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Ethikrat-Mitglied über Impfprivilegien„Das Gemeinschaftsgefühl stärken“

Sigrid Graumann vom Ethikrat ist gegen Privilegien für Geimpfte allein. Sie fände es aber vertretbar, Geimpfte mit negativ Getesteten gleichzustellen.

Pilotprojekt an der Berliner Philharmonie: Im März besuchten 1.000 negativ Getestete ein Konzert Foto: Daniel Biskup
Jasmin Kalarickal
Interview von Jasmin Kalarickal

taz: Frau Graumann, was halten Sie eigentlich von dem Wort Impfprivilegien?

Sigrid Graumann: Nicht viel. Es geht hier ja nicht um Privilegien, sondern darum, welche Rechte Bürgerinnen und Bürger in Anspruch nehmen können – und welche nicht. Darüber sollten wir sachlich reden. Und das Wort Privilegien ist gleich mit einer Wertung verbunden, die ich problematisch finde.

Im Interview: Sigrid Graumann

Jahrgang 1962, ist seit 2016 Mitglied des Deutschen Ethikrats. Graumann ist außerdem Rektorin der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe und Professorin für Ethik im Fachbereich Heilpädagogik und Pflege.

Wie würden Sie es denn nennen, wenn Geimpfte etwas dürfen, was andere nicht dürfen?

Ich würde von „besonderen Regelungen für Geimpfte“ sprechen, das ist etwas neutraler.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) befürwortet Freiheiten für Geimpfte, weil der Grund für die Einschränkung von Grundrechten entfällt, wenn kein Risiko von den Geimpften mehr ausgeht. Lambrecht sagt, das ist ein logischer Schritt. Ähnlich sieht es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Finden Sie das auch so logisch?

Ehrlich gesagt, nein. Das wäre frühestens in Ordnung, wenn alle die Chance hatten, sich impfen zu lassen oder alternativ mithilfe von Tests Freiheiten zurückzubekommen. Bei besonderen Regelungen für Geimpfte müssten wir mit Folgeproblemen rechnen, die die Schutzstrategien gegen die Pandemie unterminieren.

Was meinen Sie damit?

Wir müssen aufpassen, dass die Solidaritätszumutung, die wir den Bürgerinnen und Bürgern auferlegen, nicht überstrapaziert wird. Wenn bei 11 Prozent Geimpften darüber diskutiert wird, dass diejenigen, die geimpft sind, Dinge tun dürfen, die andere nicht tun dürfen, und gleichzeitig nicht allen ein Impfangebot gemacht werden kann, wird das zu Recht als ungerecht empfunden.

Impfung und Schnelltest

Die Genauigkeit von Schnelltests variiert laut einer Studie der Cochrane Collaboration stark. Alle Antigentests übersehen einige infizierte Personen, besonders Menschen ohne Symptome. Wer also negativ getestet ist, kann trotzdem infiziert sein.

Dass geimpfte Personen mit vollem Impfschutz Sars-CoV2 übertragen, ist dagegen laut Robert-Koch-Institut unwahrscheinlicher als bei Infizierten mit falsch negativem Schnelltest. Eine Impfung bietet also vermutlich mehr Sicherheit als der negative Test.

Einen hundertprozentigen Schutz gibt es dennoch nicht. Das betont auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek. In den kommenden Wochen müssten Geimpfte daher vor allem ihre noch nicht geimpften Mitmenschen schützen.

JuristInnen würden argumentieren, es ist ungerecht, Grundrechte grundlos einschränken.

Das ist an sich richtig. Wir sollten aber den Gesamtplan zur Pandemiebekämpfung im Blick behalten. Diese Individualisierung, die dem juristischen Denken entspringt und die normalerweise richtig ist, hilft uns an der Stelle nicht weiter, weil wir zusammen als Gesellschaft dafür sorgen müssen, dass die Infektionsschutzregeln eingehalten werden. Man kann nicht nur an einem Zipfel ziehen – dann gibt es eine Aufhebung der Kontaktbeschränkungen oder der Maskenpflicht für die Geimpften – und die Konsequenzen außer Acht lassen. Ich würde sagen: Es ist angemessen, Grundrechte einzuschränken, wenn der Gesundheitsschutz der Bevölkerung nicht anders garantiert werden kann; aber dann eben für alle und natürlich auch nur, wenn die Folgeschäden nicht überwiegen.

Sie befürchten gesellschaftlichen Unfrieden?

Genau. Ich befürchte, dass die Solidaritätsbereitschaft nachlässt, wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden. Die Coronaschutzstrategie sollte erfolgreich zu Ende geführt werden. Wenn das gefährdet ist, ist das sehr wohl ein Argument dafür, nicht einseitige individuelle Freiheitseinschränkungen aufzuheben, die für andere noch gelten.

Könnten wir uns nicht einfach für andere freuen, dass sie ihre Grundrechte wieder haben, und uns noch etwas gedulden?

Stellen Sie sich doch vor, dass die Generation 60 plus, die bald durchgeimpft ist, wieder in Opernhäuser gehen kann oder in klassische Konzerte, aber junge Menschen dürfen noch ein halbes Jahr lang nicht in Rockkonzerte, weil sie noch keinen Impftermin haben. Das würde wohl kaum auf Akzeptanz bei den Jungen stoßen. Die Solidaritätsbereitschaft, die gerade auch junge Menschen in beeindruckender Weise zeigen, sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Lambrecht spricht sich dafür aus, Geimpfte mit Menschen gleichzustellen, die negativ auf das Virus getestet wurden. Damit könnten beispielsweise Kulturangebote an alle gemacht werden, nur müssten sich die Geimpften eben nicht mehr testen lassen. Wäre das okay?

Das wäre eine sinnvolle und gute Möglichkeit. Wenn ein negativer Schnelltest den Zugang zu einer Veranstaltung oder Dienstleistung bietet, können Geimpfte davon ausgenommen werden. Das wäre die richtige Reihenfolge! Diese Form von Ungleichbehandlung könnten die Bürgerinnen und Bürger sicherlich akzeptieren – solange genügend Schnelltests angeboten werden. Ich spreche mich lediglich gegen besondere Regelungen für Geimpfte aus, die nicht ausgeglichen werden können durch alternative Regelungen für Nichtgeimpfte. Dafür würde die gesellschaftliche Akzeptanz fehlen.

Also keine Ausnahmen bei Kontaktbeschränkungen oder Maskenpflicht?

Stellen Sie sich eine U-Bahn vor. Die eine Hälfte sitzt dort mit, die andere ohne Maske. Meinen Sie, dass dann alle Nichtgeimpften ihre Maske aufbehalten würden? Und die Vorstellung, dass das Sicherheitspersonal Impfpässe kontrollieren soll, ist doch absurd. Mal abgesehen davon, dass das vermutlich gar nicht zulässig wäre. Allgemeine Einschränkungen wie Maske tragen oder Abstand halten müssen wir im Sinne der Bereitschaft der Regelbefolgung eine Weile lang aufrechterhalten. Das ist sicher zumutbar. Aber für mich gibt es eine Ausnahme, die der Ethikrat auch in der Ad-hoc-Empfehlung benannt hat. In Pflegeheimen oder in Behindertenheimen sollten Isolationsmaßnahmen für Geimpfte so rasch wie möglich aufgehoben werden. Wenn ein Großteil der Menschen in den Heimen geimpft ist, dann sollten dort auch wieder Gemeinschaftsaktivitäten und Besuche ohne Einschränkungen möglich sein.

Warum sollte es da möglich sein und in anderen Bereichen nicht?

Diese Personengruppe war besonders großen Belastungen im Verlauf der Pandemie ausgesetzt. Wir hatten in der Vergangenheit Situationen, in denen Menschen in Heimen quasi isoliert waren. Solche Freiheitsbeschränkungen gehen weit über die Einschränkungen hinaus, die für andere gelten. Also dass man beispielsweise für eine bestimmte Zeit nicht ins Restaurant oder ins Kino gehen kann.

Was ich nicht genau verstehe: Es gibt doch auch die Vertragsfreiheit. Wenn eine private Fluggesellschaft etwa beschließt, nur geimpfte Menschen zu befördern, dann kann sie das sowieso machen, oder?

Auch bei der Vertragsfreiheit gibt es aber gewisse Grenzen. Man müsste prüfen, ob eine Vorlage eines Impfausweises rechtlich in Ordnung wäre – es geht ja um Gesundheitsdaten. Und es müsste überlegt werden, ob wir von staatlicher Seite proaktiv die Voraussetzungen dafür schaffen wollen, um das möglich zu machen. Ich gehe davon aus, dass es auch bei den Privaten heißt, Coronaschnelltest oder Impfung – unter der Voraussetzung, dass beides angemessene Sicherheit bietet. Auch die Impfung bietet ja keinen hundertprozentigen Schutz vor Infektionen.

Es gibt ja einen Teil der Bevölkerung, der an der Gefährlichkeit des Virus zweifelt. Von Anfang an wurde auf den „Querdenker“-Demos eine „Zwangsimpfung“ als Horrorszenario beschrieben. Wenn wir jetzt über Sonderrechte von Geimpften sprechen, ist das nicht ein indirekter Zwang?

Es wird jedenfalls genauso diskutiert, und viele Menschen sind verunsichert. Sogar in Pflegeheimen und Kliniken gibt es einen gewissen Teil des medizinischen Personals, der sich nicht impfen lassen will, obwohl er könnte. Auf diese Verunsicherung sollte nicht mit Zwang, sondern mit einer guten öffentlichen Informationskampagne reagiert werden. Es braucht ja eine Durchimpfungsrate von 80 bis 85 Prozent, wenn wir auf Dauer mit dem Virus leben müssen. Das werden wir nur erreichen, wenn wir das Gemeinschaftsgefühl stärken und nicht die einen gegen die anderen ausspielen.

Finden Sie, es sollte zumindest eine Impfpflicht für Pflegekräfte geben?

Aus guten Gründen wurde bislang auf eine Impfpflicht verzichtet. Wir sind gut beraten, auch weiterhin auf Freiwilligkeit zu setzen. Die Menschen müssen überzeugt werden, dass wir aus dieser Pandemie nur rauskommen, wenn wir uns alle impfen lassen. Eine direkte oder auch indirekte Impfpflicht würde Gegenreaktionen hervorrufen, und auch das könnte die Gesamtstrategie gefährden.

Was passiert denn mit Menschen, die sich partout nicht impfen lassen wollen?

Wenn wir auch so die notwendige Durchimpfungsrate erreichen, dann wird das wohl akzeptiert werden müssen.

Aber es kommt auf die Zahl an, oder? Wenn 50 Prozent der Bevölkerung sich nicht impfen lassen wollen, dann hätten wir ein Problem.

Ja, aber dagegen sollte präventiv vorgegangen werden. Wir brauchen eine vertrauenswürdige Gesamtstrategie, die klar kommuniziert wird, mit Impfangeboten für alle, kombiniert mit einer guten Teststrategie, und das alles flankiert durch eine gute öffentliche Aufklärung. Diesbezüglich ist noch deutlich Luft nach oben.

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32 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ich bin für Solidarität mit den Geimpften! Sollen die doch mehr Freude am Leben haben. Dadurch habe ich keine Nachteile. Ich finde es verwunderlich, dass Ethikräte den kleingeistigen Spießer pflegen, für Alte, Vorerkrankte, Veranstalter, Gastronomen und Kleingewerbe aber wenig übrig haben.

    • @Yessir Icanboogy:

      Die ethische Frage geht über die moralische Einordnung der beteiligten Standpunkte hinaus. Das Ziel ist nicht, den Ungeimpften "gerecht" zu werden, sondern zu verhindern, dass sie Schaden nehmen (zumal die Geimpften bei Extremverläufen auch wieder die ganz harten Lockdown-Maßnahmen zu spüren bekämen). Wenn es also nunmal so viele Egoisten, Spießer und Kleingeister unter ihnen gibt, dass ungleiche Auflockerung aufgrund des Impfstatus zu erheblichen Trotzreaktionen führen würde, dann ist das eine Gefahr, die bei der Erwägung solcher Lockerungen zu bedenken ist.

      Es ist bedauerlich, wenn daraus gleich wieder ein Wettbewerb ums Rechthaben gemacht wird.

  • Geimpfte sind schon allein dadurch privilegiert, dass sie geimpft sind. Dass sie ohne Angst vor virenschleudernden Leerdenker:innen und Mimimi-Öffnungsfanatiker:innenn ihren täglichen Bedarf einkaufen und ihre Arzttermine wahrnehmen können.

  • Erstens finde ich es auch so schön nicht nachvollziehbar, dass ich Bekannte habe, die selbst nicht wissen, warum sie einen Impftermin haben, ich als chronisch Kranke in selben Bundesland aber nicht. Das würde mich bei mehr Freiheiten für geimpfte mit noch wütender machen.



    Zweitens ist Corona nicht für alle gleich gefährlich. Seit über einem Jahr nehmen junge, gesunde Menschen in Namen der Solidarität extreme Einschnitte hin - und sollten dass jetzt noch länger tun, während die Menschen, die sie schützen, diese Einschränkungen nicht mehr hinnehmen sollen? Das klingt sehr ungerecht und hilft sicher nicht gegen die Spaltung der Gesellschaft.



    Drittens habe ich nicht den Eindruck, dass die Einschränkungen für ältere Menschen so viel krasser sind als für alleinerziehende Mütter oder Studierende, die gerade reihenweise depressiv werden.



    Und einen Impfzwang fände ich auch problematisch: die bedauerlichen Todesfälle nach AstraZeneca wären noch schwerer verträglich gewesen, wenn die Betroffenen nur geimpft wurden, weil sie dazu gezwungen wurden. Stellen Sie sich vor, eine geliebte Person hat Angst vor der Impfung, wird dann dazu gezwungen und stirbt an den Folgen. Und das vielleicht noch, weil sie "dumm genug" war, sich in der Pflege für andere kaputt zu arbeiten. Die Impfungen sind sicher, aber man kann Nebenwirkungen eben nicht so sicher ausschließen wie bei z.B. Masernimpfungen. Jungen, gesunden Menschen dieses Risiko aufzuzwingen finde ich nicht vertretbar.

  • Auch wenn ich relativ spät ein Angebot erhalten werde, würde mich Privilegien für Geimpfte nicht stören. Es geht ja auch darum irgendwann mal zur Normalität zurückkehren zu können und die Folgen für Hunderttausende von Betroffenen zu mildern. Dafür könnten solche Privilegien durchaus sinnvoll sein. Die Gleichsetzung mit negativ getesteten sehe ich etwas kritisch. Das ist ja nunmal nicht dasselbe. Da müsste man sich ja 2mal am Tag testen lassen...

  • Ich spreche mich lediglich gegen besondere Regelungen für Geimpfte aus, die nicht ausgeglichen werden können durch alternative Regelungen für Nichtgeimpfte. Dafür würde die gesellschaftliche Akzeptanz fehlen.

    Woher weiß sie eigentlich, dass dafür die gesellschaftliche Akzeptanz fehlen würde. Weder hier im Forum noch in den Diskussionen bei der FAZ habe ich eine "Mehrheit" erkennen können, die fordern, das Geimpfte aus Solidarität daheim bleiben. Im übrigen ist es auch keine Solidarität. Denn ich habe keinen Nutzen davon. Und die Künstler, die dann eben nur vor einem alten Publikum spielen, auch nicht. Faktisch bleibt die Kultur, etc. dann noch länger geschlossen.

    Meine Hoffnung ist, dass die ganze Diskussion überflüssig ist und in zwei Monaten ein Großteil die Erstimpfung hat, die ja auch schon was bringt.

    • @Strolch:

      Auf Foren tummeln sich ja auch vor allem vollkommene Menschen ohne charakterliche Fehler - wenn man sie fragt. Die haben solche Schwächen nicht.

      Dasselbe gilt übrigens auch für die Musterknaben z. B. bei der AfD. Papa Gauland hat natürlich selbst nichts gegen Ausländer. Das wäre ja charakterschwach. Er weiß nur, dass es viele, viele, arme (namenlose) verirrte Menschen gibt, denen sie irrationalerweise Angst machen. Selbst wenn das erste NICHT gelogen sein sollte, hat er doch leider mit dem zweiten Recht genug, dass es für massig Wählerstimmen reicht.

      Ich sach also mal so: Wer wirklich noch nie sich selbst von einem offensichtlichen Schutz-Verstoß "freigesprochen" hat ("Ist jetzt in DER Situation wirklich nicht so wichtig.", "Einmal ist keinmal", "Oma bekommt doch außer uns eh quasi niemanden zu Gesicht", "Disziplin ist ja schön und gut, ABER..."), trete einen Schritt vor. Der Rest soll nicht so scheinheilig tun: Wir wissen Alle, wie Schlamperei sich einschleicht und wie gut sie sich an wohlfeilen Ausreden - wie eben z. B. gefühlten Ungerechtigkeiten - hochziehen kann.

  • Ob man nun Privilegien für Geimpfte oder Restriktion für Ungeimpfte sagt, bleibt am Ende Haarspalterei.

    Sobald der individuelle Immunitätsstatus das Argument für oder gegen Grundrechte ist, DARF man gar nicht genealistusch 80 Millionen eine Infektiösität unterstellen, ohne sie nachweisen zu können.

    Binden wir also Restriktion an AKTUELLE Infektiösität, muss diese Bindung allen Bürgern gegenüber angewandt werden.



    Ein vorverurteilender Generalverdacht allen gegenüber, die Ungeimpften sind ist daher aufgrund des Gleichstellungsgesetzes nicht zulässig. Jeder muss dann das Recht haben, nach seinem individuellen Immunitätsstatus bzw Infektiösität bewertet zu werden.

    Also kann man mit genau dem Argument, mit dem Grundrechte für Geimpfte gefordert werden, das eigene Argument entheben. Bzw würde genau das Argument die Restriktion der vergangenen 13 Monate als unzulässig darstellen.

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Der Ethikrat sollte sich aus der Debatte heraushalten. Hier geht es um Recht und das Grundgesetz. Dem Ethikrat fehlt es an Kompetenz und Zuständigkeit, Bei Recht auf Leben hinsichtlich Abtreibungsverbot oder Rechte der ungeborenen Kinder herrscht schon lange Schweigen, ebenso hinsichtlich einer Stellungnahme der Schiffbrüchigen im Mittelmeer(Kann die Bundesregierung Deutsche Schiffsführer verpflichten alle Flüchtlinge aufzunehmen). Aber bei der Impfung kommen jetzt auf einmal die Adabei wieder in die Öffentlichkeit. Das Irre ist die Einstellung: Wenn es meinem Nachbarn schlecht geht( Nicht geimpft) soll es mir( Geimpft) auch schlecht gehen , aus Solidarität. Normal wäre doch, dass es allen besser geht.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Fälle der praktischen Konkordanz, also der Abwägung verschiedener hoch eingeschätzter und des halb von der Verfassung speziell geschützter Rechte und Güter gegeneinander sind durchaus ein prädestiniertes Spielfeld für den Ethikrat. Dass er, wie im Fall Abtreibung, nicht immer zu einem klaren Ergebnis kommt, heißt auch nicht, dass er sich damit nicht beschäftigt. Einfach mal googeln.

      • 9G
        97287 (Profil gelöscht)
        @Normalo:

        Dazu gibt es das Verfassungsgericht oder ?

        • @97287 (Profil gelöscht):

          Was für eine autoritäre Rhetorik. Es gibt doch nicht bloß die eine bis zur Metaebene hin "richtige" Sichtweise, die so ein Gericht ausurteilt.

          Der Ethikrat ist dazu da, zu reflektieren, verschiedene Denkschulen abzubilden und einzuordnen - und gegebenenfalls eben auch die Frage zu stellen, ob die Verfassungsrechtslage so sein SOLLTE, wie das Gericht sie interpretiert. Ich habe unten schonmal geschrieben, dass Recht nichts weiter ist als die staatliche Entscheidung für eine bestimmte Ethik. Das Gericht kann also auch immer nur ein statisches Bild der aktuell in Recht gegossenen Ethik abgeben. Allein dieser Umstand verengt naturgemäß den Blickwinkel massiv. Und das ist der Punkt, an dem der Ethikrat ansetzt. So soll er eben z. B. auch die Uneinigkeit der Beurteilung eines essentiell kontroversen Themas wie der Abtreibung abbilden können, wo das Verfassungsgericht nicht anders kann als sich festzulegen.

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Sehe ich auch so. Außerdem hat gesellschaftliche Akzeptanz nichts mit Ethik zu tun. Die Geschichte der Menschheit ist voller Beispiele für ethisch verwerfliche Handlungen, die gesellschaftlich akzeptiert wurden.

  • Dass Frau Graumann als Mitglied des Ethikrates, nein, des ‚Deutschen Ethikrates‘, diese Meinung vertritt, ist unüberraschend.



    Das ist schließlic ihr Job, auch in einer sonst ethisch oft fragwürdigen Gesellschaft strenge ethische Maßstäbe (hier leider auch ausgehend von vagen Vermutungen zum kollektiven Gerechtigkeitsempfinden) zu postulieren, die sich per se der objektiven Einordnung in falsch oder richtig entziehen.



    Gleichwohl erinnert es lebenspraktisch an eine Grundhaltung typisch deutscher Mentalität: ‚ … ich hätte da gerne ein Problem …‘



    Jedenfalls freue ich mich auf die nun anlaufende Diskussion.

  • Die Inanspruchnahme verfassungsmässiger Rechte als "Privileg" zu bezeichnen offenbart eine besorgniserregend autoritäre Grundhaltung, die offenbar Grundrechte als herrschaftlichen Gnadenerweis betrachtet.



    "Besondere Regelungen" ist da nur marginal besser.

    Insistenz auf die volle Wiederherstellung der Grundrechte scheint doch mittlerweilen der einzige Hebel, um die stockende Impfkampgane in Schwung zu bringen.



    Glaubt jemand ernsthaft, die Hausärzte wären ohne massiven Druck und Unzufriedenheit mit einbezogen worden?

    Wenn Laschet in allen Ernstes betont, dass "den Impzentren nichts weggenommen wird", als hätten die offensichtlich überforderten Bürokratiemonster eine eigenständige Existenzberechtugung statt anfänglich notwendiges Mittel zum Zweck zu sein, dann zeigt das doch doch unmissverständlich, dass an nicht wenigen Stellen die Begriffe komplett durcheinander gekommen sind.

    • @flip flop:

      Von einem Verbot ausgenommen zu sein, dass sonst für Alle gilt (und als solches auch notwendig und verhältnismäßig ist), IST nunmal effektiv ein Privileg. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Autofahren ohne Führerschein z. B. ist auch eine "Wahrnehmung von Freiheitsrechten", die halt durch ein akzeptiertes, strafbewehrtes Allgemeinverbot eingeschränkt werden. Und da sagen wir auch nicht "Naja, wenn der Mensch aber faktisch sicher fahren KANN, dann ist es schon ok...".

      Ansonsten d'accord. Aber was sie dann schreiben, steht auch nicht im Widerspruch zu der Überlegung, dass die Freigabe von der Impfmöglichkeit für Alle abhängen sollte.

      • @Normalo:

        Aber Ihr Beispiel mit dem Autofahren ist doch eher ein Argument gegen Einschränkungen für Geimpfte: Autofahren ist gefährlich und daher grundsätzlich verboten, es sei denn, man weist durch Ablegen einer Prüfung nach, dass man fahren kann und die Verkehrsregeln kennt. Nach der Prüfung erhält man eine Fahrerlaubnis. Wer eine Fahrerlaubnis hat, darf fahren, wer keine hat, der nicht. Und das wird allgemein akzeptiert. Es wird nicht als ungerecht empfunden, dass Personen, die bisher nicht die Gelegenheit hatten, eine Fahrerlaubnis zu erwerben, nicht Autofahren dürfen. Und es wird den Inhabern der Fahrerlaubnis nicht das Fahren mit der Begründung verboten, dass es Leute gibt, die verbotswidrig ohne Fahrerlaubnis fahren, und dass man die einen nicht von den anderen unterscheiden könne. Wer fahren darf und wer nicht, wird dadurch kontrolliert, dass der Führerschein vorgezeigt werden muss. Wieso sollte das nicht auch mit dem Impfpass funktionieren?

        • @Budzylein:

          Weil die Leute, die keinen Führerschein haben, nicht aus Solidarität darauf verzichtet haben, ihn zu machen, und ihre Scheinlosigkeit auch jederzeit ändern können. Wer also jetzt keinen hat, wird das nicht so leicht auf die "Ungerechtigkeit der Führerscheinverteilung" schieben, gegen die er - das gefühlt Gerechte mit dem Angenehmen verbindend - mit Trotzdem-Fahren rebelliert.

          Der Führerschein ist keine taugliche Parallele für die gesamte jetzige Situation, sondern nur ein "technisches" Beispiel, wie bei einem Allgemeinverbot die Ausnahme effektiv privilegierend wirkt.

  • Ex falso quodlibet: Die (meinen Meinung nach berechtigten) Coronarstriktionen sind Sonderregeln für Infizierbare und potentiell Infektiöse. Bislang betrafen sie jedoch fast alle Bürger. Doch inzwischen gibt es eine wachsende Zahl von Bürgern, die nicht mehr zu dieser Gruppe zählen. Für sie ist es jedoch kein "Privileg" die Grundrechte unsere freiheitlich demokratischen Gesellschaft zu leben, sondern eine Rückkehr zum Normalen. Die Restriktion bedarf der Rechtfertigung, nicht deren Aufhebung.

    • @Holger Westermann:

      Die Rechtfertigung ist, dass auch wenn von Geimpften keine Gefahr ausgeht, ihre Ausnahme von den Schutzmaßnahmen aber FAKTISCH trotzdem der Allgemeinheit schaden würde. Denn die breite Disziplin bei der Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen ist nunmal ein äußerst fragiles Gewächs, und die Akzeptanz von verordneten Einschränkungen lässt überproportional nach, je mehr Menschen der Betroffene beobachten kann, die nicht dieselben Einschränkungen zu erdulden haben, ohne dass er eine Chance hat, zu ihnen zu gehören. Das ist nicht die Schuld der Nicht-Eingeschränkten, aber es ist ein reales Phänomen, das in der jetzigen Situation Leben kosten würde.

      Man darf auch nicht vergessen, dass die Nichtgeimpften weit überwiegend selbst nur ein geringes Risiko haben, Opfer eines schweren Corona-Verlaufs zu werden. Sie haben bislang durchgehalten und auch ihre Rückstellung bei den Impfungen akzeptiert, um die stärker Gefährdeten zu schützen. Ausgerechnet von denen jetzt eine Nase gedreht zu bekommen (Motto: "Was gehen mich EURE Infektionsrisiken an?"), kann ungemein frustran wirken Und diesen Frust bekämen wir dann im Zweifel in der nächsten Infektionswelle zu spüren - die Geimpften natürlich nicht, hehe....

      • @Normalo:

        Meine Argumentation folgt dem deontologischen Argument (Grundrechte); Ihre dem sozialpädagogischen eines erwünschten Effekts (Einhaltung der Regeln). Beides ist legitim. Die ethische Abwägung verlangt eine Entscheidung, welchem Argument größeres Gewicht zugemessen wird; denn gegeneinander aufrechnen kann man sie nicht, das sie unterschiedliche Perspektiven der Ethik repräsentieren.

        • @Holger Westermann:

          Recht und Ethik sind substanziell dasselbe. Recht ist nur die staatliche Festlegung auf eine BESTIMMTE Ethik. Insofern reden wir hier nicht von verschiedenen Ebenen.







          In diesem Sinne kann man prima auch rein juristisch abwägen: Unsere Grundrechte sind - bis auf Würde und Leben - nicht schrankenlos gewehrt. Sie können und sollen eingeschränkt werden können, INSBESONDERE wenn es um den Schutz der schranklos geschützten Rechtsgüter geht (sog. "praktische Konkordanz" - deontologisch ohne Ende), wie im Fall einer Pandemie das Leben der Betroffenen.

          Dass dieser Schutz am Ende entscheidend nicht auf der rechtlichen sondern auf der tatsächlichen Ebene Erfolg haben muss, bringt Argumente mit ins Spiel, die mehr empirischer als rein rationaler Natur sind - sie zum Beispiel die tatsächliche Reaktion lebender, denkender Homo Sapiens auf bestimmte Reize im sozialen Umfeld.

          Insofern fragt der Grundrechtler nur, "Stimmt das (nach Stand der Wissenschaft?", und kann dann sauber urteilen. In diesem Fall wäre das Urteil aus meiner Sicht klar: Wenn's stimmt, geht die Stabilität der Schutzmaßnahmen vor.

          Und es stimmt.

  • Umgekehrt wird ein Schuh draus

    Die Bundes-Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) begründete ihr Plädoyer für eine Repressionsbeendigung für Geimpfte mit dem Argument: „Wenn wir wissen, daß die Impfung tatsächlich dazu führt, dass man nicht mehr infektiös ist, dann gibt es auch keinen Grund mehr, die Grundrechte einzuschränken.“ (FAZ, 22.2.2021)



    Das Argument ließe sich auch umdrehen: Solange nicht sicher feststeht, daß von Nicht-Geimpften eine Gefahr für andere ausgeht, fehlt ein wichtiges Begründungselement für den Grundrechtseingriff. Dies darf für all jene gelten, bei denen keine Infektion dedektiert wurde, also für 80 Mio. Deutsche.

    

Andererseits kann eine Immunität auch auf natürlichem Wege erworben werden, etwa nach einer überstandenen Infektion. Entscheidend ist folglich der Immunstatus und nicht allein die Impfung als nur eine der möglichen Wege zur Erwerbung von Immunität. Das Privileg, von freiheitseinschränkenden Zugangsrechten ausgenommen zu werden, wäre daher konsequenterweise von diesem Immunstatus abhängig zu machen, ob geimpft oder nicht. 


    • @Reinhardt Gutsche:

      "Solange nicht sicher feststeht, daß von Nicht-Geimpften eine Gefahr für andere ausgeht..."

      Das ist Quatsch. Wozu gibt's denn wohl Impfungen?

      • @Suryo:

        Zitat @Suryo: „Wozu gibt's denn wohl Impfungen?“

        Eben.

  • Seien wir doch realistisch - Die ganze Diskussion um angebliche Privilegien und ob diese Grundrechtsrückgewährung oder Grundrechtsbeschränkungsaufhebung seien oder negativ Getestete gleichzubehandeln seien, ist wie die, ob man an oder mit Corona abnippelt:



    Das ist realitätsferne rein akademische Wolkenkuckucks-Haarspalterei, denn sobald ca die Hälfte der Bundesbürger geimpft ist und somit 90 % der Risikogruppe, wird eh alles aufgemacht - oder glaubt hier jemand, man (Resonatoren öffentlicher Meinung, d.h. Wirtschaft, Qu(atsch)erdenker+Politik) würde sich um das Restrisiko junger Wahlausgangsirrelevanter kümmern? Hätte Corona eher junge Frauen und andere Randgruppen befallen, gäbe es statt Pandemielockdown ein paar Aufklärungsheftchen, Maskenautomaten auf dem Klo und gute Ratschläge vom Pfarrer - wie bei HIV.

  • Es sind nicht nur keine Privilegien, es sind auch keine besonderen Regelungen für Geimpfte. Es handelt sich um den verfassungsmäßigen Grundzustand, die Normalität. Nichtgeimpfte sind besonderen Regelungen unterworfen, nicht Geimpfte.

    "gibt es einen gewissen Teil des medizinischen Personals, der sich nicht impfen lassen will, obwohl er könnte. Auf diese Verunsicherung sollte nicht mit Zwang, sondern mit einer guten öffentlichen Informationskampagne reagiert werden."

    Unsinn. Bei Impfungen gegen Hepatitis und Co. wird bei Pfleger*innen und Ärzt*innen gar nicht nach Zustimmung gefragt, geschweige denn diskutiert. Müssen wir als nächstes auch eine öffentliche Informationskampagne über den Sinn des Händewaschens im Berufsfeld Krankenpflege und Medizin machen? Die ganzen Verweigerer werden nur nicht entlassen, weil Pflegenotstand herrscht. Aber wer sich nicht impfen lassen will, missachtet damit absolut fundamentale Pflichten gegenüber den Patienten und ist eigentlich nicht mehr für den Beruf geeignet.

  • "Ich befürchte, dass die Solidaritätsbereitschaft nachlässt, wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden." Ach was? Umgekehrt wird auch ein Schuh draus, Frau Graumann. Wenn ich geimpft wäre und ein halbes Jahr oder länger darauf warten müsste, mich wieder uneingeschränkt bewegen zu können weil irgendwann vergessen wurde, ausreichend Impfstoff für uns alle zu bestellen, dann wäre es auch schlecht bestellt mit meiner Solidarität.

    • @Lars B.:

      Finde ich auch. Zumal die jetzt schon Geimpften qua Alter ja tendenziell diejenigen sind, die weniger Zeit haben, das Versäumte aufzuholen, als irgendwelche Twentysomethings.

  • Das Verhältnis von Test- und Impfstatus ist sicherlich interessant. Es ist auch richtig, dass eine diversifizierte Kontrolle einer Maskenpflicht im frei zugänglichen, öffentlichen Räumen (nur Ungeimpfte/Ungeteste müssen Masken tragen) nicht praktikabel erscheint (bei Veranstaltungen mit Einlasskontrolle/beschränkung sieht das schon wieder anders aus).

    Aber die Argumentationskette, dass "die Schutzstrategie", "die Gefühle", "die Akzeptanz", "das Gemeinschaftsgefühl" der Anlass dafür sein müssen, Einschränkungen aufrecht zu halten und in letzter Konsequenz auch staatliche Ordnungsgewalt einzusetzen, stößt mich ab und ich lehne das absolut ab. Mit dieser Argumentation ist dann bei Bedarf wirklich alles möglich. Ich bin noch nicht so alt und warte gern, solange der Staat nicht anfängt so einen Bullshit zu betreiben. Das ist auch ein Thema bei dem energischer und rabiater Widerstand notwendig ist. Durchgeknallte Mehrheiten dürfen sich dabei nicht durchsetzen.

    • @Shaftoe:

      Sie haben sehr recht: Wenn man Grundrechte einschränken kann wegen eines Gemeinschaftsgefühls, dann sind Grundrechte nichts, aber auch gar nichts mehr Wert. Es ist gar nicht auszudenken, was einer Regierung, ja, auch einer wohlmeinenden Regierung, da noch alles einfallen könnte.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Sigrid Graumann vom Ethikrat ist gegen Privilegien für Geimpfte allein. Sie fände es aber vertretbar, Geimpfte mit negativ Getesteten gleichzustellen."

    Der Ethikrat..brrr.



    Natürlich darf Frau Graumann ihre Meinung haben, meine ist genau entgegengesetzt.



    Schon aus rechtlichen Gründen geht es nicht, dass man den Geimpften weiterhin ihre Bürgerrechte verweigert.



    Aber das spielt beim Ethikrat vielleicht nicht so die entscheidende Rolle.