piwik no script img

Eskalation im Nahen OstenEin Konflikt an drei Fronten

Kommentar von Susanne Knaul

Die Gewalt von jüdischen und arabischen FanatikerInnen wirft die brüchige Koexistenz um Jahrzehnte zurück. Es ist auch ein Ergebnis jahrzehntelanger Besatzung.

Palästinenser in den Trümmern von durch Israel zerstörten Gebäuden im nördlichen Gazastreifen Foto: Mohammed Talatene/dpa

P robleme auszusitzen klappt in den seltensten Fällen. Über Jahre ließen Regierung und Öffentlicheit in Israel das sogenannte Palästinenserproblem außen vor. Es blieb überwiegend ruhig, das machte es bequem, sich anderen Problemen zuzuwenden, wohl wissend, dass das Pulverfass jederzeit explodieren kann. Jetzt knallt es, und es knallt an drei Fronten.

In Jerusalem kämpfen PalästinenserInnen gegen Häuserenteignungen, gegen Freiheitseinschränkungen und gegen die sozialen Ungleichheiten. Im Gazastreifen heizt die islamistische Führung der Hamas die Gewalt an, weil sie frustriert ist über das Aussetzen der geplanten Parlamentswahlen, bei denen sie gute Chancen gehabt hätte, als stärkste politische Macht abzuschneiden. Und in arabisch-israelischen Ortschaften entlädt sich die Wut über die Zweiklassengesellschaft und über die unterschiedlichen Bedingungen für Israels jüdische und arabische BürgerInnen.

Auch wenn die Hamas bislang recht erfolgreich daran arbeitet, die Fronten verschmelzen zu lassen, wenn sie verlautbaren lässt: „Wir kämpfen für Jerusalem“, und wenn sie die arabischen UnruhestifterInnen bejubelt, die Autos und sogar Synagogen in Brand stecken, so sind es doch drei Fronten mit unterschiedlichen Hintergründen und unterschiedlichen Auswegen aus der Gewalt.

Die Hamas nutzte die Gunst der Stunde, als in Jerusalem der Protest gegen die geplante Zwangsräumung mehrerer palästinensischer Wohnhäuser hochkochte. Drohende Zwangsräumungen gehören zum Alltag Hunderter Familien in Ostjerusalem. Sie boten noch nie Grund für die islamistische Führung im Gazastreifen, Raketen abzufeuern.

Mahmud Abbas' politisches Eigentor

Die plötzliche Solidarität der Hamas ist ein heuchlerischer Vorwand für die Angriffe gegen Israel, mit denen in Wirklichkeit ein ganz anderer Feind gemeint ist: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er erschütterte die von ihm selbst geschürte Hoffnung auf ein Ende der palästinensischen Teilung und der politischen Isolation des Gazastreifens, als er zuerst Wahlen ansetzte, um sie dann wieder abzusagen. Diesmal dürfte ihm sein Taktieren ein Eigentor verschafft haben. Bei den aktuellen Entwicklungen zieht nicht er, sondern die Hamas die Fäden und punktet in Ostjerusalem, im Westjordanland und im Gazastreifen.

Es ist schon erstaunlich, wie es dem von der Welt abgeschnittenen, winzigen Küstenstreifen gelingt, einen militärisch so hoch gerüsteten Staat wie Israel so plötzlich in den Ausnahmezustand zu zwingen. Würden die Milizen der Hamas ihr Talent und ihre Ausdauer in den Aufbau landwirtschaftlicher Gewerbe, Handwerksunternehmen und den Tourismus stecken anstatt in die Entwicklung von Sprengstoff und Raketen, wären die Menschen dort längst aus ihrer Armut befreit.

Doch alle Energie, alle Mittel fließen in den Kampf gegen „die Zionisten“. Israel bleibt kaum eine Alternative, als hart zu kämpfen, um durch Abschreckung erneut eine Auszeit zu erreichen, in der man sich wieder anderen Problemen widmen kann. Bis zur nächsten Runde.

Anders im Westjordanland. Dort gibt es mit der Fatah, die sich an den gewaltlosen Widerstand gegen die Besatzung hält, einen klaren Handlungsspielraum, der sich nutzen ließe, will man die Hamas politisch schwächen. So hätte man Abbas mit einer längst überfälligen Gefangenenamnestie politischer Häftlinge, die der Fatah angehören, innenpolitisch den Rücken stärken können.

Innerhalb Israels wirft die blinde Gewalt von jüdischen und arabischen FanatikerInnen die brüchige Koexistenz der beiden Völker um Jahrzehnte zurück. Was heute in Israel passiert, ist das Ergebnis der jahrzehntelangen Besatzung, der Kontrolle über ein Volk, das willkürlichen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist, der Kompromisslosigkeit religiöser Extremisten, die den Weg zum Frieden verbauten, des angestautem Hasses, der systematisch genährt wurde mit der rassistischen Hetze verantwortungsloser PolitikerInnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Am Beginn des Artikels steht: 'Es ist auch ein Ergebnis jahrzehntelanger Besatzung.'

    Das ist richtig - aber nach Ansicht mancher ängstlicher Politiker darf man dies in Deutschland nicht äußern.

    Klar gilt: Jeder (!) Deutsche hat die Schuld von den Verbrechen der Nazi-Zeit geerbt. Wahrscheinlich bleibt das auch noch für Generationen so! Aber dennoch darf man Kritik an falschem Vorgehen und sogar an verbrechen gegen Völker- und Menschenrechte kritisieren und verurteilen.

    Diese wurden sogar schon von der UNO als solche festgestellt. So darf man auch in unserem Land Konsequenzen fordern.

    Auch von der palästinensischen Bevölkerung wurden Fehler gemacht. Um die Palästinenser zu verstehen, muss man bedenken, dass dieses Land über Jahrtausende ihnen gehörte. Von Extremisten dort wurden auch Verbrechen begangen. Für uns ist es sogar quasi obligatorisch dies zu erwähnen.

    • @fvaderno:

      "aber nach Ansicht mancher ängstlicher Politiker darf man dies in Deutschland nicht äußern"

      Und wer soll das sein?

      • @h3h3y0:

        Kritik an israelischer Politik wird in Deutschland sehr häufig als Antisemitismus bezeichnet und so delegitimiert, was sowohl Unrecht ist gegenüber den Palästinensern, als auch den Opfern von faschistischem Antisemitismus deutscher Neonazis.

        • @Rinaldo:

          zum Beispiel?

  • Das wird den Konflikt natürlich nicht lösen, aber es ist eine kleine, versöhnliche Stimme. Der Aktivist Mohammed al Altlooli lebte im Gazastreifen und engagierte sich beim "Gaza Youth Movement", das sich gegen die Diktatur der Hamas und für Frieden mit Israel einsetzt.

    Er musste fliehen und kam über ein griechisches Flüchtlingscamp nach Deutschland.



    Er plädiert dafür: "Jews and Arabs - refusing to be enemies"

    jungle.world/blog/...Dui5I9xLv0rmRq9qIo