piwik no script img

Erster Online-Parteitag der GrünenDigital ist das neue Normal

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Die Grünen haben einen rein digitalen Parteitag abgehalten. Die vermeintliche Zukunft, sie ist längst Realität.

Grünes Dozieren: hier Caroline Müller von der Uni Bielefeld mit Knoblauchrauke Foto: Friso Gentsch/dpa

A lles war so wie immer. Vor dem kleinen Parteitag der Grünen wurden Leitanträge eingereicht, am Samstag selbst wurde darüber abgestimmt: über ein Konjunkturpaket, um bei der Coronakrise auch finanziell gegenzusteuern, über eine geringere Ökostromzulage, über Perspektiven für die Autobranche, die für die Grünen jetzt offiziell ein „Schlüsselsektor unserer Industrie“ ist.

Doch nichts war so wie immer. Denn dieser Parteitag der Grünen wurde aufgrund der Coronapandemie in komplett digitaler Form abgehalten. Die Parteichef*innen sprachen in Kameras, es gab keine Zwischenrufe von Delegierten, kein Klatschen, keine Unruhe von hin und her laufenden Menschen. Denn die saßen alle zu Hause vor dem Computer.

Diesen Mangel an Atmosphäre mögen viele bedauern – die Parteispitze, die Delegierten, die Journalist*innen –, aber es könnte die Zukunft solcher Veranstaltungen werden. Was heißt werden, das Digitale IST die Gegenwart. Schon längst. Wir lesen Zeitungen und Magazine, wir hören Podcasts, wir schauen Netflix und in die Mediathek – alles im Netz. Warum also nicht auch künftig Parteitage, Kongresse, Konferenzen weitgehend virtuell abhalten?

Machen wir uns nichts vor: Durch die Coronapandemie, von der niemand weiß, wann sie endet, werden wir noch lange gezwungen sein, Abstandsregeln einzuhalten und einen Mund-Nasen-Schutz nicht nur aus Sicherheitsgründen zu tragen, sondern auch als auf die Kleidung abgestimmtes Accessoire. Wer heute – und in Zukunft – zusammenkommen will, wird das digital tun müssen.

Nicht von Hamburg nach München juckeln

Ohnehin ist es ökonomischer und ökologischer, nicht zur Klimakonferenz auf den anderen Kontinent zu fliegen oder wegen eines zweistündigen Firmentreffens von Hamburg nach München zu juckeln und dort auch noch zu übernachten, weil man es abends nicht mehr zurückschafft. In den vergangenen Wochen begegneten sich die meisten Menschen, die im Büro arbeiten, eben nicht dort, sondern bei Videokonferenzen im Homeoffice.

Ja, das ist anstrengend und sozial mitunter schwierig, aber es spart Zeit und Wege. Und ja, es braucht Tools, die datentechnisch so sicher sind, dass sich niemand, der es nicht soll, in eine Online-Veranstaltung einschleichen kann. Das gilt besonders bei sensiblen Zusammenkünften wie beispielsweise Klima- und Wirtschaftsgipfeln.

Denkbar sind auch Mischformen: die einen vor Ort, die anderen im Homeoffice. Insofern haben die Grünen mit ihrem Digi-Parteitag nichts weiter getan, als die vermeintliche Zukunft als das zu zelebrieren, was sie ist: die neue Normalität.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Jetzt wäre ein inhaltlicher Bericht zu den Beschlüssen natürlich auch noch spannend - zum Beispiel ist dort zu lesen, dass Gewerbemieter für die Zeit des Lockdowns keine Miete zahlen sollen! Ist das keinen Bericht wert?

  • Ein kleiner Parteitag als Videokonferenz.



    Gut, das als "Digitaler Parteitag" zu titulieren ist gutes Marketing.

  • Es spart nicht nur Zeit und Wege. Es beschneidet auch Kommunikationsmöglichkeiten. Wieviel Kommunikation findet während des Parteitages neben den Debatten statt? Die unendlich vielen Möglichkeiten, miteinander ungezwungen in Kontakt zu treten, fehlen einfach. Wer einmal auf einer solchen Veranstaltung war, weiß, wovon ich rede. Deshalb kann ein digitaler Parteitag nur eine Notlösung sein. Genauso, wie die vielen täglichen Anrufe bei meiner 92-jährigen Schwiegermutter in ihrem Seniorenheim kein echter Ersatz für den direkten Kontakt mit ihrer Familie sein können. Nicht einmal dann, wenn Zoom oder Skype eingesetzt werden können.

    Schließlich haben wir mehr als nur zwei Sinne, und die meisten davon spielen auch bei der Kommunikation eine Rolle. Telekonferenzen transportieren aber nur Audio- und Video-Signale, auf die ich als Rezipient auch keinen Einfluss habe, etwa welche Perspektive ich einnehme. Ich bezweifle stark, dass diese und zukünftige Technologien ein vollständiger Ersatz für direkte Versammlungen sein können. Möchten Sie darauf verzichten, von den Sie interessierenden Personen einen Eindruck aus der Nähe zu gewinnen und sich statt damit zufrieden geben, was Ihnen andere vermitteln? Zweifellos aber wird die Bedeutung dieser Technologien aber stark zunehmen. Es wird sehr wichtig sein herauszufinden, wann man mithilfe der Technik Dinge einfach nur kaputt rationalisiert, und wann sie wirklich eine Erleichterung und Verbesserung von Abläufen ermöglicht. Bei Parteitagen ist das Letztere meiner Meinung nach definitiv nicht der Fall.