Eine Wahl ohne Kremlkritiker: Verliebt in den Sultan
Am Sonntag wählen die Moskauer erneut ihren Bürgermeister. Vertreter der Opposition treten jedoch nicht an.
Besonders erfolgreich ist ein Clip mit gehauchten Liebesschwüren der vermeintlichen, deutlich jüngeren Geliebten des 60-Jährigen. Sie bedankt sich für Zuwendungen und Aufmerksamkeit, die der Ergraute ihr zukommen lässt. Auch der Altersunterschied wird nicht verschwiegen.
In der Tat lässt sich der Moskauer Bürgermeister die kollektive Geliebte einiges kosten. Hinter ihr verbirgt sich Moskau, das unter Sobjanins Leitung seit 2010 60 neue Metrostationen erhielt. Neue Parks, Autobahnen und ansehnliche Wohnviertel entstanden unter seiner Ägide.
Am Samstag, dem „Tag der Stille“, der einer Wahl in Russland immer vorausgeht, dürfen Wahlveranstaltungen nicht mehr stattfinden. Kandidat Sobjanin überbrückt die Ruhe, indem er Präsident Wladimir Putin und Premierminister Dmitri Medwedjew zur Eröffnung einer neuen Konzerthalle einlädt. Für Aufmerksamkeit und Fernsehbilder ist gesorgt.
Etwas zu entspannt
Herausforderer gibt es auch. Vier Konkurrenten wurden zugelassen, ein Millionär von den Kommunisten, der sich für gebührenfreies Parken in Moskau einsetzt. Ein Vertreter der rechtsradikalen Partei der Liberaldemokraten (LDPR), der Ex-Milliardär Michail Balakin von der Bürgerunion sowie ein Vertreter des Gerechten Russlands treten an.
Bewerber der nicht konformen Opposition scheiterten schon im Juli am Zulassungsverfahren. Der frühere Duma-Abgeordnete Dmitrij Gudkow schaffte es nicht, die erforderlichen Unterschriften von 110 Abgeordneten zu seiner Unterstützung zu sammeln. Bei 76 Deputierten war Schluss. Ähnlich erging es auch dem Vorsitzenden des Bezirks Krasnoselski.
Ilja Jaschin erhielt 2017 bei den Bezirkswahlen ein Mandat und wurde Vorsitzender der Bezirksversammlung. Mehr als 200 Oppositionelle schafften damals den Sprung in die Lokalpolitik. Das war eine Überraschung. Und der Kreml war alarmiert über die Vorgänge in den Niederungen. Diesmal baute er deshalb zusätzliche Filter ein.
Bei den Wahlen 2013 gab sich die politische Führung noch gelassener. Putins Herausforderer Alexei Nawalny durfte sogar antreten. Allerdings hatte der Kreml nicht damit gerechnet, dass der Oppositionelle aus dem Stand 27 Prozent der Stimmen einfahren würde. Sobjanin siegte, schlitterte mit 51 Prozent aber knapp an einem zweiten Wahlgang vorbei. Wegen einer vermeintlichen Vorstrafe darf Nawalny nicht mehr bei Wahlen antreten.
Putins Beispiel folgen
Eine Wiederholung dieser Schmach will Sobjanin vermeiden und unter ähnlichen Bedingungen starten wie Präsident Putin, wenn auch eine Nummer kleiner. Seit der Kremlchef die Anhebung des Rentenalters verkündete, rutschten Putins Zustimmungswerte unter die 50-Prozent-Marke, auch die Regierungspartei Einiges Russland würde laut Umfrage-Institut FOM jetzt keine Mehrheit in der Duma mehr erhalten.
Die Stimmung könnte sich auch auf die Bürgermeisterwahl auswirken, obwohl viele Moskauer mit den Errungenschaften des Stadtvorderen zufrieden sind. Gleichwohl fürchten die Verantwortlichen, die Wahlbeteiligung könnte unter 30 Prozent bleiben.
Sobjanin sei nicht der schlechteste Bürgermeister, aber er sei ein Technokrat und kein Politiker mit eigener Meinung, räumt Gudkow ein. „Nach außen sieht Moskau mit seinen breiten Trottoirs und neuen Bordsteinen jetzt wie eine europäische Stadt aus, im Innern ist es ein Sultanat geblieben“, meint Gudkow.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos