Entwicklungshilfeministerin im Libanon: Auch sie macht Sicherheitspolitik
Im Libanon und in Äthiopien rennt Svenja Schulze offene Türen ein. Schwieriger könnte es für die SPD'lerin mit ihrem Koalitionspartner werden.
Die Ukraine gehört zu den zehn größten Weizenproduzenten der Welt. Doch seit dem Einmarsch Russlands wird das Land sein Getreide nur noch mühsam los. Die Silos sind zwar voll gefüllt mit der Ernte des vergangenen Jahres, aber die Häfen sind blockiert. Für Länder wie den Libanon, der bis zu 80 Prozent seines Weizens aus der Ukraine bezieht, ist das fatal. Sie müssen sich nach Alternativen umsehen – und die sind oft drei- bis viermal so teuer.
Auch Banbajian bekommt die gestiegenen Kosten zu spüren. Die Zutaten muss sie in Dollar bezahlen, die Kunden zahlen das Brot weiter in der örtlichen Währung Lira, die sich allerdings im freien Fall befindet: Ein Dollar kostet aktuell 28.000 Lira. „Wir können nicht einfach die Preise erhöhen. Unsere Kundschaft ist wie eine Familie, man muss aufeinander aufpassen“, sagt Banbajian. Um Kosten zu sparen, hat der Betrieb alle Angestellten entlassen, nun müssen die Familienmitglieder ran – ihre beiden Brüder, deren Ehefrauen und sie selbst. Selbst der 96-jährige Vater ist noch im Geschäft.
Für die Menschen im Libanon bedeutet der Ukrainekrieg eine zusätzliche Katastrophe. Sie kommt hinzu, zu einer massiven Wirtschaftskrise, Corona und der Explosion im Hafen, die im August 2020 ganze Stadtviertel verwüstete. Insgesamt droht Russlands Einmarsch in der Ukraine das krisengeschüttelte nördliche Afrika und Westasien zusätzlich zu destabilisieren.
10 Millionen für den Jemen
Steigende Lebensmittel- und Energiepreise treiben immer mehr Menschen in die Armut, im Libanon sind immer mehr Menschen auf Lebensmittelpakete angewiesen. „Wenn die Leute kein Brot mehr haben, kann niemand voraussagen, wie es enden wird“, sagt Corinne Fleischer, die regionale Leiterin des Welternähungsprogramms (WFP). Die UN-Organisation geht von einer steigenden Zahl von Hungernden weltweit aus. Fleischer appelliert an die Kriegsparteien in der Ukraine, die Häfen wieder zu öffnen. „Sonst verrottet dort das Getreide, während die Menschen hier verhungern.“
Deutschland ist nach den USA der größte Finanzier des WFP, 1,2 Milliarden Euro stellte die Bundesrepublik im vergangen Jahr bereit. Das mag angesichts von 100 Milliarden für die Bundeswehr als wenig erscheinen, doch die zuständige Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) würde sich schon freuen, wenn sie diese Summe auch dieses Jahr zusagen könnte. Bislang plant Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihren Etat um mehr als 10 Prozent zu kürzen.
Schulze will das verhindern. „Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik“, sagt sie der taz. Ernährungssicherheit spiele eine wichtige Rolle für die Stabilität von Ländern. Die Ministerin pocht auf das Versprechen im Koalitionsvertrag, Entwicklungsausgaben in gleichem Umfang wie Militärausgaben zu erhöhen. Und das hieße noch nicht mal den Etat zu steigern.
Schulze fordert lediglich: „Die Ausgaben für Entwicklung und Zusammenarbeit dürfen nicht sinken.“ Im Ergänzungshaushalt, der am Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden soll, hofft sie auf einen ordentlichen Nachschlag. Dem UN-Programm im Jemen hat sie schon mal zusätzliche 10 Millionen Euro versprochen. Ein Vorschuss auf hoffentlich erfolgreiche Haushaltsverhandlungen.
Alia Farhat, libanesische Orginsation Al Majmoua
Unterstützung erhält sie vom entwicklungspolitischen Sprecher der FDP, Till Mansmann. „Die Zeitenwende ist bislang sehr stark sicherheitspolitisch geprägt.“ Auf Entwicklungspolitik werde zu wenig geachtet. „Dabei werden wir, wenn wir in 20 Jahren klimaneutral sein wollen, überall auf der Welt verlässliche Partner brauchen, die uns erneuerbare Energien liefern.“ Und die Quellen seien nun mal vor allem im sonnenreichen Süden zu finden.
Schulze macht sich bei einer Reise in den Libanon ein Bild über den Einsatz der deutschen Gelder. Sie ist in dem Land hochwillkommen, denn als deutsche Entwicklungshilfeministerin ist sie automatisch auf der Seite der Guten, nämlich der Geber:innen. So finanziert das Welternährungsprogramm mit deutschem Geld auch Bargeldtransfers und elektronische Essenskarten für besonders bedürftige Familien – lange Zeit das einzige Sozialhilfeprogramm, welches sich der Libanon leistete.
Ursprünglich war es für die Geflüchteten aus Syrien gedacht, von denen der Libanon bis heute 1,5 Millionen aufgenommen hat – das entspricht einem Viertel der Bevölkerung des Landes. Doch seit Beginn der Finanzkrise unterstützt das Programm immer mehr Libanes:innen, die in dem einst wohlhabenden Land verarmen.
Dosen im Einkaufskorb
Die Syrerin Hourrya Adulrahman kauft mit einer solchen Essenskarte einmal im Monat in einem Beiruter Supermarkt bei ihr um die Ecke ein. Im Einkaufskorb landen vor allem Dosen, weil die Familie weder Strom noch Kühlschrank hat, um frische Produkte zu kühlen. Dazu Linsen, Bulgur, Reis und Öl. Der fünfjährige Sohn Ismael schmuggelt ein paar Schokoriegel in den Korb, die die Mutter erbarmungslos zurücklegt. Bis auf einen. Die 133 Dollar auf der Karte müssen für eine vierköpfige Familie und den ganzen Monat reichen.
Sind diese Karten sicher, will Schulze wissen. „Absolut“, sagt ihr der Libanoner Leiter des Welternährungsprogramms. Alle Familien, die die Karte bekommen, werden vorher besucht, gecheckt und müssen sich identifizieren. Schulze ist erfreut. „Es ist beeindruckend zu sehen, das wir mit unserem Geld die Menschen wirklich erreichen.“ Um zu verhindern, dass Entwicklungsgelder in den Taschen korrupter Politiker oder paramilitärischer Organisationen landen, gehen die Geberländer und die UN dazu über, diese direkt an die Menschen zu geben oder aber an unabhängige Nichtregierungsorganisationen.
Alia Farhat arbeitet für eine solche. Al Majmoua ist eine Organisation, die eigentlich spezialisiert ist auf Mikrokredite. Nun aber verteilt sie im Auftrag des WFP zunehmend finanzielle Hilfen für krisengebeutelte Unternehmen. Zum Beispiel an die Familie Banbajian, deren Bäckerei von der Druckwelle der Explosion im Beiruter Hafen zerstört wurde und die damit den Wiederaufbau finanzierte. „Für solche kleinen Unternehmen sind immer neue Krisen kaum zu meistern“, sagt Farhat.
Die Afrikanische Union will mitmachen
Ihrer Ansicht nach sollte Entwicklungshilfe aber auch viel stärker mit nachhaltiger, grüner Politik verbunden werden, etwa mit Investitionen in erneuerbare Energien. „Wir haben gar keine erneuerbaren Energien bei uns, obwohl fast das ganze Jahr die Sonne scheint.“ Auch bei Familie Banbajian brummt wie eh und je ein Dieselgenerator, der Strom für den Backofen liefert; doch mangels Treibstoff nur zwei Stunden pro Tag.
Auch Schulze hofft, dass mit deutscher Entwicklungshilfe irgendwann nicht mehr Hilfspakete finanziert werden, sondern dass die Gelder Menschen unterstützen, sich selbst zu ernähren. Sie hat deshalb auf dem Treffen der Weltbank am vergangenen Wochenende, wo sie als erste deutsche Entwicklungsministerin seit 12 Jahren aufschlug, eine globale Allianz für Ernährungssicherheit vorgeschlagen. Diese soll weltweit auch nachhaltige Anbaumethoden und regionale Lieferketten vorantreiben.
Vom Libanon fliegt Schulze deshalb weiter nach Addis Abeba. Hier gewinnt sie am Dienstag die Afrikanische Union als ersten Partner für die Allianz für Ernährungssicherheit. „Die afrikanischen Staaten sind sehr besorgt darüber, dass steigende Nahrungsmittelpreise ihre Länder destabilisieren könnten“, berichtet Schulze vom Treffen mit der stellvertretenden Kommissionsvorsitzenden Monique Nsanzabaganwa. Man sorge sich darum, dass steigende Brotpreise zu sozialen Unruhen führen könnten. Sie habe deshalb viel Applaus für die Initiative bekommen, erzählt sie.
Ein weiteres Thema des Gesprächs waren die in afrikanischen Ländern grassierenden Desinformationen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg und den Sanktionen gegen Russland gewesen. In Afrika wird kolportiert, die Sanktionen des Westens seien verantwortlich für steigende Nahrungsmittelpreise. „Ich habe deutlich gemacht, dass das falsch ist“, sagte Schulze. Es gebe keine Sanktionen auf Nahrungsmittel.
Nach Panzern habe niemand gefragt.
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