EU-Rettungsplan in der Coronakrise: Hoch gepokert
Nur wegen der „geizigen vier“ darf die EU nicht scheitern. Europas Fortschritte fanden schon immer in Krisen statt.
E s ist ein großer Moment für Europa: 750 Milliarden Euro will die EU-Kommission vor allem in jene Länder investieren, die von der Coronapandemie besonders hart getroffen wurden. Das ist beispiellos in der europäischen Geschichte.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass noch unklar ist, wie viel Geld am Ende fließt. Bisher ist es nur ein Vorschlag der Kommission. Die Zustimmung der EU-Regierungen steht noch aus, und die „geizigen vier“ – Dänemark, Schweden, Österreich und die Niederlande – haben Widerstand angekündigt.
Die EU-Kommission pokert daher: Mit ihren 750 Milliarden Euro überbietet sie gezielt den Plan von Präsident Macron und Kanzlerin Merkel, die einen Coronafonds von 500 Milliarden Euro gefordert hatten. Damals heulten die „geizigen vier“ auch schon auf, aber durch die EU-Kommission haben sich die Koordinaten verschoben: Der Plan von Macron und Merkel wirkt nun wie ein Kompromiss. Niederländern und Dänen wird die Möglichkeit eröffnet, substanziellen Hilfen zuzustimmen und zu Hause zu erzählen, sie hätten die Pläne der EU-Kommission und damit „das Schlimmste“ verhindert.
Geld wird jedenfalls fließen. Denn die Coronakrise hat geopolitische Folgen, die die Europäer nicht ignorieren können. Die USA und China pumpen jeweils Billionen Dollar in ihre Wirtschaft, um die Unternehmen zu stabilisieren. Da wäre es keine gute Idee, wenn Deutschland als einziges großes EU-Industrieland genug Geld hätte, um seine Firmen zu retten. Die EU würde für immer abgehängt.
Es ist keine fiktive Sorge, dass Europa den Anschluss verliert – sondern Realität. Die EU-Kommission wies mehrfach auf eine Statistik hin, die das Drama offenbart: Aus Deutschland stammt fast die Hälfte aller Anträge, dass die Regierung die heimischen Firmen unterstützen darf. Vielen anderen EU-Ländern fehlt das nötige Geld, um ihre Unternehmen durch die Coronapandemie zu bringen.
So viel ist sicher: Europa wird auf seine ökonomische Zukunft nicht verzichten, nur weil die Niederländer oder Dänen gerade schlecht gelaunt sind. Es werden Milliardensummen fließen, die vor drei Monaten noch völlig undenkbar gewesen wären.
Aber so war Europa schon immer: Die großen Fortschritte finden mitten in der Krise statt. Auch die EU gibt es nur, weil Frankreich 1956 eine Auseinandersetzung um den Suezkanal verloren hatte – und sich anschließend nach neuen Bündnispartnern umgesehen hat. Die Coronapandemie kann für Europa ebenfalls eine Chance sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Die Wahrheit
Der erste Schnee