Ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau: Anzeige gegen Vater des Attentäters
Die Angehörigen der Toten von Hanau halten auch den Vater von Tobias R. für gefährlich. Sie werfen ihm nun Beihilfe zum Mord vor.
Die Bundesanwaltschaft bestätigte der taz den Eingang der Anzeige. Der Vorwurf laute auf psychische Beihilfe zum Mord und Nichtanzeigen von Straftaten. Die Hinterbliebenen äußerten sich dazu bisher nicht öffentlich. Zuerst hatte die SZ über die Anzeige berichtet.
Fast genau vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, hatte Tobias R. in Hanau neun Menschen aus Familien mit Migrationsgeschichte erschossen, danach auch seine Mutter und sich selbst.
In einem Bekennerschreiben auf seiner Internetseite legte der 43-jährige R., der bei seinen Eltern wohnte, einen Verfolgungswahn und Rassismus offen. Er wähnte sich von Geheimdiensten verfolgt und wollte ganze „Völker komplett vernichten“.
Der Vater teilt den Wahn des Sohnes
Die Betroffenen hatten früh auch nach der Rolle des Vaters von Tobias R. gefragt. Denn anders als die pflegebedürftige Mutter wurde er in der Mordnacht verschont. Und offensichtlich teilt er den Wahn seines Sohnes. Auch Hans-Gerd R. stellte schon 2004 eine Anzeige, dass seine Familie überwacht werde. Ein Psychiater attestierte dem Vater in einem aktuellen Gutachten, dass dieser von seinem Sohn „einige Wahnthemen übernimmt“. Es liege ein geteilter Wahn nahe, eine „Folie à deux“.
Zeugen und Ermittler verwiesen zudem auf die dominante Rolle des Vaters: Bei früheren Vorwürfen gegen Tobias R. sei es stets der Vater gewesen, der sich bevollmächtigte und für seinen Sohn sprach.
Auch in der Tatnacht, nachdem Tobias R. nach Hause zurückgekehrt war, wollen zwei Zeuginnen Hans-Gerd R. noch zwei Mal vor dessen Haus gesehen haben, das Auto seines Sohnes inspizierend. Später wurde auf seinem PC mehrmals die Internetseite des Sohnes aufgerufen, auf der dieser sein Bekennerschreiben veröffentlicht hatte. Den Ermittlern sagte der Rentner indes, er habe ab 20 Uhr geschlafen und vom Mord an der Mutter und dem Selbstmord des Sohnes nichts mitbekommen.
Die Hinterbliebenen halten das für nicht glaubwürdig. Sie glauben vielmehr, dass der Vater – aufgrund der gleichen Vorstellungen und der engen Wohnsituation – sehr wohl etwas von den Mordplänen mitbekam und seinen Sohn darin vielleicht sogar bestärkte.
Bundesanwaltschaft sieht Vater bisher als Zeugen
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft erklärte zuletzt jedoch, dass Hans-Gerd R. nur als Zeuge geführt werde. Die Ermittlungen hätten „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein, wie auch immer geartetes, strafbares Verhalten ergeben“.
Aber: Der Vater gab auch nach dem Anschlag keine Ruhe. Schon kurz nach der Tat verschickte er mehrere Beschwerden und Strafanzeigen an die Bundesanwaltschaft und weitere Behörden. Die Durchsuchung seines Hauses in der Tatnacht zeigte er als Freiheitsberaubung und Verletzung der Menschenwürde an. Sein Sohn habe das Attentat gar nicht verübt, sondern ein Geheimdienst.
Und Hans-Gerd R. äußerte sich in seinen Schreiben ebenfalls rassistisch, klagte über eine „Benachteiligung meiner Rasse, mithin des deutschen Volkes“. Die Mordopfer nannte er „Täter“. R. warf dem Bürgermeister Hanaus, Claus Kaminsky (SPD), Volksverhetzung vor, weil dieser gesagt hatte, „die Opfer waren keine Fremden“. Außerdem forderte R., alle Gedenkstätten an die Opfer des Hanau-Attentats müssten entfernt werden. Zudem müsse die Internetseite seines Sohnes wieder freigeschaltet werden und er wolle die Tatwaffen zurück.
„Dieser Mann ist gefährlich“
Die Hinterbliebenen erfuhren von diesen Anzeigen zunächst nichts. Die Polizei ermahnte einige von ihnen dagegen, den Vater in Ruhe zu lassen, als dieser nach einem Krankenhausaufenthalt in den Hanauer Stadtteil Kesselstadt zurückkehrte. „Wer schützt hier eigentlich wen?“, fragte Serpil Temiz-Unvar, Mutter des erschossenen Ferhat Unvar. „Dieser Mann ist gefährlich, und keiner macht was.“
Als die Betroffenen Ende Dezember mit ihrer Kundgebung nahe des Hauses von Hans-Gerd R. Ermittlungen gegen diesen forderten, trat der 73-Jährige mit einem Schäferhund vors Haus. Im Anschluss zeigte er die Protestierer als „wilde Fremde“ an – was ihm eine Anklage wegen Beleidigung einbrachte.
Nun wollen die Hinterbliebenen nicht mehr länger warten – und Ermittlungen gegen Hans-Gerd R. erzwingen. Käme es wirklich zu einer Anklage gegen den Vater des Attentäters, könnte es doch noch zu einem Prozess über den Hanau-Anschlag kommen. Bisher fällt dieser aus, weil der Attentäter tot ist.
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