nichts davon hat jemals funktioniert.



    Das ist nur der einfache Wunsch unseres Staates nach vollständiger, bedingungsloser Kontrolle über sämliche Bereiche des Lebens. Nur stellen sie sich halt blöd an dabei, sollten vielleicht mal Google oder Amazon fragen, wie sowas geht.

  • Der letzte deutsche Innenminister, welcher nicht durch latente Verfassungsfeindlichkeit oder sonstige kriminelle Aktivitäten auffiel, war Gerhart Baum, oder?

    • @darthkai:

      Verdamm lang her



      “Er war von 1972 bis 1978 Parlamentarischer Staatssekretär bei den damaligen Bundesinnenministern Hans-Dietrich Genscher und Werner Maihofer und wurde im Juni 1978 zum Bundesinnenminister im Kabinett Schmidt II berufen“



      (Immer gern genommene Südstadt-Performance - Gerhard entert siin 190 SL - 🙀🥳 - ;) n Guter.

  • Na Mahlzeit - der steinalte - Müller von Sanssouci -



    “Es gibt noch Richter - in - öh…Nö nich Berlin“ - wa.



    Nö. Lëtzebuerg- Chapeau!

  • "anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss" - das ist für mich die einzig legitime Art, mit diesen Daten hantieren. So haben die Ermittlungsbehörden im konkreten Verdachtsfall doch genügend Möglichkeiten. Wir sind doch nicht in China!