Vorratsdatenspeicherung und EU-Recht: Auf Kosten des Datenschutzes
EU-Staaten wollen bei der Vorratsdatenspeicherung die strenge Linie des Europäischen Gerichtshofs aufweichen. Der EuGH-Generalanwalt plädiert dagegen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll auch weiterhin „allgemeine und unterschiedslose“ Vorratsdatenspeicherungen als Verstoß gegen EU-Recht beanstanden. Das hat der unabhängige Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona dem EuGH jetzt in drei Gutachten, sogenannten Schlussanträgen, empfohlen.
Bei der Vorratsdatenspeicherung müssen Telekom-Unternehmen speichern, wer wann wie lange mit wem telefoniert oder gesimst hat. Auch die Bewegung von Mobiltelefonen wird festgehalten. Die Daten sollen zur Verfügung stehen, falls die Polizei sie braucht.
Allerdings kassierte der EuGH 2014 die zugrundeliegende EU-Richtlinie als unverhältnismäßig. 2016 beanstandete der EuGH zudem nationale Speichergesetze in Schweden und Großbritannien. Bei vielen EU-Staaten stieß die EuGH-Linie auf Empörung und Ablehnung. Sie behielten ihre Vorratsdatenspeicherungen einfach bei.
Auf Klage von Bürgerrechtlern haben drei nationale Gerichte jetzt den EuGH gefragt, ob er auch mit Blick auf die Terrorbekämpfung an seiner harten Linie festhält. Konkret geht es um die Gesetze in Frankreich, Großbritannien und Belgien.
Hierzu nahm jetzt der aus Spanien stammende Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona Stellung und empfahl dem EuGH, seine Linie fortzusetzen. „Wenn sich der Rechtsstaat allein auf die Wirksamkeit konzentriert, verliert er die Eigenschaft, die ihn auszeichnet, und kann im Extremfall selbst zu einer Bedrohung für den Bürger werden“, argumentierte Campos Sánchez-Bordona. Der Generalanwalt erkennt an, dass vor allem die Nationalstaaten für „nationale Sicherheit“ zuständig sind. Die EU könne aber Vorgaben machen, wenn der Staat Privatunternehmen zur Speicherung von Kundendaten zwinge.
Datenspeicherung im Notstand
Für denkbar hält der Generalanwalt eine Vorratsspeicherung mit einem Minimum an Daten. Zulässig könnte eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung auch in einem „Notstand“ sein, etwa nach einem Terroranschlag. Eine „gezielte Vorratsdatenspeicherung“ in bestimmten Regionen und bei bestimmten Personengruppen hält der Generalanwalt aber für problematisch, da dies zu Stigmatisierungen führen könne.
Der EuGH wird in einigen Monaten sein Urteil verkünden. In Datenschutzfragen ist der EuGH meistens strenger als der Generalanwalt.
In Deutschland steht die Vorratsdatenspeicherung zwar im Gesetz, wird wegen der EuGH-Rechtsprechung aber nicht praktiziert. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat Ende 2019 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob auch das deutsche Gesetz mit seinen relativ kurzen Speicherfristen gegen EU-Recht verstößt. Die Große Koalition wartet derzeit auf diese EuGH-Urteile.
Der Verband der Internetwirtschaft (eco) freute sich über das Gutachten: „Eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung ist immer diskriminierend und widerspricht jeder Unschuldsvermutung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“