Energiepolitik der Bundesregierung: Hohes Tempo auch fürs Falsche
Das Arbeitstempo des Gesetzgebers ist momentan rasant. Jedoch wird neben vielen wichtigen Vorhaben auch klimaschädlicher Unsinn umgesetzt.
E s ist ein beachtliches Tempo, mit dem in Deutschland derzeit wichtige energiepolitische Entscheidungen fallen: Innerhalb weniger Wochen, teils sogar weniger Tage, werden Gesetze durch Kabinett, Bundestag und Bundesrat gepeitscht.
Das ist einerseits nachvollziehbar, denn viele Probleme dulden keinen Aufschub – etwa die Vorbereitung auf einen Stopp der russischen Gaslieferungen oder die Entlastung wegen der abrupt gestiegenen Energiepreise. Und auch bei der Energiewende ist es erfreulich, dass sich das Arbeitstempo des Wirtschaftsministeriums unter Robert Habeck gegenüber seinem Vorgänger Peter Altmaier gefühlt verzehnfacht hat.
Doch der große Zeitdruck macht es auch möglich, neben vielen hilfreichen Maßnahmen auch gefährlichen Unsinn zu beschließen, ohne dass es darüber im Vorfeld eine breite Debatte gibt. So sind zur Entlastung von den Energiekosten nicht nur sinnvolle Pauschalzahlungen an viele Bevölkerungsgruppen (mit Ausnahme der Rentner*innen) beschlossen worden – und mit dem 9-Euro-Ticket für den ÖPNV ein mutiges Experiment. Sondern auch der extrem fragwürdige Benzinpreisrabatt, der das Viel-Fahren mit fossil angetriebenen Fahrzeugen belohnt, die angestrebte Verringerung des Ölverbrauchs konterkariert, den Markt aushebelt und die Extra-Profite der Mineralölkonzerne weiter steigern dürfte.
Dass dieser Irrsinn im Bundestag sogar ohne Gegenstimmen beschlossen wurde, macht die Feigheit der Politik gegenüber der Autolobby leider extrem deutlich. Dazu passt auch, dass ein Tempolimit weiterhin nicht auf der Agenda steht, obwohl sich damit durchaus relevante Mengen an Rohölimporten einsparen ließen.
Fragwürdig ist auch das sogenannte LNG-Beschleunigungsgesetz, mit dem der Bau von Flüssiggas-Terminals an Nord- und Ostsee extrem beschleunigt werden soll. Denn es gilt nicht nur für vier schwimmende, temporäre Terminals, die wohl tatsächlich gebraucht werden, um ohne massive Wirtschaftsprobleme kurzfristig auf russisches Gas zu verzichten. Sondern es erleichtert auch den Bau von bis zu acht festen Terminals, die kurzfristig nicht helfen, aber langfristig den Klimazielen entgegenstehen.
Allerdings besteht in diesem Fall die Hoffnung, dass der Markt am Ende verhindert, dass die politischen Entscheidungen allzu schlimme Auswirkungen haben. Die Gaspreise dürften durch den Umstieg auf LNG weiter steigen, was den Verbrauch senken dürfte, so dass die neuen Terminals, sofern sie überhaupt gebaut werden, kaum ausgelastet sein dürften. Und auch der kurzfristige Benzinrabatt dürfte nichts daran ändern, dass jeder, der ein bisschen rechnen kann, so schnell wie möglich aufhört, ein Verbrenner-Fahrzeug zu fahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch