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Energieversorgung in DeutschlandVerwirrung um Gas aus Russland

Eine Turbine für Nord Stream 1 kommt aus Kanada zurück. Die Ostseepipeline liefert aber erst mal wegen Wartungen kein Erdgas mehr.

Strömt es bald wieder, oder nicht? Nord Stream 1 Anlandestation in Lubmin Foto: Hannibal Hanschke/reuters

Berlin taz | Robert Habeck spricht bereits von einem „Albtraum-Szenario“. Wenn es im Winter nicht genügend Gas in Deutschland wegen des Ukrainekrieges gebe, werde das das Land vor eine Zerreißprobe stellen, sagte der grüne Bundeswirtschaftsminister am Sonntag im Deutschlandfunk. Ob die Gasversorgung in Deutschland mit den Nachrichten des Wochenendes aber sicherer geworden ist oder nicht, ist unklar.

Einerseits kündigte Kanada an, die Lieferung einer gewarteten Turbine der Erdgaspipeline Nord Stream 1 aus Montréal trotz der Sanktionen gegen Russland zu ermöglichen. Dazu werde Kanada „eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Erlaubnis“ an Siemens Canada geben, sagte der zuständige Minister Jonathan Wilkinson am Samstag.

Damit die Sanktionsregeln umschifft werden können, soll die Turbine nun aus Kanada erst nach Deutschland und anschließend nach Russland geliefert werden. Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte im Juni die Liefermenge durch Nord Stream 1 deutlich gedrosselt – und das auch mit dem Fehlen der Turbine begründet.

Die Bundesregierung hatte das öffentlich angezweifelt und behauptet, Russland nutze im Krieg seine Energielieferungen als Waffe. Derzeit ist die Leitung laut Bundesnetzagentur nur zu etwa 40 Prozent ausgelastet. Der Kreml kündigte zwar am Freitag an, im Fall einer Rückkehr der Gasturbine aus Kanada die Energielieferungen durch Nord Stream 1 wieder hochfahren zu wollen.

Wartungsarbeiten stellen eine Unsicherheit dar

Ob das aber wirklich passiert, ist nicht eindeutig. Eine weitere Unsicherheit stellen die nun anstehenden Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 dar: Die Bundesregierung hatte immer wieder angezweifelt, ob der Gashahn nach den Reparaturen wieder aufgedreht wird. Schließlich hat Russland bereits die Lieferungen für mehrere Länder eingestellt.

Die zuletzt wichtigste Verbindung für russisches Erdgas nach Deutschland wird am Montagmorgen zur jährlichen Inventur abgeschaltet. Laut der Betreibergesellschaft Nord Stream AG sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. Es gehe um eine Überprüfung und gegebenenfalls Instandsetzung oder Kalibrierung etwa der Stromversorgung, des Brand- und Gasschutzes sowie bestimmter Ventile.

Gasversorger verkaufen wieder Gas aus ihren Speichern

Wegen der vielen Unklarheiten setzt Habeck auf Vorsorge: Dabei gehe es um die Füllung der Gasspeicher, die Rettung der hiesigen Gasversorger und Einsparungen bei Bürgern, Firmen oder in Verwaltungsgebäuden. Die von der Regierung bereitgestellten 15 Milliarden Euro für den Ankauf von Flüssig­erdgas (LNG) könnten möglicherweise nicht ausreichen, um Deutschlands Gasspeicher auf die erhofften 80 Prozent im Oktober zu füllen, sagte der Minister. Und kritisierte, dass einige Gasversorger sogar wieder Gas aus ihren Speichern verkauften, was jedoch legal sei.

„Auch wenn wir in keine Gasnotlage kommen, bleibt das Gas teuer“, sagte Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller dem Focus. Die Folgen der aktuellen Gasknappheit seien preislich bei den Verbrauchern noch nicht angekommen. Eine Familie könne schnell mit 2.000 bis 3.000 Euro mehr im Jahr belastet werden.

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10 Kommentare

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  • Uniper muss nicht nur gleichzeitig Verträge mit Stadtwerken oder Industrie bedienen sondern seit 2015 auch gegenüber der Ukraine – zu Konditionen auf Vorkrisenniveau. Wie kam es dazu?



    Aufgrund von Gas Lieferungsstopps durch transukrainische Pipeline aus Russland, durch die Deutschland, EU, Ukraine mit Gas versorgt werden, entschied sich Berlin im Kontext Minsk II Gesprächsformat 2015 nach russischer Krim Annexion 2014, diesen Störfaktor herauszuverhandeln, indem Deutschland statt Russland Vertragspartner der Ukraine wurde, deren Gas Kontingent aus transukrainischer Pipeline zu liefern und abzurechnen. Spätestens dadurch wurde das nicht nur von CDU Bundeskanzlerin Angela Merkel, SPD Bundeskanzler Olaf Scholz, vor allem Gerhard Schröder bis zuletzt gerne als rein geschäftlich eingenebelte Gaslieferungsverhältnis zu Russland politisch, ohne dass Berlin das eingestand.



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  • Der Ressortleiter Wirtschaft sollte wissen, was "Inventur" ist. Und was nicht.

  • Na, da wirkt das Embargo Russlands doch noch, um das Embargo der westlichen Länder aufzubrechen.



    1:0 für Russland im Wirtschaftskrieg.



    Damit ist nun klar, das alle Handelsbeschränkungen für Russland nur Fassade sind, sobald es in Deutschland der Wirtschaft an den Kragen geht. So wird es dann im kalten Winter wohl weitergehen, wenn der Angriffskrieg von Russland kein Ende nimmt und Russland sich nicht aus der Ukraine zurückzieht.



    Solch ein Verhalten des Herren Putin war nicht vorauszusehen, nicht wahr Frau Merkel.

    • @Sonnenhaus:

      "1:0 für Russland im Wirtschaftskrieg."



      Wohl eher 1:0 für Deutschland im blame game.



      Das Rumspielen am Gashahn hat allein politische Gründe keine technischen oder ökonomischen. Die "fehlende Turbine" ist ein reiner Vorwand. Die Gaserpressung wird also trotz gelieferter Turbine weitergehen. Weil Putin sich einbildet, so die EU sprengen und seinen Krieg gewinnen zu können.



      Es läuft darauf hinaus, dass Putin der EU eine Entscheidung abnehmen wird, die die Regierungen der EU-Staaten selbst politisch nicht durchsetzen könnten - Putin wird die Gaslieferungen einstellen und quasi selbst ein Gasembargo gegen Russland verhängen.



      Für uns wird würde das teuer (so oder so) für die russische Wirtschaft wäre das suizidal.



      Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt um der russischen Seite ein Preisultimatum mitzuteilen, also den Preis, zu dem ab Tag 1 nach der Wartung Gas abgenommen wird, unter der Voraussetzung, dass die zur Speicherfüllung bis November benötigten Mengen fließen.

      • @Barbara Falk:

        "Die Gaserpressung wird also trotz gelieferter Turbine weitergehen."

        Ich kann mich schwach daran erinnern, dass ein Gasembargo gefordert wurde. Wieso kann man uns mit etwas erpressen, dass wir nicht kaufen wollen?

        "Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt um der russischen Seite ein Preisultimatum mitzuteilen, also den Preis, zu dem ab Tag 1 nach der Wartung Gas abgenommen wird, unter der Voraussetzung, dass die zur Speicherfüllung bis November benötigten Mengen fließen."

        In einer Mangelwirtschaft kann der Käufer den Preis nicht festlegen.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          "Ich kann mich schwach daran erinnern, dass ein Gasembargo gefordert wurde. Wieso kann man uns mit etwas erpressen, dass wir nicht kaufen wollen?"



          Dazu hatte ich an anderer Stelle schon vor Wochen geschrieben, als von verschiedenen Ökonomen die möglichen Modelle - Gasembargo oder Gaspreis-Ultimatum - vorgerechnet wurden und weithin bei den politischen Entscheidern auf Ablehung stießen: Wer um wirtschaftlichen Schaden zu vermeiden, politischen Schaden in Kauf nimmt, d.h. sich auf Putins "Gashahn-auf-Gashahn-Spielchen, seine Spaltungsversuche oder gar Verhandlungen über Sanktionen einlässt, der bekommt am Ende beides: Den politischen Schaden, und den wirtschaftlichen Schaden, in Form von Versorgungsmangel, überhöhten Preisen, Rezession, obendrauf. Und genau so kommt es nun. Nur, dass wir weiter Putins Kassen füllen.



          "In einer Mangelwirtschaft kann der Käufer den Preis nicht festlegen." Wenn der Verkäufer keinen anderen Abnehmer hat, schon. Das Gas aus den an Nordstream 1 und Yamal-Pipeline angeschlossenen Gasfeldern lässt sich nicht einfach "umleiten".

    • @Sonnenhaus:

      Wie heisst es doch so schön nach Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

      Zuerst unsere eigene Versorgungssicherheit, dann die Ukraine.

  • Es kann uns nur wundern, wie wenig dieses preissenkende Mittel diskutiert wird:



    "Es ist dringender denn je, der Spekulation ein wirksames Mittel entgegenzusetzen. Die Finanztransaktionssteuer wäre ein solches wirksames Mittel."



    www.tagesspiegel.d...ppen/28180490.html

  • Das DIW fordert gegen die Spekulation beim Gas:



    "@Brot&Rosen DIW Berlin fordert:

    "Den hochfrequenten maschinellen Handel mit Energiederivaten würde eine Finanztransaktionssteuer ziemlich sicher ausbremsen, weil die Handelsgewinne pro Transaktion sehr klein sind. Sie könnten auf null gesenkt und der maschinelle Handel so verhindert werden."



    www.diw.de/de/diw_...te__kommentar.html