Milliardenhilfen durch EU-Rettungsplan: Europes Next Finanz-Model

750 Milliarden Euro soll das EU-Rettungspaket umfassen. Woher soll das Geld kommen? Einigen sich die Länder? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Eine zersägte Euromünze.

Auf der Münze vereint: Europa Foto: Boris Roessler/dpa

Mit vereinten Kräften für den Wiederaufbau: Die EU-Kommission versucht mit allen Mitteln, ihr 750 Milliarden Euro teures neues Antikrisenprogramm voranzutreiben, das Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorgelegt hat.

Am Donnerstag warben Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und Vizepräsident Frans Timmermans in Brüssel für die „Next Generation EU“ – so der offizielle Titel. Der Wiederaufbau werde nicht zulasten des „Green Deals“ für den Klimaschutz gehen, beteuerte Timmermans. Die Schulden könnten durch neue Eigenmittel der EU – also Steuern und Abgaben – abgetragen werden, erklärte Gentiloni.

Doch damit der Plan in Kraft tritt, müssen alle 27 EU-Staaten und das Europaparlament zustimmen. Bisher zeichnet sich noch keine Einigung ab. Beim nächsten EU-Gipfel am 19. Juni könnte es zu einer großen Verteilungsschlacht kommen, fürchten Diplomaten in Brüssel.

Wie immer ist vor allem das Geld umstritten. Jedes EU-Land versucht, sich ein großes Stück vom Kuchen zu sichern, bevor es sich auf den Vorschlag einlässt. Diesmal geht es aber auch um die Finanzierung – für den Wiederaufbau will die EU in großem Stil Schulden aufnehmen.

Wer soll das bezahlen?

Der EU-Beitrag soll zunächst unverändert bleiben, verspricht die EU-Kommission. Lediglich die sogenannte Eigenmittelobergrenze wird angehoben. Damit sichert sich die Brüsseler Behörde auf dem Papier zusätzliche Einnahmen, die als Garantie für Anleihen auf den Finanzmärkten genutzt werden.

So ließen sich fast im Handumdrehen 750 Milliarden Euro einsammeln – denn die EU genießt eine hervorragende Bonität. Komplizierter wird es bei der Rückzahlung der Schulden, die ab 2028 geplant ist. Denn dann müssen entweder die EU-Staaten ihren Beitrag erhöhen – oder die EU erhält mehr Eigenmittel, sprich Steuern und Abgaben. Darauf hofft die EU-Kommission, auch das Europaparlament befürwortet diese Lösung.

Allerdings kommt eine wichtige Säule – die Digitalsteuer – kaum voran, wie Gentiloni einräumte. Derzeit laufen noch Verhandlungen auf internationaler Ebene, die Kommission will erst 2021 einen eigenen Vorschlag machen.

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber warnt vor einem Wolkenkuckucksheim. „Es gibt keine Digitalsteuer, darüber streiten die Finanzminister schon ewig, es gibt keine Finanztransaktionssteuer, darüber streiten die Finanzminister ewig.“

Wer sind die Gewinner und Verlierer?

Folgt man der EU-Kommission, so werden alle Staaten profitieren, vor allem aber die Krisenländer Italien und Spanien. Sie sollen nicht nur rückzahlbare Kredite, sondern auch Zuschüsse aus der EU-Kasse erhalten.

Allerdings müssen auch diese Länder ihren finanziellen Beitrag zum Wiederaufbau leisten. Zieht man die nationalen Beiträge ab, so muss Deutschland am Ende draufzahlen, Spanien und Italien erhalten netto nur noch 34 beziehungsweise 26 Milliarden Euro, wie das Centre for European Reform errechnet hat.

Zudem droht Ärger über den Verteilerschlüssel. „Man muss Wirtschaftswachstum und Konkurrenzfähigkeit in der gesamten EU gleichermaßen stärken“, sagte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš. Die nationale Arbeitslosenquote dürfe dabei keine Rolle spielen, da dies erfolgreiche Länder bestrafen würde.

Wie sind die Reaktionen?

Gemischt. Frankreich, Italien und Spanien haben den Vorschlag begrüßt, die Niederlande, Schweden und Österreich zeigten sich skeptisch.

Damit zeichnet sich dieselbe Frontstellung ab wie bei dem Streit über ein erstes Rettungspaket der Eurogruppe: Die „sparsamen“ Nordländer stehen gegen die „ausgabefreudigen“ Südeuropäer.

Eine Sonderrolle nimmt Deutschland ein, da es am 1. Juli den halbjährlich wechselnden EU-Vorsitz übernimmt. Kanzlerin Angela Merkel sagte, sie erwarte schwierige Gespräche.

Wie geht es weiter?

EU-Ratspräsident Charles Michel hat für den 19. Juni ein Gipfeltreffen einberufen. Dort sollen die Staats- und Regierungschefs erstmals über den Aufbauplan sprechen.

Allerdings ist noch unklar, ob es ein „echter“ Gipfel wird oder nur eine Videokonferenz – bisher gelten immer noch Reisesperren in und nach Belgien. Eine Einigung sei aber nur bei einem physischen Treffen möglich, sagen Diplomaten.

Wahrscheinlich werde sie auch nicht gleich beim ersten Gipfel gelingen. Die Würfel dürften deshalb erst im Sommer oder gar im Herbst fallen – unter deutscher Ratspräsidentschaft. Damit liegt der Schlüssel in der Hand von Kanzlerin Angela Merkel.

Was wird aus dem Green Deal?

Der Klimaschutz genieße weiter Priorität, betont die EU-Kommission. Finanzhilfen würden immer an grüne Kriterien gebunden, kündigte Timmermans an. Es sei zum Beispiel „undenkbar“, dass Unterstützung gezahlt werde, damit auf Kohle basierende Industrien weitermachten wie bisher.

Allerdings wird im Europaparlament bereits Kritik laut. Die Kommission wolle weiterhin nur ein Viertel des EU-Budgets für Klimaausgaben vorsehen, bemängelt die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt. Zudem solle die Agrarpolitik soll nicht grundlegend reformiert werden.

Der Fokus auf den Klimaschutz drohe verloren zu gehen, fürchtet jedoch der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss. „Die Kommission nennt ihren Plan ‚Next Generation EU‘, aber die kommenden Generationen werden davon nicht viel haben.“

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