Kommentar Bedeutung der Europawahl: Fürs Klima streiten statt kuscheln
Die Ergebnisse der Europawahl sind ein Erfolg fürs Klima. Das sollte nicht in Plüsch-PR münden, sondern in Gestaltungsmacht.
Für Europa gibts ein lebenswichtiges Thema. Ganz gleich, was die Rechten sagen Foto: Bjoern Kietzmann
Diese Wahl war die erste ohne Angela Merkel. Die Noch-Kanzlerin machte sich rar und setzte ihre Restmacht nicht mehr ein im Ringen um ein offenes, ein liberales Europa. Sie hat die anderen agieren lassen, „die Anführerin der freien Welt“, denn so lautet ja jener Ehrentitel, der in seltsamem Gegensatz zum Understatement dieser Politikerin steht. Man muss nach diesem Sonntag sagen: Die freie Welt hat es schwer, aber sie kommt klar.
In Frankreich ist Le Pens Front National stärkste Kraft, in Italien Salvinis Lega, und Orbán hat in Ungarn auch wieder gewonnen. Aber ein Durchmarsch der Retro-Nationalisten war es auch nicht, im neuen Europaparlament bleiben sie eine Minderheit. Die Mehrheit jener, die Europa wollen – sie steht.
Nochmal zu Merkel: In ihren nun fast 14 Regierungsjahren hat sie die Ungleichheit auf dem Kontinent eher befördert, ambitionierte Projekte zur Entwicklung der EU ignoriert und den Kampf gegen die Erhitzung der Erde behindert. Europa und das Klima, beide hat Merkel nicht voran gebracht. Jetzt, bei dieser ersten Wahl ohne sie, haben beide einen politischen Schub bekommen.
Erstens: Diese Europawahl war eine Europawahl. Früher waren die Wahlen zum Brüsseler Parlament eher ein Barometer der Bundespolitik, ein wenig Infratest de Luxe. Ja, auch diesmal spielten Fragen der Mitgliedsstaaten eine Rolle, auch am Sonntag schauten die Bürgerinnen und Bürger, wie es in ihren Hauptstädten läuft. Aber im Zentrum standen Konflikte, die eng mit der EU verbunden sind, etwa Brexit, Migration, Rechtsstaatlichkeit. Die Idee der EU gegen den Nationalismus – diese Auseinandersetzung wurde ausgefochten, und viele kämpften um Europa. Es gaben EU-weit so viele Menschen ihre Stimme ab wie seit 20 Jahren nicht mehr bei einer Europawahl.
Zweitens: Diese Europawahl war eine Klimawahl. Das zeigt sich deutlich in Erfolgen der Grünen in Frankreich, Finnland, Österreich – und in Deutschland. Die deutschen Grünen gewannen 20 Prozent. Das ist viel, zumal ihnen kleine Clubs wie ÖDP, Tierschutzpartei oder Piraten bei dieser Wahl mehr Konkurrenz machten als sonst, da es keine Sperrklausel für den Einzug ins Parlament gibt. In Deutschland haben die Grünen Millionen frühere Nichtwähler mobilisiert. Und sie haben die Sozialdemokratie überholt. Dass SPD-Chefin Andrea Nahles nach der Wahl als erstes Thema den Klimaschutz ansprach, zeigt die Bedeutung diese Frage, in der die Grünen glaubwürdiger sind als alle anderen.
Falls die Groko so weiter siecht, ist das für die Grünen auch schön
Darunter litten auch CDU und CSU. Schon erstaunlich, dass sich beide am Sonntagabend dafür lobten, dass die Union stärkste Kraft wurde. Man ist bescheiden geworden im Hause Kramp-Karrrenbauer. Und, das muss man auch sagen, sich an manchen Stellen von Merkel abzugrenzen, hat der neuen CDU-Chefin nicht besonders viel gebracht. Falls in Berlin die schwarz-rote Bundesregierung in den nächsten Monaten doch platzt, gehen die Grünen mit einer starken Ausgangsposition in Neuwahlen. Ihr Spitzenduo Baerbock/Habeck ist beliebt und einig, ihre Organisation kampagnenfähig, ihre Themen klar und dringlich.
Falls die Groko so weiter siecht, ist das für die Grünen auch schön. Je mutloser CDU, CSU und SPD wirken, desto selbstbewusster kommen die Grünen rüber. Sie dominieren den Diskurs, und mit ihnen ihr wichtigstes Thema. Das ist erfreulich, denn die Bekämpfung der Klimakrise gehört in der Prioritätenliste der Politik dauerhaft nach vorn.
Drittens: Diese Wahl enthält Anzeichen, dass ein Gegensatz die Auseinandersetzung künftig stark prägen wird: der zwischen Klimabewegung und rechter Bewegung. Die Klimakrise ist ein globales Problem, das am besten global, wenigstens aber kontinental bearbeitet werden muss. Genau an dieser Art Zusammenarbeit arbeiten sich Nationalisten ab. Von allen Ängsten, dass der Klimaschutz mit seinen vielen Einzelproblemen das Leben verändern wird, kann die AfD ihre Wähler mit einem einzigen Hauptsatz entlasten: Den Klimawandel gibt es nicht. Das ist gefährlich.
In Kohleregionen von Brandenburg und Sachsen stehen nicht nur Arbeitsplätze auf dem Spiel, der Tagebau samt Kraftwerken gehört für viele Menschen zu ihrer Biographie. Der Kampf gegen Kohle bedroht sie in ihrer Identität. Dass die AfD hier stärkste Kraft wurde, könnte auch damit zusammenhängen. Angst ist ihr Rohstoff, Verhärtung und Verhetzung sind ihre Instrumente. Gerade die Grünen müssen daran arbeiten, Sprachlosigkeit in diesen Regionen aufzuknacken. Sie tut der Demokratie nicht gut.
Der Kampf gegen Kohle bedroht viele Menschen in ihrer Identität. Dass die AfD in Brandenburg stärkste Kraft wurde, könnte auch damit zusammenhängen
Die Grünen haben den Wahlsonntag als „Sunday for Future“ gelabelt, im Hintergrund tanzte jemand im Eisbärkostüm. Aber es wird nicht reichen, sich mit Plüsch-PR bei der neuen Klimabewegung einzukuscheln. In Brüssel muss die Klimawahl in Gestaltungsmacht umgesetzt werden. Die Chance ist da. Der christsoziale EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber und die sozialliberale Margrethe Vestager konkurrieren um die Präsidentschaft der EU-Kommission. Weber und Vestager sind bisher nur Scheinriesen, denen klare Mehrheiten sowohl bei den Staats- und Regierungschefs als auch im Parlament fehlen. Daneben gibt es auch noch den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans. Berufen wird der Kommissionspräsident oder die Präsidentin von den Regierungen. Hier läuft dann nochmal Angela Merkel durchs Bild: Sie unterstützt Weber, während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Vestager favorisiert.
Wer die EU-Kommission führen will, braucht aber auch eine Mehrheit im Parlament, er oder sie braucht die Grünen. Sie müssen den anderen mehr Klimaschutz abhandeln. Die Abstimmung über das mächtigste Amt in Brüssel: Sie ist gleich die nächste Klimawahl.
Kommentar Bedeutung der Europawahl: Fürs Klima streiten statt kuscheln
Die Ergebnisse der Europawahl sind ein Erfolg fürs Klima. Das sollte nicht in Plüsch-PR münden, sondern in Gestaltungsmacht.
Für Europa gibts ein lebenswichtiges Thema. Ganz gleich, was die Rechten sagen Foto: Bjoern Kietzmann
Diese Wahl war die erste ohne Angela Merkel. Die Noch-Kanzlerin machte sich rar und setzte ihre Restmacht nicht mehr ein im Ringen um ein offenes, ein liberales Europa. Sie hat die anderen agieren lassen, „die Anführerin der freien Welt“, denn so lautet ja jener Ehrentitel, der in seltsamem Gegensatz zum Understatement dieser Politikerin steht. Man muss nach diesem Sonntag sagen: Die freie Welt hat es schwer, aber sie kommt klar.
In Frankreich ist Le Pens Front National stärkste Kraft, in Italien Salvinis Lega, und Orbán hat in Ungarn auch wieder gewonnen. Aber ein Durchmarsch der Retro-Nationalisten war es auch nicht, im neuen Europaparlament bleiben sie eine Minderheit. Die Mehrheit jener, die Europa wollen – sie steht.
Nochmal zu Merkel: In ihren nun fast 14 Regierungsjahren hat sie die Ungleichheit auf dem Kontinent eher befördert, ambitionierte Projekte zur Entwicklung der EU ignoriert und den Kampf gegen die Erhitzung der Erde behindert. Europa und das Klima, beide hat Merkel nicht voran gebracht. Jetzt, bei dieser ersten Wahl ohne sie, haben beide einen politischen Schub bekommen.
Erstens: Diese Europawahl war eine Europawahl. Früher waren die Wahlen zum Brüsseler Parlament eher ein Barometer der Bundespolitik, ein wenig Infratest de Luxe. Ja, auch diesmal spielten Fragen der Mitgliedsstaaten eine Rolle, auch am Sonntag schauten die Bürgerinnen und Bürger, wie es in ihren Hauptstädten läuft. Aber im Zentrum standen Konflikte, die eng mit der EU verbunden sind, etwa Brexit, Migration, Rechtsstaatlichkeit. Die Idee der EU gegen den Nationalismus – diese Auseinandersetzung wurde ausgefochten, und viele kämpften um Europa. Es gaben EU-weit so viele Menschen ihre Stimme ab wie seit 20 Jahren nicht mehr bei einer Europawahl.
Zweitens: Diese Europawahl war eine Klimawahl. Das zeigt sich deutlich in Erfolgen der Grünen in Frankreich, Finnland, Österreich – und in Deutschland. Die deutschen Grünen gewannen 20 Prozent. Das ist viel, zumal ihnen kleine Clubs wie ÖDP, Tierschutzpartei oder Piraten bei dieser Wahl mehr Konkurrenz machten als sonst, da es keine Sperrklausel für den Einzug ins Parlament gibt. In Deutschland haben die Grünen Millionen frühere Nichtwähler mobilisiert. Und sie haben die Sozialdemokratie überholt. Dass SPD-Chefin Andrea Nahles nach der Wahl als erstes Thema den Klimaschutz ansprach, zeigt die Bedeutung diese Frage, in der die Grünen glaubwürdiger sind als alle anderen.
Falls die Groko so weiter siecht, ist das für die Grünen auch schön
Darunter litten auch CDU und CSU. Schon erstaunlich, dass sich beide am Sonntagabend dafür lobten, dass die Union stärkste Kraft wurde. Man ist bescheiden geworden im Hause Kramp-Karrrenbauer. Und, das muss man auch sagen, sich an manchen Stellen von Merkel abzugrenzen, hat der neuen CDU-Chefin nicht besonders viel gebracht. Falls in Berlin die schwarz-rote Bundesregierung in den nächsten Monaten doch platzt, gehen die Grünen mit einer starken Ausgangsposition in Neuwahlen. Ihr Spitzenduo Baerbock/Habeck ist beliebt und einig, ihre Organisation kampagnenfähig, ihre Themen klar und dringlich.
Falls die Groko so weiter siecht, ist das für die Grünen auch schön. Je mutloser CDU, CSU und SPD wirken, desto selbstbewusster kommen die Grünen rüber. Sie dominieren den Diskurs, und mit ihnen ihr wichtigstes Thema. Das ist erfreulich, denn die Bekämpfung der Klimakrise gehört in der Prioritätenliste der Politik dauerhaft nach vorn.
Drittens: Diese Wahl enthält Anzeichen, dass ein Gegensatz die Auseinandersetzung künftig stark prägen wird: der zwischen Klimabewegung und rechter Bewegung. Die Klimakrise ist ein globales Problem, das am besten global, wenigstens aber kontinental bearbeitet werden muss. Genau an dieser Art Zusammenarbeit arbeiten sich Nationalisten ab. Von allen Ängsten, dass der Klimaschutz mit seinen vielen Einzelproblemen das Leben verändern wird, kann die AfD ihre Wähler mit einem einzigen Hauptsatz entlasten: Den Klimawandel gibt es nicht. Das ist gefährlich.
In Kohleregionen von Brandenburg und Sachsen stehen nicht nur Arbeitsplätze auf dem Spiel, der Tagebau samt Kraftwerken gehört für viele Menschen zu ihrer Biographie. Der Kampf gegen Kohle bedroht sie in ihrer Identität. Dass die AfD hier stärkste Kraft wurde, könnte auch damit zusammenhängen. Angst ist ihr Rohstoff, Verhärtung und Verhetzung sind ihre Instrumente. Gerade die Grünen müssen daran arbeiten, Sprachlosigkeit in diesen Regionen aufzuknacken. Sie tut der Demokratie nicht gut.
Der Kampf gegen Kohle bedroht viele Menschen in ihrer Identität. Dass die AfD in Brandenburg stärkste Kraft wurde, könnte auch damit zusammenhängen
Die Grünen haben den Wahlsonntag als „Sunday for Future“ gelabelt, im Hintergrund tanzte jemand im Eisbärkostüm. Aber es wird nicht reichen, sich mit Plüsch-PR bei der neuen Klimabewegung einzukuscheln. In Brüssel muss die Klimawahl in Gestaltungsmacht umgesetzt werden. Die Chance ist da. Der christsoziale EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber und die sozialliberale Margrethe Vestager konkurrieren um die Präsidentschaft der EU-Kommission. Weber und Vestager sind bisher nur Scheinriesen, denen klare Mehrheiten sowohl bei den Staats- und Regierungschefs als auch im Parlament fehlen. Daneben gibt es auch noch den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans. Berufen wird der Kommissionspräsident oder die Präsidentin von den Regierungen. Hier läuft dann nochmal Angela Merkel durchs Bild: Sie unterstützt Weber, während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Vestager favorisiert.
Wer die EU-Kommission führen will, braucht aber auch eine Mehrheit im Parlament, er oder sie braucht die Grünen. Sie müssen den anderen mehr Klimaschutz abhandeln. Die Abstimmung über das mächtigste Amt in Brüssel: Sie ist gleich die nächste Klimawahl.
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Alternative für Deutschland (AfD)
Kommentar von
Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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