piwik no script img

EU-Rüstungskonferenz in BrüsselEU will Waffenproduktion ankurbeln

Die Ukraine braucht Waffen und Munition. Europas Rüstungskonzerne sollen groß einsteigen. Auch vor Ort selbst soll produziert werden.

Im laufenden Jahr will Rheinmetall der Ukraine „Hunderttausende“ Granaten liefern, finanziert aus Mitteln der EU Foto: Philipp Schulze/dpa

Brüssel taz | Die Europäische Union will weiter aufrüsten – für die Ukraine. Aber auch mit der Ukraine und in dem von Russland angegriffenen Land selbst. Dies sagte EU-Chefdiplomat Josep Borrell am Montag bei einer Rüstungskonferenz in Brüssel. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte eine europäische „Kriegswirtschaft“. „Wenn wir den Frieden in der EU erhalten wollen, müssen wir zu einer Kriegswirtschaft und -industrie übergehen“, sagte Kuleba per Videobotschaft. Er rief zudem zu mehr Investitionen auf. Die EU-Staaten müssten entweder die Verteidigung seines Landes finanzieren – oder selbst „liefern, liefern, liefern“.

Es ist das erste Mal, dass sich die EU derart in die Aufrüstung eines nicht verbündeten Drittstaats einbinden lässt. Es ist auch das erste Mal, dass das „Rüstungsforum“ in Europa stattfindet. Die ersten beiden Waffenmessen zugunsten der Ukraine waren in Kyjiw und Washington abgehalten worden. Das dritte Treffen in Brüssel war nach Angaben der EU ein voller Erfolg: Mehr als 140 Rüstungsfirmen aus 25 EU-Ländern seien gekommen, um die Ukraine militärisch auszurüsten. „Wir haben die industriellen Kapazitäten, und wir haben das Geld“, erklärte Borrell. Nun gehe es darum, „mehr und schneller“ Waffen zu produzieren.

Bisher liegt die EU weit hinter ihren eigenen Zielen zurück. So hatte sie der Ukraine bis März eine Million Artilleriegeschosse versprochen. Geliefert wurde nur etwa die Hälfte. Um die Produktion anzukurbeln, hat die EU-Kommission im März eine eigene Rüstungsstrategie vorgelegt und Geld aus dem EU-Budget reserviert.

Allerdings dürften die bis 2027 vorgesehenen 1,5 Milliarden Euro kaum reichen, um den Nachholbedarf zu decken. Der zuständige Binnenmarktkommissar Thierry Breton räumte dies am Montag offen ein. „Wir wissen, dass es nicht genug ist“, sagte Breton. Doch ein Anfang sei gemacht. Die EU und die Ukraine hätten bei der Rüstungszusammenarbeit ein „neues Kapitel“ aufgeschlagen. Ziel sei es, die ukrainische Rüstungsindustrie zu einem „integralen Bestandteil“ des europäischen Verteidigungssektors zu machen, betonte er.

Europa rüstet mehr auf denn je

Schon jetzt sorgt die enorme Nachfrage nach Waffen und Munition dafür, dass große Waffenschmieden wie Rheinmetall ihre Produktion immer mehr auf die Ukraine ausrichten. Man sei bereits „der wichtigste rüstungsindustrielle Partner des Landes bei seinem Abwehrkampf gegen die russische Aggression“, brüstet sich der Düsseldorfer Konzern. Im laufenden Jahr will Rheinmetall der Ukraine eigenen Angaben nach „Hunderttausende“ Granaten liefern, finanziert aus Mitteln der EU.

Unterstützt wird die Aufrüstung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sei jetzt auch, „Rüstungsindustrieminister“ zu sein, erklärte Habeck Ende April in Berlin. Ähnliche Stimmen kommen aus Paris. Verteidigungsminister Sébastien Lecornu drohte der Industrie zuletzt mit Beschlagnahmung, falls sie nicht schneller Waffen produziert.

Noch vor ein paar Jahren wären diese Töne undenkbar gewesen. Schließlich schmückten sich die Europapolitiker in Brüssel, Berlin und Paris lange mit dem Friedensnobelpreis, der der EU 2012 in Oslo verliehen worden war. Noch 2019, zu Beginn der Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, war Aufrüstung kein Thema. Nun beherrscht sie die EU-Agenda. Kritiker verweisen zwar weiter auf Artikel 41 (2) des EU-Vertrages, der es verbietet, „Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt zu finanzieren. Doch sie werden kaum noch gehört.

Europa rüstet sogar mehr auf denn je. Nach Angaben des Friedensforschungsinstituts Sipri lagen die Militärausgaben in Europa 2023 insgesamt höher als in China. Mit 37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag der Anteil der Verteidigungsausgaben in der Ukraine besonders hoch. Grund dafür ist die russische Invasion.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • @MAXWALDO

    Das klingt fast so. Ist es aber nicht. Solche Dinge sind immer komplex und multikausal.

    Sie werden mir nicht erzählen, dass dieser Krieg nicht auch seine mediale Dimension hat, und auch nicht, dass die Waffenlobby komplett unbeteiligt an seinem Entstehen und Verlauf ist.

    Ich erinnere noch an das Paper der RAND Corporation [1] von 2019 (!), das vorschlägt, einen Ukrainekrieg auf langsamer Flamme zu kochen, um die russische Wirtschaft in die Pleite zu treiben. Die RAND ist nicht irgendwer, wohlgemerkt. Da gewinnt Putins zynischer Spruch "bis zum letzten Ukrainer" (der gendert nicht) eine ganz eigene Bedeutung.

    Oder daran, dass US-Lobbies den Kongress kostenlos pro-Ukraine beackert haben [2], die... mit der anderen Hand mit Waffen ihr Geld machen.

    Nein, ich meine nicht, dass die Ukrainer*innen kein Recht zur Selbstbestimmung hätten. Auch nicht zur Verteidigung. Auch nicht, dass sie damit alleine gelassen werden sollen.

    Lediglich, dass auch auf unserer Seite ein Haufen Zyniker sind, die für ihr verdammtes Geschäft über Leichen gehen.

    [1] www.rand.org/conte...4/RAND_RB10014.pdf

    [2] www.theguardian.co...n-defense-industry

    • @tomás zerolo:

      Man kann die Dinge "komplex" und "multikausal" bis zur Unkenntlichkeit zerreden. Logisch gibt es immer irgendwo noch ein Facette die ungenügend berücksichtigt wurde.



      Fakt ist, im Kreml herrscht ein Despot und Faschist mit Grossmachtgelüsten bis Berlin. Wenn man das begriffen hat, dann treten plötzlich die Prioritäten ganz klar in den Vordergrund.

  • 10 Jahre Krieg in Europa und die EU _will_ die Rüstungsindustrie anschmeißen. Heißt in 20 Jahren läuft die dann. Vielleicht.

    Es ist zum Verzweifeln.

    Hätte man von vorneherein der Ukraine 0,3% EU BIP/Jahr zur Verfügung gestellt um sich damit in Europa einzudecken (heißt das Geld wäre letztlich hier geblieben) hätte die den Krieg mitlerweile gewonnen und nebenbei hätte man auch noch Wirtschaftsförderung betrieben.

  • "... Angst wird geschürt, Kriegsrhetorik und Hysterie überall. ...". Das sage man einmal einem Ukrainer. Klingt fast so als ob der Krieg in der Ukraine nur in der Presse stattfindet. Deutschland hat unter Merkel und fortgesetzt von der Ampel seine Fähigkeit sich zu verteidigen aufgegeben. Wenn Trump ab nächstem Jahr die NATO demontiert schaut es ganz trübe für Deutschland aus. Der Artikel verkennt die Situation, zurück geblieben in einem idealistischen Weltbild welches zwar erstrebenswert aber derzeit nicht realistisch ist. Die militärische Unterversorgung Europas einhergehend mit dem politischen Totalversager Scholz kostet jeden Tag Menschenleben. Bei den Ukrainer, wie bei den Russen...

  • Darf man das jetzt "Wiedereinstieg in den kalten Krieg" nennen, oder besser "Wettrüsten", oder einigen wir uns auf die Floskel "Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit". Wo nehmen wir das Geld eigentlich weg, welches wir in die Rüstung stecken.

    • @Rudi Hamm:

      Steuern, Schulden.

      • @Machiavelli:

        Ich denke eher Sozialabbau und Renten

        • @Rudi Hamm:

          Nachdem der Sozialstaat seit der Gründung der BRD massiv gewachsen ist, wäre es nicht falsch mal hier zu schauen ob man diesen ganzen Verwaltungswasserkopf braucht und ob jede Zahlung auch notwendig ist.

  • "Wir müssen uns davor hüten, dass der militärisch-industrielle Komplex ungerechtfertigten Einfluss erwirbt, ob gewollt oder ungewollt. Das Potential für den katastrophalen Aufstieg fehlgeleiteter Macht besteht und wird bestehen bleiben." Das sagte Präsident Dwight D. Eisenhower am 17. Januar 1961.

    Wir sind wieder genau dort. Gelder gehen in die Rüstung, die Angst wird geschürt, Kriegsrhetorik und Hysterie überall.

    Probleme wie Gesundheit, Armut, Klima - alles Schnee von gestern. Das Geld wird ja jetzt für Waffen gebraucht. Ist in der deutschen Geschichte je ein Industriezweig so gepampert worden wie derzeit die Rüstungsindustrie? Eher nicht.

    Verteidigung ist wichtig, gar keine Frage.

    Allerdings: Wenn wir Europäer nach einem weiteren Massaker an einer amerikanischen Schule mit Unverständnis auf die ewig gleichen Reaktionen der NRA reagieren (u.a. mehr Waffen ausgeben, da,it sich jeder selbst schützen kann) ist uns klar: Mehr Waffen schaffen eben nicht mehr Sicherheit. Das scheint in der großen Welt nicht zu funktionieren. Hier sind mehr Waffen das Gebot der Stunden.

    Mehr Waffen zu haben ist vielleicht kein Problem, insofern das in einer allumfassende Strategie eingebunden ist. Das scheint aber hier nicht zu sein. Der Schlachtruf ist einfache: Mehr Waffen, der Rest wird dann schon.

    Irgendwie fühle ich mich nicht sehr wohl dabei. Und viele andere auch. Und davon profitiert die AfD.

  • Geil !



    Endlich kommt mal Druck auf'n Kessel !



    Jetzt nur noch die gesamte Rüstungsindustrie in die Hände des Staates.



    Denn: wer als Privatperson kauft sich einen Panzer - auf dem freien Markt?

  • Wie wird diese Industrie in Friedenszeiten wieder schrumpfen?

    Antwort: gar nicht. Sie wird darüber sorgen, dass es keine Friedenszeiten mehr gibt. Kapital ist heilig!

    • @tomás zerolo:

      Es hat noch nie Friedenszeiten gegeben. Es gab auch in Europa Krieg seit 1990. Mit der abnehmenden Macht der USA wird die weöt halt brutaler und kriegerischer.

    • @tomás zerolo:

      Die Rüstungsindustrie wurde nach dem Kalten Krieg bis zur Funktionsunfähigkeit kleingeschrumpft. Das fällt uns jetzt auf die Füße.

    • @tomás zerolo:

      Das braucht sie gar nicht. Die traurigen Realitäten und diverse Despoten sorgen von ganz alleine dafür.

  • Mindestens 10 Jahre zu spät. Aber besser spät als nie...