EuGH-Urteil zu Vorratsdatenspeicherung: IP-Adressen gegen die Straflosigkeit
Auch zur Bekämpfung einfacher Kriminalität dürfen IP-Adressen verwendet werden, so das EU-Gericht. Das könnte sich auf die deutsche Debatte auswirken.
Eigentlich war der EuGH das juristische Bollwerk gegen Vorratsdatenspeicherungen in der Europäischen Union. 2014 kippte er eine EU-Richtlinie und ab 2016 beanstandete er auch nationale Gesetze. Sein Argument: die anlasslose Speicherung der Internet- und Telekom-Verkehrsdaten der gesamten Bevölkerung ist unverhältnismäßig.
Unter dem Druck der EU-Staaten weichte er das generelle Verbot 2020 allerdings auf und ließ die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung schwerer Kriminalität zu. Entscheidendes Beispiel für eine solche schwere Kriminalität war für den EuGH die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet, die ohne allgemein gespeicherte IP-Adressen kaum aufgeklärt werden könne. Die IP-Adressen werden vom Provider beim Einwählen ins Internet vergeben.
Am Dienstag ging der EuGH noch weiter. Die Speicherung der IP-Adressen ist nun zur Bekämpfung jeglicher Kriminalität zulässig, inklusive illegalem Filesharing von Musik- und Filmdateien. Das Gewicht dieser Entscheidung sieht man auch daran, dass sie vom Plenum aller 27 EuGH-Richter getroffen wurde.
Gegen „systemische Straflosigkeit“
Laut dem Gericht ist die Beschränkung der IP-Datenspeicherung auf schwere Kriminalität nicht gerechtfertigt, weil mit der IP-Adresse (einer vielstelligen Zahlenkombination) kein Persönlichkeitsprofil gewonnen werden kann. Wenn die IP-Adresse nicht mit anderen Daten kombiniert wird und nur zur Identifizierung von Personen genutzt wird, sei die Speicherung kein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.
Zugleich werde mit einer Speicherung von IP-Adressen verhindert, dass bei Online-Straftaten eine „systemische Straflosigkeit“ entsteht. Denn hier sei die IP-Adresse des Täters oft der einzige Ermittlungsansatz.
Die Zwangsspeicherung der IP-Adressen bei den Internet-Providern sei aber, so der EuGH, zeitlich „auf das absolut Notwendige“ zu begrenzen. Eine genaue Zahl von Wochen oder Monaten nannten die Richter:innen nicht.
Konkret ging es in dem EuGH-Fall um die französische Internetpolizei Hadopi, die in Internet-Tauschbörsen nach illegalen Angeboten von Musik und Filmen fahndet. Anhand der IP-Adressen identifiziert sie die illegalen Filesharer und greift dabei auf die Daten der französischen Vorratsdatenspeicherung zu. Wer zum ersten Mal erwischt wird, erhält eine Warnung. Ab dem dritten Mal gibt es eine Geldbuße, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
Das französische System, gegen das unter anderem die Digitalrechtler:innen von „La Quadrature du net“ geklagt hatten, kann nun im Kern bestehen bleiben.
Ampel nicht einig
In Deutschland ist die Lage anders. Die Vorratsdatenspeicherung für Telefon- und Internetverbindungsdaten steht zwar seit 2015 im Telekommunikationsgesetz, sie wurde mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung aber nicht praktiziert. Im September 2022 hat der EuGH das deutsche Gesetz ausdrücklich beanstandet.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte bisher zumindest eine Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Kinderpornographie einführen, weil dies der EuGH ja erlaubt habe. Justizminister Marco Buschmann (FDP) pocht jedoch auf den Koalitionsvertrag, der jeder Form der anlasslosen Massenspeicherungen eine Absage erteilt. Erst vor wenigen Wochen einigte sich die Bundesregierung auf die Einführung der von Buschmann vorgeschlagenen Quick Freeze-Regelung, bei der Verbindungsdaten erst nach einem Verbrechen eingefroren und gesichert werden. Teile der SPD, darunter die Innenministerin, haben das bisher jedoch nicht als ausreichend akzeptiert.
Nach dem EuGH-Urteil könnte eine Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen für Ermittler:innen noch interessanter werden. Zugleich dürfte sich Justizminister Buschmann in seiner Ablehnung bestätigt fühlen: Ohne eine neue gesetzliche Regelung bleibt die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verboten.
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