EU gegen Legalisierungspläne: Cannabis-Freigabe auf der Kippe
Die EU reagiert zurückhaltend auf den deutschen Vorstoß zur Cannabis-Legalisierung. Könnten die Pläne der Ampel in Brüssel scheitern?
Doch der Prozess geriet schnell ins Stocken. Gleich nach Amtsantritt musste sich der zuständige SPD-Gesundheitsminister zunächst um die Eindämmung der Corona-Pandemie kümmern. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine galt es für die Ampel dann gleich die nächsten Großkrisen zu meistern.
Bereits im vergangenen Sommer mahnten viele Kritiker, die Legalisierung komme nicht voran. Zwar lud das Bundesgesundheitsministerium im Sommer 200 Experten zur Anhörung zum Thema nach Berlin ein. Doch nach dem fünftägigen Marathon befand etwa Andreas Müller, Cannabis-Aktivist und Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin, im Interview mit der taz: „Deutsche Gründlichkeit könnte verhindern, dass es zu einem Ergebnis kommt.“
Deshalb verbanden viele die von Karl Lauterbach im Herbst vorgelegten Eckpunkte mit neuen Hoffnungen. Der Gesundheitsminister, lange kein Befürworter der Legalisierung, berichtete gar, selbst gekifft zu haben. Die Wirkung des vermeintlichen „Teufelskrauts“ habe er als angenehm empfunden. Zunächst wolle er die EU prüfen lassen, ob die deutschen Pläne zur Legalisierung rechtlich umsetzbar seien. Denn die rechtlichen Hürden sind hoch. Deutschland hat mehrere Völkerrechtsabkommen zu Cannabis unterzeichnet, allen voran die UN-Konvention über Betäubungsmittel von 1961. Durch sie ist im Prinzip alles, was mit Cannabis zu tun hat, verboten, vom Anbau über den Verkauf bis zum Handel. Aus dem Abkommen aus- und wieder einzusteigen, wäre ein Weg, den etwa Bolivien gewählt hat. Doch die Frist ist bereits verstrichen. Deutschland hätte bis Juli '22 aus dem Abkommen austreten müssen, um die Legalisierung 2023 zu erreichen.
EU setzt enge Grenzen
Noch schwieriger ist es mit dem EU-Recht. Das Schengen-Protokoll von 1990 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die unerlaubte Ausfuhr und Abgabe „von Suchtstoffen und psychotropen Stoffen aller Art einschließlich Cannabis“ strafrechtlich zu unterbinden. Zudem schreibt ein EU-Rahmenbeschluss von 2004 vor, dass Herstellung, Anbau, Verkauf, Transport oder Ein- und Ausfuhr von Drogen inklusive Cannabis unter Strafe gestellt werden müssen. Nur eine Ausnahme gibt es: Wenn diese Handlungen „ausschließlich“ für den „persönlichen Konsum“ unternommen werden, dürfen die einzelnen EU-Länder in ihrer nationalen Rechtsprechung abweichende Regelungen treffen.
Deutschland könnte deshalb zwar den Besitz geringer Mengen Cannabis oder den Anbau von ein paar Pflanzen für den Eigengebrauch erlauben oder zumindest straffrei ermöglichen – mehr lässt das Recht derzeit aber nicht zu. Die „holländische“ Regierung geht jedoch weiter: Über den Tresen darf legal verkauft werden, was illegal durch die Hintertür geliefert wurde. Sonst werden der Schwarzmarkt und die organisierte Kriminalität gefördert.
Die Bundesregierung setzt deshalb auf eine neue Interpretation des EU- und des Völkerrechts. Sie will den Schwarzmarkt trockenlegen, um Jugend- und Gesundheitsschutz zu verbessern. Um weiteren Gegenwind aus der EU zu vermeiden, will die Bundesregierung zudem ausschließlich in Deutschland angebaute Hanfprodukte zum Konsum freigeben.
Lauterbach leistet Überzeugungsarbeit
Vor diesem Hintergrund ließ sich auch das im Oktober vorgelegte Eckpunktepapier noch als Teil einer cleveren Strategie gegenüber Brüssel interpretieren. Immerhin sollte Cannabis darin nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden.
Anbauclubs waren dabei nicht vorgesehen und der Eigenbau stark eingegrenzt: drei Pflanzen sollten erlaubt sein. Die Höchstmengen erschienen im Zuge einer kompletten Legalisierung als befremdlich: straffrei gestellt werden sollen 20 bis 30 Gramm für jeden Erwachsenen. Das rauchen solide Kiffer in einem Monat weg.
Schließlich zeigte sich aber, dass Lauterbachs Vorgehen in Brüssel nicht überzeugte: Die EU konnte mit den eingereichten Dokumenten nichts anfangen. Mit Eckpunkten allein konnte sie keinen juristischen Prüfprozess anstoßen. Die zuständige Kommission braucht dafür einen Gesetzentwurf. Also legte Lauterbach nach und versprach im Frühjahr einen Entwurf vorzulegen. Des Weiteren habe er eine Studie in Auftrag gegeben, „um die EU-Kommission davon zu überzeugen, dass durch unser geplantes Gesetz der Cannabiskonsum begrenzt werden kann“, erklärte Lauterbach im November.
Berlin bekam rechtlichen Gegenwind aus Brüssel. „Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie sie den persönlichen Gebrauch von Drogen, einschließlich Cannabis, behandeln“, zitierte die Legal Tribune Online eine Sprecherin der zuständigen Kommission. Auf dieser Sicht zu beharren, bedeutet aber im Umkehrschluss: Handel und Produktion unterliegen weiterhin dem EU-Recht.
Bayern fühlt sich bestätigt
Die Kritik der EU bestärkte auch die deutschen Kritiker des Projekts, allen voran Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Er traf im November in Brüssel Monique Pariat, Ansprechpartnerin für die deutschen Legalisierungpläne. Er habe den Eindruck, dass die Kommission vor allem den Verkauf von Cannabis europarechtlich problematisch sehe: „Ich bin optimistisch, dass die EU-Kommission als ausgleichendes Element auf die hitzige Legalisierungsdebatte in Deutschland einwirken wird“, erklärte Holetschek nach dem Gespräch. Zudem habe er „ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um die völker- und europarechtlichen Grenzen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland zu klären.“ Er wolle es der Kommission zur Verfügung stellen, bis Ende Februar werde es fertig sein. Damit könnte Holetschek Lauterbach einen Monat voraus sein.
Dass die Gegner der Legalisierung das SPD-geführte Gesundheitsministerium nun versuchen, rechts zu überholen, hat den Koalitionspartner auf den Plan gerufen. „Die kontrollierte Freigabe von Cannabis ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Gesundheitsminister muss nun zeitnah einen Gesetzentwurf vorlegen“, sagte die drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther, vergangene Woche der dpa. Die „ewig-gestrigen“ Opponenten des Vorhabens nutzten ein mögliches Veto der EU als Vorwand. Doch das Verfahren in Brüssel dürfe den Prozess nicht weiter verschleppen. EU-Recht könne nicht als Totschlagargument dienen. Eine Vorhersage, wann die Legalisierung kommt, machte sie allerdings nicht. „Ich setze mich dafür ein, dass es so schnell wie möglich passiert“, so Kappert-Gonther.
Lauterbach hat die Legalisierung als einen großen Vorstoß angekündigt, als ein „Modell für Europa“. Doch wenn es nicht gelänge, die Kommission zu überzeugen, würde er davon lieber komplett Abstand nehmen. Das wäre blamabel für die SPD und für viele Konsument*innen ein Desaster.
Die Linke hat jüngst einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der sich weitgehend mit einem Vorschlag der Organisation Law Enforcement Against Prohibition (LEAP) deckt: Erwachsenen soll der Erwerb und Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis erlaubt sein, ebenso der Anbau und der Besitz von bis zu drei weiblichen, blühenden Hanfpflanzen für den Eigenbedarf.
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