EU-Urteil zu illegaler Abschiebung: Frontex muss nicht zahlen
Das Europäische Gericht lehnt die Klage einer syrischen Familie ab. Sie war unter Frontex-Beteiligung illegal aus Griechenland abgeschoben worden.
Die syrischen Eltern mit ihren vier Kindern waren im Oktober 2016 in einem größeren Boot gemeinsam mit rund 100 anderen Flüchtlingen auf der griechischen Insel Milos angekommen. Sie wurden dann zu einem griechischen Flüchtlingszentrum auf die Insel Leros verlegt, wo sie um Asyl baten. Eine Woche später wurde der Familie gesagt, sie werde jetzt gemeinsam mit anderen Flüchtlingen nach Athen geflogen.
Doch schon an Bord des Flugzeugs war die Atmosphäre gespenstisch. Neben jedem Flüchtling saß ein Polizist, die Luken waren verdunkelt, niemand durfte sprechen. Das Flugzeug landete dann in der Türkei. Trotz ihres Asylantrags, der sicher Erfolg gehabt hätte, war die syrische Familie abgeschoben worden. Ein in dieser Form selbst für griechische Verhältnisse außergewöhnlicher Vorgang.
Da auch Frontex-Polizisten an Bord des Flugzeugs waren, klagte die Familie mithilfe einer niederländischen Anwaltskanzlei gegen Frontex auf Schadenersatz. Sie verlangte 96.000 Euro materiellen Schadenersatz, weil sie von der Türkei aus zu Verwandten nach Erbil in den Nordirak weiterfliehen musste und nun dort ihren Unterhalt finanzieren muss.
Für die Abschiebung sei allein Griechenland zuständig
Außerdem sollte Frontex 40.000 Euro Schmerzensgeld zahlen, um die Angst (insbesondere der Kinder) bei der Abschiebung und bei der gefährlichen Flucht in den Irak zu kompensieren. Die illegale Abschiebung wäre nicht erfolgt, wenn Frontex seine Pflicht zur Wahrung der Menschenrechte erfüllt hätte, so die Familie.
Das Europäische Gericht, das unter anderem für Klagen gegen EU-Agenturen wie Frontex zuständig ist, erklärte die Klage der Familie nun für unbegründet. Für die Entscheidung über die Abschiebung seien ganz allein die griechischen Behörden zuständig gewesen, so die Richter:innen. Die Aufgabe von Frontex beschränke sich darauf, solche Abschiebungen zu unterstützen.
Außerdem, so das EuG weiter, seien die Kosten der Folgeflucht in den Irak nicht Frontex anzulasten. Die Familie habe Angst vor einer Abschiebung aus der Türkei nach Syrien gehabt, weil sie sich in der Türkei nicht beim zugewiesenen Flüchtlingszentrum gemeldet, sondern eigenmächtig ein Haus gemietet hatte. Die niederländischen Anwälte wollen nun mit den Klägern beraten, ob sie Berufung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), ebenfalls in Luxemburg, einlegen.
Griechenland musste 75.000 Euro zahlen
In einem anderen Rechtsstreit hatte die syrische Familie bereits Erfolg. Eine Klage gegen Griechenland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg endete mit einer gütlichen Einigung. Griechenland räumte seinen Fehler bei der Abschiebung ein und zahlte der Familie insgesamt 75.000 Euro. Mit dem Geld hat sie in Erbil eine Pizzeria aufgebaut und lebt auch heute noch dort.
Der Prozess gegen Frontex dient vor allem der grundsätzlichen Klärung, wann die EU-Grenzschutzagentur für Rechtsbrüche bei Abschiebungen und Pushbacks mitverantwortlich ist. „Wir müssen einen langen Atem haben“, sagt Karl Kopp von Pro Asyl, das an den Klagen mitgewirkt hat. Derzeit werden schon weitere Klagen gegen Frontex in anderen Konstellationen vorbereitet. „Wenn EU-Staaten und Frontex zusammenarbeiten, kann es nicht sein, dass die Frontex-Agentur immer als die große Unschuldige gilt.“
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