Einfamilienhaus-Debatte auf Twitter: Wer kann die Reichen verdauen?

Über Ostern wurde auf Twitter Heuchelei von Linken mit Einfamilienhaus beklagt. Dabei ist das ein Narrativ von Konservativen und Neoliberalen.

kleines Spielzeughaus steht auf einer Wiese

Wer ist reich? Die im eigenen Einfamilienhaus können auch arm oder reich oder überschuldet sein Foto: Iryna Melnyk/imago

In puncto „Eat the rich“ habe ich Klärungsbedarf. Die Reichen essen, okay, aber wer kann die Reichen eigentlich verdauen? Welche Rezepte gibt es? Geht es um Kannibalismus oder Enteignung? Ist das ein Dumpling? Und: Gibt’s das auch als Bowl?

Über die Osterfeiertage sind die relevanten Fragen in Vergessenheit geraten. Auf Twitter wurde heiß diskutiert, allerdings nicht über Serviervorschläge, sondern über Einfamilienhäuser. Als wären Einfamilienhäuser an sich nicht schon langweilig genug, spottete ein Tweet über die Leute, die das Jahr über „Eat the rich“ sagen, wenn die Ferien bei den Eltern im Einfamilienhaus verbracht werden. Darf maus das, oder macht dies eine_n zum „falschen Fuffziger“, um in der Sprache des Kapitals zu bleiben? Wie immer, wenn es um die eigene Politik und den (vermeintlichen) Wohlstand der Eltern geht, war das Thema extrem aufwühlend für viele User_innen.

Der Ausgangstweet war naiv: Die Annahme, dass Einfamilienhaus per se mit Reichtum zu tun hat, ist falsch. Klar, es gibt auch Leute, die sich weniger oder gar nichts leisten können – ich will nicht damit anfangen, infrage zu stellen, ob Leute, die zwar von Hartz IV, aber zumindest in einer Wohnung leben, nicht auch bei „Eat the rich“ mitgemeint sind, solange es Menschen gibt, die auf der Straße wohnen. Aber wenn ich mir anschaue, was manche Eltern von Freund_innen in ihren Mietshäusern – die gibt es nämlich auch – zahlen, kommen einige günstiger weg als viele von uns in Berliner Zweizimmerwohnungen. Hint: Es sind keine Villen in Dahlem.

Wir könnten über das Stadt-Land-Gefälle sprechen oder über Schulden, aber darum geht es mir nicht. Ich bin auch in keinem Haus aufgewachsen, trotzdem sind meine Eltern nicht arm. Als Kind dachte ich auch, wer in Häusern lebt, muss reich sein, aber damals dachte ich auch, Reiche geben immer viel Geld aus. Im Durchschnitt verdienen BVG-Fahrer_innen mehr als manche Journalist_innen oder Uni-Dozent_innen, doch ich bezweifle, dass wir unsere regelmäßig streikenden Genoss_innen wirklich auf den Teller heben würden bei „Eat the rich“.

Vibes von Konservativen

Immer wieder stoße ich auf die Fehlannahme, eine linke Haltung ohne eigene Armutsgeschichte sei unglaubwürdig. It’s giving Kapitalismuskritik-vom-iPhone-gesendet-und-dafür-beschämt-werden-Vibes. Und diesen Vibe verstreuen eher salty Konservative und Neoliberale. Weder historisch noch in der Gegenwart geht diese These auf. Dazu möchte ich meinen eigenen hot take servieren: Solche Mythen führen dazu, dass Leute mit einem Bruttojahreseinkommen von 30.000 Euro gegen eine Vermögenssteuer sind, weil sie denken, es würde sie treffen.

Der Mittelstand solidarisiert sich lieber mit den Chef_innen als mit jenen, die wie er selbst auch ausgebeutet werden. Kein Wunder, dass die FDP bei Erstwähler_innen so punktet. Das Problem sind nicht die hässlichen Einfamilienhäuser, sondern das falsche Verständnis von und somit die Überidentifikation mit Reichen.

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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