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Entscheidung zu WahlrechtsreformLinke freut sich über Teilerfolg

Linke und Union loben das Verfassungsgerichtsurteil zur Wahlrechtsreform. Die Ampel-Regierung sieht sich zumindest teilweise bestätigt.

Richterinnen des Bundesverfassungsgerichts verkünden das Urteil Foto: Uli Deck/dpa

Berlin afp/rtr | Die Linke hat sich mit der teilweisen Aufhebung der Wahlrechtsreform durch das Bundesverfassungsgericht zufrieden gezeigt. Die von der Ampelkoalition geplante Streichung der Grundmandatsklausel sei eine „undemokratische“ Entscheidung gewesen, „die das Bundesverfassungsgericht zu Recht korrigiert hat“, sagte die Linken-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Dies sei „ein Teilerfolg“ für die Linke und andere kleine Parteien, stellte Lötzsch fest.

Die Grundmandatsklausel sieht vor, dass bei der Sitzverteilung auch Parteien berücksichtigt werden können, die weniger als fünf Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten haben. Voraussetzung soll nach der Entscheidung wie vor der Reform sein, dass die Parteien mindestens drei Direktmandate erzielt haben. Von der Grundmandatsklausel profitierte bei der Wahl von 2021 die Linkspartei, die dadurch in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen konnte.

Lötzsch nannte eine Streichung der Grundmandatsklausel in der ARD „demokratisch überhaupt nicht akzeptabel“. Die „Entwertung der Erststimme“ sei ein „sehr, sehr großes Problem“. Wenn die Wählerinnen und Wähler in einem Wahlkreis einen Kandidaten oder eine Kandidatin mehrheitlich wählen würden, „kann man diesen Menschen nicht erklären, warum diese Person nicht im Bundestag vertreten sein soll“, argumentierte die Linken-Politikerin, die bei den vergangenen sechs Bundestagswahlen das Direktmandat in ihrem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg gewann.

Auch die Union wertet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrecht als Schlappe für die Ampel-Regierung. Der CDU-Rechtspolitiker Günter Krings sprach am Dienstag im Deutschlandfunk von einer großen Niederlage der Ampel wegen der Verschärfung der Fünf-Prozent-Klausel. Die CSU-Expertin Andrea Lindholz sagte RTL/ntv, es sei richtig, dass das Gericht die von der Ampel geplante Aufhebung der sogenannten Grundmandatsklausel gestoppt habe. „Ich bin sehr froh, dass das Bundesverfassungsgericht kleine Parteien, regionale Parteien wie auch die CSU damit stärkt.“

Lindholz kritisierte, es sei der Demokratie schädlich, wenn Kandidaten einen gewonnenen Wahlkreis anschließend nicht im Bundestag vertreten dürften. „Wenn man das wegnimmt, dann zerstört es auf Dauer das Vertrauen.“

Ampel sieht Reform-Herzstück weiter schlagen

Vertreter der Bundesregierung begrüßten, dass das Bundesverfassungsgericht hingegen die sogenannte Zweitstimmendeckung für verfassungsgemäß erklärt hat. Dabei geht es um eine Änderung, wonach Direktmandate in Wahlkreisen künftig durch eine ausreichende Zahl an Zweitstimmen der Parteien gedeckt sein müssen. Dies kann dazu führen, dass einige Direktkandidaten trotz eines Siegs in ihrem Wahlkreis künftig nicht mehr im Bundestag vertreten sind. Das Karlsruher Gericht habe „das Herzstück der Wahlrechtsreform bestätigt“, erklärte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle am Dienstag. Die Entscheidung sei „im Wesentlichen eine Bestätigung des neuen Wahlrechts. Denn in der entscheidenden Frage der Verkleinerung des Bundestages bestätigt das Urteil die Reform voll und ganz.“

Ähnliche Äußerungen gab es auch von SPD und Grünen: Die Verkleinerung des Deutschen Bundestags auf 630 Abgeordnete sei „vollbracht und verfassungsgemäß“, erklärte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese. „Damit haben wir als Regierungskoalition etwas geschafft, an dem eine 16 Jahre unionsgeführte Regierung insbesondere aufgrund der Weigerung der CSU gescheitert ist.“

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Till Steffen, sprach von einem „großen Erfolg“, der „gegen den erbitterten Widerstand insbesondere der CSU durchgesetzt“ worden sei. „Rechtzeitig für die nächste Bundestagswahl haben wir Klarheit. Diese Entscheidung schafft Stabilität für das Wahlrecht.“

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22 Kommentare

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  • Was hätte man an Zeit sparen können, wenn die CSU zeitig konstruktiv gewesen wäre!



    Hiermit lässt sich vorerst leben, Regionalparteien am Rande werden nicht völlig bevorzugt, es ist stimmiger. Perfekt ist nichts, nur musste dieses Blähparlament wie aufgetragen auch mal wieder schrumpfen und in die Produktion.

  • Eine gute Entscheidung und ein Urteil, dass voraussehbar war. Zugegeben, vielleicht nicht unbedingt für die Ampelparteien - aber das kennt man ja schon. Die Entscheidung ist auch eine Stütze für die Demokratie, die eben auch von den staatstragenden Parteien beschädigt wird. Deren unverhohlenes Bestreben besteht offensichtlich darin, den Einfluss des Souveräns auf das Politikgeschehen zurückzudrängen und die Macht anonymen Parteikadern zuzuweisen, die, ob Ihrer vielfältigen Abhängigkeit von der Parteiorganisation, leichter und effizienter steuerbar sind.



    Wie schön, wenn sich das Verfassungsgericht nun endlich auch der in den Parlamenten seit Jahrzehnen geübten Praxis des Fraktionszwangs annehmen würde und so Art. 38 GG aus seinem 75jährigen Dornröschenschlaf erweckte.



    Aber leider gilt bekanntlich: Wo kein Kläger, da kein Richter.

  • Wenn jetzt jemand alsbald klären könnte, was das Urteil für die Wahlrechtsreform bedeutet, dann wäre neben der reinen Nachricht noch ein weiterer Informationswert gegeben.

    Wenn (i) die Grundmandatsklausel erhalten bleiben muss und (ii) die Zweitstimmendeckung bestätigt wurde, wie soll dann (iii) der Grundsatz der Sitzverteilung nach Verhältniswahlrecht in der Praxis umgesetzt werden? So wie zuvor, mit Überhang- und Ausgleichsmandaten bis sich die Bänke biegen?

    • @Stoersender:

      Die Zweitstimmendeckung besagt, dass eine Partei nicht mehr Abgeordnete in den Bundestag entsenden darf als ihr nach Zweitstimmenanteil zustehen. Die Grundmandatsklausel besagt, dass eine Partei mit ihren Zweitstimmen bei dieser Zuteilung berücksichtigt wird, wenn sie mindestens in mindestens drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen geholt hat und die Hürde dann nicht anzuwenden ist. Folglich könnte es im Extremfall so sein, dass eine Partei, die alle Wahlkreise gewinnt und nicht eine Zweitstimme holt, nicht in den Bundestag kommt, weil die Zweitstimmen das nicht hergeben.

  • Wenn die Wählerinnen und Wähler in einem Wahlkreis einen Kandidaten oder eine Kandidatin mehrheitlich wählen würden, „kann man diesen Menschen nicht erklären, warum diese Person nicht im Bundestag vertreten sein soll“

    Mir müsste mal jemand erklären, wie man sich so gewählt fühlen kann, wenn 74,2% sie nicht gewählt haben.

    Dieses System macht nur dann wenigstens halbwegs Sinn, wenn es nur 3 Parteien gibt

  • Die Lösung wird sein, dass die Hürde für den Einzug in den Bundestag auf 3% herabgesenkt wird. Da sichert man dann so ganz nebenbei - oder auch gut geplant - der FDP das Überleben.

    • @CorinnaH24:

      Glauben Sie? Ich vermute eher eine Erhöhung der benötigten Direktmandate... Die etablierten Parteien werden kein Interesse daran haben, dass Kleinparteien als realistische Option erscheinen.

    • @CorinnaH24:

      ...und dann hast du im nächsten Bundestag



      CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, AfD, BSW und den SSW plus so Wackelkandidaten wie Die Linke, Freie Wähler oder vllt gar Volt, Tierschutzpartei und Die Basis (letztere zwei hatten auch 1,5% 2021, 3% ist da nicht soooo weit weg...)



      Wenn man dann noch bedenkt, dass mit AfD und BSW eh keiner koalieren will, würde ein Absenken auf 3% in der Konsequenz nur bedeuten, dass es für demokratische Parteien noch schwieriger werden würde stabile Mehrheiten zu finden als es jetzt schon der Fall ist... 🤷‍♂️



      Italienische Verhältnisse ist das letzte was Deutschland meiner Meinung nach aktuell braucht.

  • Ich glaube bei der Überschrift sind ein paar Worte verloren gegangen - "Linke freut sich über Teilerfolg" für die CSU - so würde es Sinn machen 🤭🥸



    Die CSU ist es, die in Bayern noch bei der letzten Bundestagswahl 45 von 46 Direktmandate geholt hat, aber damit dennoch haarscharf auf der 5% Hürde landet.



    Das Die Linke jemals wieder 3 Direktmandate holt oder irgendwie nochmal Richtung 5% darf arg bezweifelt werden - durch die Spaltung ist ihr ihre Gallionsfigur weggebrochen und hat ihr deutschlandweit mit dem BSW eine Konkurrenz vor die Nase gestellt und in den Großstädten wie Berlin, wo Die Linke bisher immer noch einigermaßen Punkten konnte, jagen ihr Klimaliste, Volt und Co längst die Wähler ab.

    • @Farang:

      Naja, wenn ich das richtig rechne, würde die CSU-Fraktion bei gleichem Ergebnis nur 30 statt 45 Sitze haben

  • Glaubt die Linke wirklich, dass sie jemals wieder drei Direktmandate bekommen wird?

    • @DiMa:

      Der Glaube entscheidet hier nichts, aber die Wähler. Und wenn ein Wahlkreis gewonnen wird, gibt's halt einen Sitz, wenn zwei, dann eben zwei Sitze und wenn drei dann halt mehr als drei. Alleine das kann motivierend sein.

      • @Ernie:

        That made my day! Danke dafür.

    • @DiMa:

      Ein Urteil, dass den Linken nichts mehr bringen wird. Ob sie sich mindestens darüber freuen, dass der der CSU viel bringen wird?

  • Das Gericht bestätigt, dass die Wahlbewerber gewählt sind, die ihren Wahlkreis gewonnen haben. Haben sie mindestens 3 Wahlkreise, dann ziehen sie entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil in den Bundestag ein.



    Mir muss mal einer erklären, warum dann ein demokratisch gewählter Wahlkreiskandidat nicht seinen Wahlkreis vertreten darf. Da passt was nicht.

    • @Ernie:

      Auf der Webseite des BVerfG kann man sehr genau nachlesen, warum das Zuteilungsverfahren einwandfrei mit dem GG vereinbar ist.

    • @Ernie:

      Wenn der Gewählte X nur 20% der Stimmen bekommen hat und der Rest auf andere entfällt, dann hat X die Mehrheit bekommen?? Da passt auch was nicht.

      • @Nairam:

        Wenn alle anderen weniger als 20% bekamen, dann hat der mit 20% die meisten Stimmen und ist gewählt. So ist es und was soll sich daran in der Zukunft ändern? Wenn zukünftig auch die Zweitstimmen mit berücksichtigt werden, dann ist es bald vorbei mit Stimmensplittung. Davon hat ja sehr oft die SPD profitiert.

    • @Ernie:

      Das trifft wohl hauptsächlich die CSU die in Bayern fast alle Direktmandate geholt hat, aber eben nur 40+% der Zweitstimmen - also dürfen nur die besten Direktsieger auch einziehen und vertreten...

      • @Dirk Hugo:

        Nee, die CSU hat in den Wahlkreisen auch bei den Zweitstimmen die Nase vorne. Es wird vor allem die SPD treffen, denn z.B. Grünen Wähler haben oft die Erststimme bei der SPD gelassen.

    • @Ernie:

      Weil die Linke gerne will, dass dann auch noch andere Personen der Partei dann diesen Wahlkreis vertreten dürfen

  • Das nahezu unaufhaltsame Wachstum des Bundestags bleibt damit erstmal gestoppt, die Linke verbucht das als Erfolg, muss allerdings dann immer noch drei Wahlkreise gewinnen, dürfte angesichts der eigenen Schwindsucht auch nicht leicht zu erreichen sein.