EU-Parlamentspräsident Sassoli ist tot: Mit harter Hand und großem Herzen
EU-Parlamentspräsident David Sassoli ist im Alter von 65 Jahren in einer italienischen Klinik gestorben. Er galt als Organisationstalent und solidarisch.
Demnach kam der Parlamentspräsident am 26. Dezember ins Krankenhaus, all seine offiziellen Termine wurden seitdem abgesagt. Im September war er bereits wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus behandelt worden und konnte mehrere Wochen lang nicht seinen Aufgaben als EU-Parlamentspräsident nachgehen. Zuvor war er außerdem einmal an Leukämie erkrankt.
Der Sozialdemokrat hatte den Parlamentsvorsitz seit der Europawahl 2019 inne. Seine Amtszeit lief diesen Monat zur Hälfte der Legislaturperiode gemäß einer Absprache der EU-Staats- und Regierungschefs aus. Sassoli hatte bereits angekündigt, dass er nicht zur Wiederwahl antreten wollte. Nach Angaben des Parlaments sollten die Abgeordneten während der Plenarsitzung in Straßburg nächste Woche Dienstag seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin bestimmen.
Durch den Verzicht der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Parlament auf einen eigenen Kandidaten wurde der Weg frei für die Wahl der Kandidatin der konservativen Europäischen Volkspartei, Roberta Metsola. Die Malteserin ist derzeit eine der Vizepräsidentinnen der EU-Volksvertretung.
Der italienische „Mister Tagesschau“
Sassoli wurde am 30. Mai 1956 in Florenz in der Toskana geboren. Nach dem Studium der Politikwissenschaft arbeitete er als Journalist, zunächst für Zeitungen und Nachrichtenagenturen und dann für den öffentlich-rechtlichen italienischen Rundfunk.
Er entwickelte sich schnell zum vertrauten Gesicht für Millionen Italiener, als er die Abendnachrichten im Sender Rai Uno präsentierte – eine Art italienischer „Mister Tagesschau“. 2007 wurde er auch stellvertretender Direktor des Nachrichtenprogramms TG1. 2009 zog er für die sozialdemokratische Partito Democratico (PD) ins EU-Parlament ein. Ab 2014 war er einer der 14 Vize-Präsidenten der EU-Abgeordnetenkammer. Neben seiner Abgeordnetenarbeit betätigte sich Sassoli weiter schriftstellerisch als Autor von Büchern und Gastbeiträgen in verschiedenen Tageszeitungen und Zeitschriften.
Sein Aufstieg zum Präsidenten des EU-Parlaments als Nachfolger seines konservativen Landsmanns Antonio Tajani kam für viele überraschend, da Italien 2019 mit dem heutigen Regierungschef in Rom, Mario Draghi, als Chef der Europäischen Zentralbank und Federica Mogherini als EU-Außenbeauftragter noch zwei weitere Spitzenposten besetzt hatte.
Pandemie als Herausforderung
Sassoli stellte klar, dass er seine Wahl auch als Zeichen der Unabhängigkeit des Parlamentes im Machtkampf mit den Regierungen der EU-Staaten sah. „Ich bin kein Mann des Rates“, sagte er nach seiner Wahl mit Blick auf die Vertretung der Mitgliedstaaten.
Parlamentsdebatten führte der „Presidente“, der sich oft in seiner Muttersprache Italienisch äußerte, mit harter Hand, jedoch ohne verbale Ausbrüche. Seine zweieinhalbjährige Amtszeit wurde durch die Coronapandemie geprägt. So musste er die Umstellung des Parlamentsbetriebs auf Telearbeit koordinieren. Sein Organisationstalent verschaffte ihm Respekt unter den Abgeordneten.
Als Zeichen seiner Solidarität inmitten der Krise stellte er die verwaisten Räumlichkeiten des Parlaments sowohl in Straßburg als auch in Brüssel zur Verfügung, um Mahlzeiten für bedürftige Familien zuzubereiten und ein Covid-19-Testcenter einzurichten.
Er hinterlässt zwei Kinder. „Das Datum und der Ort der Beerdigung werden in den nächsten Stunden bekannt gegeben“, schrieb Sassolis Sprecher auf Twitter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen