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Rabin-Vertrauter über Israel und Frieden„Echter Frieden bedeutet auch heute, das Land zu teilen“

Uri Dromi war Pressesprecher von Jitzhak Rabin. Dann wurde der Friedensstifter von einem Rechtsextremen ermordet. Was bleibt von Rabins Schaffen?

Am Rande einer Kundgebung zum 30. Jahrestag der Ermordung Rabins ist sein Foto an einer Graffiti-Wand in Tel Aviv zu sehen Foto: Ariel Schalit/ap
Felix Wellisch

Von

Felix Wellisch aus Tel Aviv

Vor dreißig Jahren, am 4. November 1995, erschoss ein rechtsextremer jüdischer Terrorist den israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin. Minuten zuvor hatte er Tausende Anhänger auf einer Friedenskundgebung in Tel Aviv auf den Oslo-Friedensprozess mit den Palästinensern eingeschworen – trotz der Hetze aus dem rechten Lager und trotz der palästinensischen Terroranschläge, die das Land erschütterten. Der Friedensprozess erlitt damit einen Schlag, von dem er sich bislang nicht mehr erholte.

taz: Wie würden Sie Ihrem früheren Chef Rabin erklären, wo Israel 30 Jahre nach seiner Ermordung steht?

Uri Dromi: Das wäre schwer. Was heute Regierungspolitik ist, widerspricht fundamental seinen Überzeugungen. Rabin war Soldat, kein großer Demokrat, aber er respektierte das Gesetz und die Gerichte. Der heutige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Minister wollen die Justiz und das demokratische System unter ihre Kontrolle bringen.

Rabin umgab sich mit Leuten, die ihm sagten, was er nicht gerne hören wollte. Die derzeitige Regierung schickt sich an, die unabhängige Presse abzuschaffen. Als 1994 die Hamas einen israelischen Soldaten entführte, um den Friedensprozess zu stoppen, übernahm Rabin die volle Verantwortung – obwohl es nicht seine Schuld war. Heute verhindert Netanjahu seit über zwei Jahren die Aufarbeitung des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023.

Bild: privat
Uri Dromi

Jahrgang 1946, war ab 1992 Regierungssprecher für Jitzchak Rabin bis zu dessen Ermordung. Bis 1996 arbeitete er weiter als Sprecher für Rabins Nachfolger Schimon Peres. Dromi ist Gründungsdirektor des Jerusalem Press Club und diente zuvor in der israelischen Luftwaffe.

taz: Rabin galt selbst lange als Hardliner. Er ordnete während der ersten Intifada als Verteidigungsminister brutale Methoden gegen den palästinensischen Aufstand an.

Uri Dromi: Es war aber ebenfalls Rabin, der damals erkannte, dass sich die Palästinenser nicht gewaltsam unterdrücken und ignorieren lassen. Es waren auch diese Erfahrungen, die ihn überzeugten, dass Frieden der einzige Weg zur Sicherheit ist. Das war keine moralische Einsicht, es war pragmatisch. Dafür war er bereit, dem Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, Jassir Arafat, in Washington die Hand zu geben – obwohl viele Israelis diesem die Unterstützung von Terror vorwarfen.

taz: Hätte Rabin anders auf den Hamas-Überfall am 7. Oktober reagiert?

Uri Dromi: Das kann ich nicht sagen. Aber mir war schon vor dem Überfall klar, dass man zwei Millionen Menschen nicht so behandeln kann. Und dass die Situation explodieren wird – auch wenn mich das Ausmaß schockiert hat. Ich halte die anfängliche Reaktion Israels für gerechtfertigt, aber wir sind irgendwann zu Vergeltung übergegangen. Jetzt haben wir Gaza zerstört, die zwei Millionen Menschen sind noch immer dort. Es gibt keine Möglichkeit mehr für Israel zu sagen, es hätte damit nichts zu tun. Wir hätten den Krieg viel früher stoppen müssen.

taz: Israel wird von vielen Seiten Völkermord vorgeworfen.

Uri Dromi: Diesen Vorwurf lehne ich ab. Denn ich glaube nicht, dass es einen Plan gab, die palästinensische Bevölkerung auszulöschen. Das humanitäre Völkerrecht akzeptiert zivile Opfer. Aber dafür gibt es zwei Voraussetzungen: eine militärische Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit. Wenn man auf die Zerstörung und den zwischenzeitlichen Hunger in Gaza blickt, sind wir eindeutig zu weit gegangen.

taz: Wie würden Sie das nennen, was in Gaza geschehen ist?

Uri Dromi: Ich bin Patriot und war einmal Sprecher einer israelischen Regierung. Manches fällt mir schwer auszusprechen. Aber es gibt definitiv Dinge, die ich heute für falsch halte. In der israelischen Gesellschaft gehöre ich damit aber zu einer kleinen Minderheit.

taz: Rabin stand für die Hoffnung auf Frieden. Wie haben Sie auf seinen Tod reagiert?

Uri Dromi: Als ich bei meinem ersten Besuch im Büro des Ministerpräsidenten nach dem Attentat Shimon Peres (der Rabins Amt nach seinem Tod übernahm; Anm. d. Red.) statt Rabin traf, spürte ich bereits: Der Terrorist Jigal Amir hatte den Friedensprozess selbst getroffen. Peres konnte die Israelis nicht überzeugen, dass Frieden nicht auf Kosten von Sicherheit ging, so wie Rabin es zuvor getan hatte.

taz: Heute sitzen die Vertreter von Jigal Amirs religiös-nationalistischer Ideologie in der Regierung. Wie konnte das passieren?

Uri Dromi: Die Linke hat die Gefahren von rechts unterschätzt. Heute ist diese Bedrohung klarer, aber auch weiter fortgeschritten. In Israel wird offen über die Gefahr eines Bürgerkriegs gesprochen. Zudem hat die rechte Ideologie längst Einfluss auf staatliche Institutionen wie die Polizei: Antikriegsdemonstranten etwa werden wegen Kleinigkeiten wochenlang eingesperrt.

taz: Am vergangenen Samstag haben mehr als 100.000 Israelis auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv des Attentats gedacht. Bringt das Gedenken Israel zusammen?

Uri Dromi: Es ist vor allem ein Gedenktag für jene, die an den Weg Rabins glaubten. Viele Rechte verstehen hingegen: Die Linke versucht, uns kollektiv die Schuld zu geben. Einerseits wollen sie nicht sehen: Worte kommen vor Kugeln und Netanjahu selbst nahm vor dem Mord an einer Demonstration mit Mordaufrufen teil. Andererseits haben die Organisatoren des Rabin-Gedenkens es in der Vergangenheit verpasst, Versöhnung zuzulassen. Aryeh Deri, ein ultraorthodoxer und ehemaliger Minister unter Rabin, wollte bei einer der vergangenen Gedenkveranstaltungen sprechen. Es wurde ihm verweigert.

taz: Sehen Sie trotzdem noch eine Chance für Rabins Weg?

Uri Dromi: An der Grundannahme, dass Frieden nur zwischen Israelis und Palästinensern geschlossen werden kann, hat sich nichts verändert. Alle Versuche, die Palästinenser zu umgehen, werden scheitern.

taz: Welche Kompromisse müsste Israel heute bei Verhandlungen akzeptieren?

Uri Dromi: Echter Frieden bedeutet auch heute, das Land zu teilen. Für Gaza bedeutet das eine Absage an jüdische Siedlungsfantasien. Die Menschen dort brauchen Hoffnung für ihre Kinder und einen politischen Horizont. Mit Blick auf das Westjordanland müssen zumindest die kleineren Siedlungen aufgegeben werden. Im Rahmen eines Friedensprozesses wäre ich außerdem für eine Freilassung von Marwan Barghouti, weil er bei Palästinensern aus allen Lagern Unterstützung genießt. Frieden muss man mit seinen Feinden schließen.

Illusionen mache ich mir nicht: Netanjahu und seine Minister betrachten die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nicht als Partner. Sie bewaffnen stattdessen Banden in Gaza, nachdem sie seit 20 Jahren die Hamas gewähren ließen. Stattdessen müsste man zulassen, dass die PA, ergänzt durch Kräfte aus arabischen Ländern, dort wieder eine Rolle spielt.

taz: Nach all den Rückschlägen in 30 Jahren: Haben Sie noch Hoffnung?

Uri Dromi: Ich mache mir große Sorgen, wenn ich sehe, wie viele Israelis das Land verlassen. Andererseits sehe ich die Energie, mit der die israelische Gesellschaft für die Demokratie und für ein Kriegsende in Gaza gestritten hat. Ich sehe auch die arabischen Israelis, die etwa zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen, als mögliche Brücke zu anderen Palästinensern. Ich habe zu meinen Lebzeiten Frieden mit Ägypten und Jordanien und die Abraham-Abkommen gesehen. Und wenn wir Frieden mit den Palästinensern schließen, wäre Saudi-Arabien der nächste Partner. Das Potenzial des Friedens gibt mir noch immer Hoffnung.

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10 Kommentare

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  • Es _gibt klar sehende Menschen auch in der jüdisch-israelischen Sphäre. Danke. Barghoutis Freilassung wäre ein Schritt, wenn es wirklich um Frieden gehen soll (bei Netanyahu absolut nicht der Fall, und Frieden hieße auch Abschied von Repression und Besatzung). Das Ende der Besatzung ist übrigens auch für Israels Seele selbst rasch nötig.

  • "Ich sehe auch die arabischen Israelis, die etwa zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen, als mögliche Brücke zu anderen Palästinensern."

    Es SIND Palästinenser. Und wenn man mal etwas genauer addiert, ist im israelisch kontrollierten Gebiet (Israel plus besetzte Gebiete) nur jeder zweite Jude.

    • @Deutschfranzose:

      Warum muss ein arabischer Israeli Ihrer Meinung nach ein Palästinenser sein?

      Womit legitimieren Sie diese Sichtweise?

      Und wenn manche arabische Israelis das anders sehen?

    • @Deutschfranzose:

      Das steht ja auch "andere Palästinenser".



      Sie sind vom Pass Israeli, von der Religion Christen, Muslime, Atheisten, ... und wahrscheinlich von ihrem Selbstverständnis auch Palästinenser.



      Eine Gleichbehandlung aller BürgerInnen wäre ein Tipp für Israel, das ist nicht ganz gelungen (Einbürgerungsgesetze, Militärdienst, ...)

  • "Aber mir war schon vor dem Überfall klar, dass man zwei Millionen Menschen nicht so behandeln kann. Und dass die Situation explodieren wird – auch wenn mich das Ausmaß schockiert hat." - Damit formuliert er wohl die Mehrheitsposition aller, die sich in der Region ein wenig auskennen und nicht vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts andere Debatten führen wollen - vor allem um Migration und die Frage, wie viel Differenz an Lebensentwürfen (nicht nur religiös verstanden) es in einer Gesellschaft geben "darf".

  • 'Heute ist diese Bedrohung klarer, aber auch weiter fortgeschritten. In Israel wird offen über die Gefahr eines Bürgerkriegs gesprochen.'

    Das wäre eine Katastrophe.

    • @EffeJoSiebenZwo:

      Ich weiß nicht, inwiefern eine reale Bürgerkriegsgefahr in der israelischen Gesellschaft wirklich besteht.



      Als Beobachter von außen sehe ich heutzutage ganz andere Gefahren: die Gefahr der Verhärtung (Wagenburg-Mentalität) und Mitleidlosigkeit gegenüber den Palästinensern, die in der Folge eine Zustimmung einer (noch vorhandenen) säkularen, liberalen Bevölkerungsmehrheit für ein autoritäres, repressives Regime auch im Inneren bedeutet.



      Hier muss eine (nicht antisemitische!) linke Kritik des Zionismus als israelische Staatsdoktrin ansetzen: der einstige, aus einem Befreiungsimpuls für die europäischen Juden hervorgegangene Zionismus, der Palästina zu einem Ort des freiheitlich-sozialistischen Miteinanders (in der Utopie der Linkszionisten) machen wollte, ist zu einem Vertreibungs- und Unterdrückungsinstrument gegenüber der palästinensischen Bevölkerung geworden. Und jetzt droht er seinen repressiven Charakter auch auf die säkulare israelische Gesellschaft auszudehnen.

      • @Abdurchdiemitte:

        Ich fürchte, die Palästinenser (oder auch, aus Sicht des 19.ten Jahrhunderts, die nicht-jüdischen Araber in Palästina) waren im Zionismus IMMER schon eine Variable, die man sich irgendwie als vernachlässigbar gewunschdacht hatte. Das stammt nicht von gestern, sondern war in der arroganten, europäischen Denkweise des 19.ten Jahrhunderts eine nicht hinterfragte Sichtweise. Die (noch nicht abgeschlossene) Entkolonialisierung der einstigen Kolonialreiche Englands und Frankreichs und das Ende der Apartheid in Südafrika haben diese Sichtweise vollkommen delegitimiert. Der Zionismus hat es aber nicht geschafft, diesen Paradigmenwechsel zu integrieren, im Gegenteil!

      • @Abdurchdiemitte:

        Der (historische) Zionismus war nie nur ein Befreiungsnationalismus, sondern immer auch eine Reaktion auf gescheiterte Assimilation, den Versuch und die schließlich tatsächlich erfolgte Vernichtung eines Großteils der Juden und gegenwärtige Vernichtungsdrohungen. Fraglich ob die Visionen der Linkszionisten nicht schon immer utopisch waren. Die revisionistische Fraktion war da wohl realistischer. Leider sind Leute wie Netanjahu unwürdige Epigonen von Zeev Jabotinsky. Der eine Trennung von den Arabern wollte, aber kein araberfreies Israel.



        Insofern hoffe auch ich, dass in Israel Menschen wie Uri Dromi wieder mehr Gehör und Mehrheiten finden. Eine globale Intifada gegen Israel wird die Verhärtung stärker machen, wie Sie ja auch schreiben... so wie die Stimmen auf palästinensischer Seite Gehör finden müssen, die sich, oft unter Einsatz ihres Lebens, gegen Hamas u.a. stellen.

      • @Abdurchdiemitte:

        Ja, so könnte es sein. Eine Realität der Ungleichheit, Ungerechtigkeit kann zu einer Ideologie der Ungleichheit, Ungerechtigkeit führen, die das für die Privilegierten erträglich zu machen scheint. Dann sind die Palästinenser ja irgendwie "selbst schuld", "minderwertig", "anders", um das Wegsperren in abgeriegelten Gebieten übersehen zu können.