Essay Grüne Industriepolitik: Endlich zusammendenken
Für Klimapolitik zu sein, ist noch keine Klimapolitik. Über mögliche Verbindungen von Ökologie und Ökonomie wird bisher zu wenig gestritten.
E uropa hat gewählt. Laut Analyse von Infratest Dimap sei in Deutschland dabei der Klima- und Umweltschutz (48 Prozent) neben der sozialen Sicherheit (43 Prozent) das wahlentscheidende Thema gewesen. Die Bedeutung des Klimaschutzes ist im Vergleich zu 2014 um ganze 28 Prozentpunkte angestiegen, während die von sozialer Sicherheit um 5 Prozentpunkte sank. Das kann an der Jugendbewegung Fridays for Future liegen, an relativ aktivistischer Berichterstattung zu dem Thema oder einfach daran, dass die Menschen merken, dass es von Jahr zu Jahr anscheinend heißer wird. Und dass der Klimawandel eine ziemlich reale Sache ist.
Das Klima hat also Bedeutung. Aber für Klimapolitik zu sein, ist ja noch keine Klimapolitik. Die Frage steht im Raum, was eigentlich gute Klimapolitik ist und welche Instrumente und Wege dafür zentral sind. Meine Überzeugung: Wir brauchen eine grüne Industriepolitik.
In Deutschland streiten wir aber bislang nicht richtig über konkrete Wege der Klimapolitik. Wir machen eher einen großen Grundsatzpopanz. Wir laden das Thema auf, ignorieren oder bekämpfen es. Je nach politischem Lager. Vor allem denken wir hierzulande meist Ökologie und Ökonomie nicht zusammen, sondern in einer befremdlichen Weise gegeneinander.
Und wenn wir nun mit ökologischer Industriepolitik beginnen, dann sind wir bei Sigmar Gabriel, der nämlich einst als Umweltminister zusammen mit seinem damaligen Staatssekretär Matthias Machnig eine „ökologische Industriepolitik“ zu entwickeln versuchte. Diese ökologische Industriepolitik und ein primär technisches Herangehen an Klimalösungen müssen im Fokus stehen.
Hilft die Steuer wirklich?
Erschreckend ist nämlich, dass laut einer Allensbach-Analyse für die FAZ der Fortschrittsoptimismus auf den niedrigsten Wert seit fünf Jahrzehnten gesunken ist. Viele Deutsche haben Angst. Vor Digitalisierung und vor Jobverlust, vor sterbenden Industrien und dem bedrohlichen Klimawandel. Es schreit so eigentlich nach einer Partei und einer Formation, die technischen, ökonomischen, ökologischen, und sozialen Fortschritt zusammenbringen will.
Es ist also Zeit, Umwelt- und Energiepolitik endlich makroökonomisch zu denken. Matthias Machnig hatte dazu schon 2011 in einem Positionspapier der Friedrich-Ebert-Stiftung zwei epochale Sätze geschrieben: „Die Ökologie wird zur Ökonomie des 21. Jahrhunderts und die ökologische Industriepolitik zieht daraus die Konsequenzen. Sie gibt eine ökonomische Antwort auf die ökologische Frage.“ Also wie geht das mit grüner Ökonomie?
Eine CO²-Steuer wird gerade heiß diskutiert. Die Bewegung Fridays for Future fordert sie. Die Höhe der Abgabe soll bei 180 Euro pro Tonne CO² liegen. Jan Hauser von der FAZ hat ausgerechnet, was das kosten würde. Jeder müsste im Schnitt 2.090 Euro im Jahr mehr zahlen. Läge die Höhe der Abgabe zunächst bei 20 Euro pro Tonne, wie es etwa der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt vorschlägt, käme man anfangs auf 232 Euro Mehrbelastung.
Damit diese Abgabe soziale Akzeptanz findet, hat die Umweltministerin aber schon verkündet, dass sie, wenn sie käme, kleine und mittlere Einkommen nicht stärker belasten dürfte. Das dürfte das Gelbwestenpotenzial in Deutschland zunächst verringern. Denn die Bürger bekommen die Steuer zurück. Der Fiskus soll davon ja nicht reicher werden, sondern es soll damit etwas für Klimaschutz getan werden. Aber hilft die Steuer wirklich?
Gar nicht so schwer
Wäre sie ein industriepolitischer Anreiz, sich stärker neuen Techniken und Ideen zu widmen? Vor allem hätte die CO²-Steuer bei dem Preis von 20 Euro pro Tonne keine Lenkungswirkung auf den privaten Konsum. Denn die Preise würden kaum steigen. Die 180 Euro pro Tonne würden zwar Lenkungswirkung erzielen, aber die meisten deutschen Kohlekraftwerke müssten dann wohl sofort dichtmachen. Sollen dann die klammen Kommunen im Ruhrgebiet RWE und Eon mit Steuergeld retten? Ist das eine gute Lösung?
Die Kohlekraftwerke gehen ohnehin irgendwann zeitnah vom Netz. Die Konzerne müssen sich darauf einstellen. Aber von heute auf morgen? Die Energiewende muss endlich von „Ad-hoc-Entscheidungen“, getriebener Emotionalität und ständigen Wendungen befreit werden.
Es bleiben also Bedenken gegen die CO²-Steuer. Eine CO²-Steuer ist wahrscheinlich besser als die Erweiterung des europäischen Emissionshandels und könnte so eine gute Maßnahme unter vielen sein. Weiter über die Steuer nachdenken sollte man jedenfalls – vor allem über ihre konkreten Gestaltungsmöglichkeiten. Man muss eine CO²-Steuer zwar nicht als Gegensatz zu einer grünen Industriepolitik sehen, sondern kann sie sich auch grundsätzlich als Anreiz für Unternehmen zu Investitionsveränderungen vorstellen. Aber im Kern ist eine Grundidee für eine grüne Industriepolitik wichtiger als eine CO²-Steuer.
Grüne Industriepolitik ist dabei gar nicht so schwer. Und es wird ja bereits auch etwas getan. Der Bund will gerade eine Agentur nach dem Vorbild der Darpa, einer staatlichen Innovationsagentur aus den USA, gründen und zunächst mit rund einer Milliarde Euro ausstatten, um „Sprunginnovationen“ zu ermöglichen. Nun ist aber eine Milliarde viel zu wenig, und zudem könnte man darüber nachdenken, nach dem Vorbild der Arpa-E – ebenfalls aus den USA – gleich noch eine zweite Agentur für Innovationen in der Umwelt- und Energietechnik zu gründen.
Nils Heisterhagen ist Publizist und Sozialdemokrat. Er veröffentlichte zuletzt im Dietz Verlag das Buch „Die liberale Illusion. Warum wir einen linken Realismus brauchen“. Darin ist auch ein Kapitel über Umweltpolitik.
Ein Trauerspiel
Außerdem sollte dringend darüber nachgedacht werden, wie eine industriepolitische Nutzung der staatlichen Bank KfW aussehen könnte. Man hat mit der KfW einen ungehobenen Schatz in staatlicher Hand. Die KfW könnte und sollte in weiteren industriepolitischen Plänen jeder Art eine größe Rolle spielen. So auch bei der Entwicklung einer prosperierenden deutschen Green-Tech-Industrie. Zu guter Industriepolitik gehört aber auch eine intensivere Forschungspolitik. Was muss da passieren?
Die Braunkohle-Bundesländer sollen ja bekanntlich 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel bekommen. 14 Milliarden davon sollen direkte Finanzhilfen sein. Laut einem Zeitungsbericht sollen etwa 3,6 Milliarden Euro direkt an Brandenburg gehen, das in der Lausitz einen Strukturwandel durchführen muss. Brandenburg wäre hier anzuraten, nahezu all sein Geld in die Technische Universität Cottbus-Senftenberg zu stecken und diese zu einer „Energieuniversität“ auszubauen, die am Ende sogar so heißen könnte.
Zudem sollte es – wer auch immer es finanziert – zur Gründung eines Fraunhofer-Instituts für Batteriezellenfertigung in Cottbus kommen, und dafür müsste mindestens eine Milliarde Euro investiert werden. Wenn in der Lausitz eine Region prosperieren kann, dann Cottbus. Auf den Dörfern in der Lausitz wird es eher schwer. Cottbus müsste aber auch endlich durch eine ICE-Verbindung Berlin–Cottbus–Wrocław besser angebunden werden. Es ist ein Trauerspiel, dass der Bund dieses Vorhaben erst Anfang dieses Jahres abgewinkt hat.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nordrhein-Westfalen sollte mit seinen 5,2 Milliarden Euro ein Brennstoffzellen-Kompetenzzentrum einrichten, vielleicht unter Federführung der Helmholtz-Gemeinschaft, und dafür mindestens die Hälfte des Geldes verwenden. Deutschland ist gut beraten, bei den Antrieben der Zukunft nicht eingleisig auf die Elektrobatterie zu setzen. Die Autonation Japan etwa setzt fast komplett auf das Wasserstoffauto. Das sollte uns Deutschen eine Mahnung sein.
Und jetzt macht!
Zu guter Letzt sollte es zu einer besseren Grundlagenerforschung der „Kernfusion“ kommen, die vielleicht die Energiequelle der Zukunft sein könnte. Kernfusion erforscht das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald und Garching. Diesem Institut sollten Milliarden Euro an neuen Forschungsgeldern zukommen. Die Atomenergie wurde auch durch staatliche Förderung entwickelt. Anders geht es nicht.
Um Greifswald und Garching herum könnten Siemens, Eon oder RWE aber dann auch kleine unternehmenseigene Innovationshubs bilden, die die Grundlagenforschung irgendwann betriebswirtschaftlich nutzen. In der Forschungspolitik, um das abschließend zu sagen, liegt wohl das größte Potenzial für den Kampf gegen den Klimawandel.
Und jetzt macht! Damit ist in erster Linie die SPD gemeint. Die SPD kann die Grünen sogar bei ihrem Kernthema Klimaschutz stellen, weil die Grünen eher viel Poesie und Klimaemotionalität und weniger konkrete Vorschläge bieten. Zeit also für einen SPD-Aufschlag für einen Green New Deal. In diesem Text wurden Ideen dazu entwickelt. Man kann der Parteiführung der SPD da nur raten: Kopiert die Ideen, setzt eurer SPD-Logo drunter und verabschiedet es dann. Sozialdemokratische Klimapolitik ist echt nicht so schwer.
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