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Endorsements im US-WahlkampfAb jetzt ohne Empfehlung

Nicholas Potter
Kommentar von Nicholas Potter

Die „Washington Post“ und „LA Times“ brechen mit der Tradition, eine Wahlempfehlung auszusprechen. Aus journalistischer Sicht ist das genau richtig.

Trump oder Harris? US-Amerikaner*innen müssen jetzt ohne Empfehlung der „Post“ und „LA Times“ entscheiden Foto: Eric Gay/AP/dpa

A ufruhr in den USA: Vergangene Woche kündigte die LA Times an, dass sie 2024 keine Wahlempfehlungen für das Weiße Haus aussprechen wird. Auch die Washington Post wird darauf verzichten. Damit brechen beide Zeitungen mit der jahrelangen Tradition des politischen „Endorsement“, bei dem in einem Leitartikel für eine oder einen Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­t*in argumentiert wird.

Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Mariel Garza, Redakteurin im „Editorial Board“ der LA Times – das Meinungsressort der Zeitung, das auch für Wahlempfehlungen zuständig ist –, kündigte prompt am Mittwoch ihren Rücktritt an. Zwei weitere Mitglieder des Editorial Boards folgten am Donnerstag, darunter der Pulitzer-Gewinner Robert Greene.

Bei der Washington Post hat der Editor-at-Large Robert Kagan gekündigt. „Beunruhigende Rückgratlosigkeit in einer Institution, die für ihren Mut bekannt ist“, schrieb Martin Baron, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung. Auch Post-Veteranen Bob Woodward und Carl Bernstein kritisierten die Entscheidung öffentlich. Beide Zeitungen verlieren nun Tausende Abonnent*innen.

Doch die Entscheidung, keine Wahlempfehlung auszusprechen, ist aus journalistischer Sicht die richtige. Die Aufgabe von Medien soll sein: Le­se­r*in­nen so zu informieren, dass sie selbst fundierte politische Entscheidungen treffen können – nicht selbst Wahlkampf zu machen. Kritisiert werden müssen dabei alle Parteien und Politiker*innen. Das ist die wichtige Rolle der Medien in einer Demokratie.

Eine Gefahr für die Demokratie

Dass Trump eine Gefahr für eben diese Demokratie darstellt, dass sogar sein Ex-Stabschef ihn inzwischen als „Faschisten“ bezeichnet, dass er in einer zweiten Amtszeit die US-Demokratie radikal um- und abbauen würde – über all das haben die Washington Post, die LA Times und auch viele andere Medien schon mehrfach ausführlich und kritisch berichtet.

Wer Trump trotzdem wählt, tut das meist aus tiefer Überzeugung, aus einer Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aus einer Resistenz gegenüber Fakten – und wird sich nicht durch die offizielle Wahlempfehlung einer Zeitung beeinflussen lassen. Im Gegenteil: Trumps Narrativ einer befangenen Lügenpresse, der „Fake News Mainstream Media“, findet unter seinen Stamm­wäh­le­r*in­nen dadurch noch mehr Glaubwürdigkeit. Denn es ist kein Geheimnis, dass die Post und die Times sich nicht für ihn ausgesprochen hätten.

Die Tradition des Endorsement ist dabei gar nicht so tradiert, wie manche behaupten. In Deutschland ist die Praxis ungewöhnlich. Die LA Times war seit ihrer Gründung 1881 eine eher konservative Zeitung, die die Republikaner unterstützte. Nachdem sie 1972 Richard Nixon empfohlen hatte und er nach dem Watergate-Skandal zurückgetreten war, beendete sie die Praxis – bis 2008. Dann sprach sie sich für Barack Obama aus und empfahl seitdem immer die demokratischen Kan­di­da­t*in­nen in Präsidentschaftswahlen.

Bei der 1877 gegründeten Washington Post gehörte es eigentlich zur Tradition, keinen Kandidaten zu unterstützen. Erst ab 1976 begann die Zeitung, regelmäßig Wahlempfehlungen auszusprechen und hat seitdem immer die Demokraten unterstützt (mit Ausnahme der Wahl 1988, bei der es keine gab).

Hilfe zur Selbsthilfe

Bei beiden Zeitungen setzten sich die Eigentümer durch, die Praxis zu beenden, wie mehrere Medien berichten. Der Unternehmer Patrick Soon-Shiong, der seit 2018 die LA Times besitzt, wolle lieber Le­se­r*in­nen anhand unparteiischer Informationen selbst entscheiden lassen, wen sie wählen wollen, schrieb er auf X. Amazon-Gründer Jeff Bezos, der 2013 die Washington Post kaufte, hat sich dazu nicht geäußert. Aber William Lewis, seit Herbst 2023 Chef der Zeitung, begründete den Schritt ähnlich wie Soon-Shiong.

Die Argumentation ist an sich richtig, die Entscheidung begrüßenswert, auch wenn manche zynische Geschäftsgründe dahinter wittern. Trotzdem muss man sie bestenfalls ambivalent sehen. Denn sie kommt zur Unzeit. Die Praxis des Endorsement ausgerechnet jetzt zu beenden, wo Trump und Harris immer noch Kopf an Kopf in den Umfragen stehen, wo Trumps Rhetorik immer enthemmter, dystopischer und vor allem wahnsinniger wird, wo immer mehr Ex­per­t*in­nen davor warnen, dass ein Trump-Sieg der Anfang vom Ende der US-Demokratie sein könnte, ist bitter, wenn nicht fatal.

Die richtige journalistische Praxis ist die eine Sache. Die Rettung der liberalen Demokratie jedoch eine völlig andere, die mit allen möglichen Mitteln unterstützt werden muss. Denn nach deren Abschaffung wird es keine freie Presse mehr geben.

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Nicholas Potter
Redakteur
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei. Aktuell ist er Cramer & Kollek Fellow des Internationalen Journalistenprogramms bei der Jerusalem Post. Seine Artikel sind zudem u.a. bei Guardian, Haaretz, Tagesspiegel und Jüdische Allgemeine erschienen. Er ist Mitherausgeber des Buches "Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen", 2023 im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Er studierte in London und Berlin.
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15 Kommentare

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  • Wer als Journalist glaubt, dass jemand dessen persönlichen Wahlpräferenzen interessieren, ist im falschen Job!

    Der Beruf des Journalisten ist, die Fakten darzulegen und den Rest dem Leser zu überlassen. Journalist ist nicht die Nanny, die den Leser bei der Hand nimmt und bei der Wahl die Hand zum richtigen Kreuz führt. Das ist übergriffig, dass erst der Eigentümer um die Ecke kommen muss um das klarzustellen ist eine Peinlichkeit für den Berufsstand! Denn es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit!

    Dass die Wahl für Europa so entscheidend ist, hat seine Ursache im Übrigen nicht in den USA, sondern in einem Europa, das Jahrzehntelang seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.

    Im Kern macht es ohnehin keinen großen Unterschied, wer da am Ende im weißen Haus landet, die US-Bürger haben nämlich keine Lust mehr, ständig für andere einzuspringen. Und dafür kann durchaus Verständnis aufbringen, einfach mal in deren Lage versetzen!

  • Der taz-Kommentar geht komplett an der eigentlichen Problematik vorbei. Ob eine direkte Wahlempfehlung aus journalistischer Sicht richtig ist oder nicht, darüber mag man ja streiten. Der springende Punkt hier ist aber doch, dass diese Entscheidung nicht von der Redaktion autonom nach journalistischen Kriterien getroffen wurde, sondern von einem schwerreichen Medienoligarchen von außen aufoktroyiert wurde. Hier zeigt sich einmal mehr der große Selbstbetrug, der auf der naiven Annahme basiert, eine Presse sei frei, solange sich nur der böse Staat heraushält. Ganz, als würden Medientycoons wie Rupert Murdoch überhaupt keine Gefahr für die Pressefreiheit und die US-Demokratie darstellen.

    Wenn Milliardäre sich eine Traditionszeitung kaufen, sie zu ihrem persönlichen Spielzeug machen und dann noch in die Berichterstattung eingreifen, dann ist das ein massives Problem. Und ein Problem ist es ebenfalls, wenn Kommentatoren hierzulande diese Gefahr gar nicht mehr als solche erkennen.

    • @Karmesinrot:

      Ich weiß nicht, warum Sie nicht auch noch auf den springenden Punkt an der Sache hinweisen, dass die Eigentümer der Zeitungen die Reaktionen von Trump fürchten, sollte er Präsident werden und sie aber derweil Empfehlungen für Harris geschrieben haben. An diesem Zusammenhang wird viel von dem verstehbar, was da los ist, wenn diese Typen Auftraggeber dieser Dimension haben.

  • Was sollte ein Endorsement dieser Zeitung überhaupt wert sein? Und Jeff Bezos ist es wahrscheinlich ziemlich egal wer der/die nächste Präsident/in der USA wird, der Dollar rollt und das ist die Hauptsache!

  • Das ist eine sehr deutsche Sicht auf den Vorgang. Hier ist anderes üblich, wenn die Zeitungen auch klar erkennbare politische Tendenzen haben und ihre politische Ausrichtung jeden Bericht auf eine typische Weise einfärbt.



    "Neutrale Berichterstattung" ist fast die Ausnahme, da sollten sich deutsche JournalistInnen nicht zu heftig auf die eigene Schulter klopfen.



    Das Thema wurde im Laufe des Jahres ja auch in dieser Zeitung bereits besprochen.



    Was die USA betrifft, so scheinen die LeserInnen die Ansichten des Autors nicht zu teilen, 200.000 AbonnentInnen haben der Washington Post bereits den Rücken gekehrt.



    Es geht bei dieser Wahl nicht um blau oder rot, sondern um die Frage, ob ein Rechtsextremer, der gewillt ist, demokratische Strukturen in den USA abzuschaffen, an die Macht kommt.



    An dieser Stelle plötzlich von Neutralität zu faseln, ist das Gegenteil von mutigem Jounalismus.

    • @Philippo1000:

      Genau das hat der Autor doch geschrieben.

      • @Herma Huhn:

        ???



        Nö!



        Der Autor des Artikels hält es für journalistisch richtig, KEINE Wahlempfehlung mehr zu geben.



        Damit ist er anderer Meinung als die JournalistInnen der Washington Post, die daraufhin gekündigt haben,



        und der derzeit 200.000 AbonnentInnen, die gekündigt haben.



        Die Tatsache, dass Woodward und Bernstein Benzos Vorgehen ebenfalls kritisieren, sollte jeden Journalisten aufhorchen lassen.



        Dass Benzos um Staatliche Aufträge bei Trumps Machtübernahme bangt und es keineswegs um



        " unabhängige Presse" geht, pfeifen mittlerweile fie Spatzen von den Dächern.

  • Die „Washington Post“ und „LA Times“ brechen mit der Tradition, eine Wahlempfehlung auszusprechen. Aus journalistischer Sicht ist das genau richtig.



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    Dem könnte ich zustimmen, wenn in dieser Wahl 2 gleichwertige KadidatInen geben würde, wäre DAS eine faire, begrüßenswerte Haltung!



    Da ist Information über beide Kandidaten der Weg, um für den Leser einen Mehrwert zu schaffen!

    Aber einer ist ein notorischer Lügner, mit Hang zum Autokraten, der sein Amt missbrauchte, usw. ..... :-((



    Mein Fazit: Club der Milliardäre, von denen jeder sein EIGENINTERESSE über das der Demokratie, der Nation & der Menschen in U-SA stellt!



    Ps. Niemand muss eine Wahlempfehlung geben, doch eine Zeitung mit dieser Geschichte sollte eine "Warnung" unmissverständlich in Blatt stellen!

  • Das sehe ich wie Herr Potter, Trump-Wähler würden eine für Harris aussprochene Wahlempfehlung als Steilvorlage für Selbstvictimisierung als Opfer der Systempresse nutzen. Das hätte genau den Effekt, der unbedingt vermieden werden sollte.

  • Potter hat hier gnadenlos am geschichtlichen Moment vorbei geschrieben. Der entscheidende Fehler? Trump, der in seiner Fantasie alle Autokraten dieser Welt zu seinen Freunden zählt, wie einen gewöhnlichen Politiker zu behandeln. 'Alle Politiker müssen kritisiert werden.' Vielleicht sollte eine eher linke Zeitung einen Fascho, der das weltgrösste Militär im Inland auf linke Journalisten ansetzen will, deutlich mehr kritisieren als die etwas zu bürgerlichen Pläne der einzigen verfassungstreuen Kandidatin im Rennen. So rein aus Selbsterhaltungstrieb. Nur so ein Gedanke.

    Potter sollte sich etwas mit der Geschichte des Ullstein-Verlags beschäftigen, der es als Branchenführer in Deutschland nicht geschafft hat, den Entwicklungen ab 1933 etwas entgegenzusetzen.

  • Ich stimme diesem Artikel in keiner Weise zu.



    Erstens: Bei Endorsements geht es nicht darum, Leute davon abzuhalten, Trump zu wählen, sondern es geht darum, potenzielle Harris-Wähler zu mobilisieren.



    Zweitens: Ich bin ein Gegner des "Haltungsjournalismus". Wenn dies jedoch so weit geht, dass selbst die Beibehaltung eines demokratischen Systems an sich zur Debatte steht, dann ist Neutralität doch unangebracht.



    Drittens: Es ist befremdlich, wenn ein Taz-Redakteur eine Entscheidung, die offensichtlich keine journalistische, sondern eine von den Eigentümern durchgedrückte Entescheidung ist, so hoch lobt.

  • "Die Aufgabe von Medien soll sein: Le­se­r*in­nen so zu informieren, dass sie selbst fundierte politische Entscheidungen treffen können – nicht selbst Wahlkampf zu machen."

    Das sollte groß im Eingangsbereich aller Redaktionen hängen. Sozusagen als journalistisches Glaubensbekenntnis.

  • Vielen Dank, Herr Potter, ein sehr gut zusammenfassender und differenzierter Kommentar!

  • Auch wenn Trump die Wahl gewinnt, so wird es wohl in den USA noch eine freie Presse geben.

    Wahlempfehlungen von Zeitungen halte ich für höchst problematisch. Medienunternehmen sind wie andere Unternehmen auch hierarchisch organisiert, es gibt dort keine innerbetriebliche Demokratie. Wer entscheidet über eine Wahlempfehlung? Drei bis vier Personen an der Spitze, möglicherweise gegen die Meinung vieler Mitarbeiter in nachgeordneten Positionen?

  • Ganz schlecht, was hier alles nicht vorkommt. Wenn man ließt, was die Süddeutsche Zeitung zu dem selben Thema schreibt, dann fehlt dem Artikel hier das Wesentliche. Wenn man erklärt, weshalb die Zeitungen keine Wahlempfehlung mehr aussprechen, versteht der Leser, in welchen Zusammenhängen dort gedacht wird. Die Besitzer der Zeitungen können sich die Rache Trumps nicht leisten, sollte er bald wieder staatliche Aufträge verteilen.