EU-Klimapolitik nach der Europawahl: Green Deal in Gefahr

Nach den Wahlen wird es schwer, den Klimaschutz in der EU voranzubringen. Das liegt auch an Versäumnissen der bisherigen Klimapolitik.

Zwei junge Frauen tuscheln miteinander, eine hält ein Megafon in den Händen

März 2019, Klimastreik in Brüssel: Vor fünf Jahren, bei den vorherigen Wahlen zum EU-Parlament, stand Klimapolitik hoch im Kurs Foto: Paul-Henri Verlooy/imago

Klimapolitisch ist der Ausgang der Europawahl ein Desaster. Rechte Parteien, die sich traditionell vehement gegen den Klimaschutz stellen, haben enorme Zugewinne. Und auch diejenigen, die wie die Konservativen eine opportunistische Klimapolitik betreiben, sind in der Offensive. In den kommenden Jahren wird es daher nicht nur schwer, neue Meilensteine auf dem Weg zur Klimaneutralität zu setzen. Auch das bisher Geschaffte zu verteidigen, wird schwieriger.

Die von Liberalen und Konservativen erneut angezettelte Diskussion über den Ausstieg aus dem Aus für den Verbrennungsmotor ist erst der Anfang – es wird weitere Versuche geben, Fortschritte rückgängig zu machen. Der Ruf nach mehr Technologieoffenheit ist nichts anderes als das Begehren, fossil genauso weiterzumachen wie bisher. Stimmen werden lauter, den Green Deal zu beenden – das Programm, mit dem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in großem Maßstab den klimagerechten Umbau der europäischen Wirtschaft voranbringen will.

Vor fünf Jahren, bei den vorherigen Wahlen zum EU-Parlament, stand Klimapolitik hoch im Kurs. Die Klimabewegung Fridays for Future brachte weltweit Millionen von jungen und auch älteren Menschen auf die Straßen. Das hatte einen messbaren Effekt auf die Europawahl 2019. Eine Studie des Ifo-Instituts hat gezeigt: Wo die Schulstreik-Bewegung besonders stark war, haben die Grünen besonders viele Stimmen gewonnen, während die Zustimmung für die AfD abnahm.

Mit ihrer Rhetorik zur Wärmepumpe senden Grüne und Sozialdemokraten das Signal aus: Richtig teuer wird es so oder so – weil wir es so wollen.

Das frisch gewählte EU-Parlament machte Ursula von der Leyen zur Präsidentin der EU-Kommission. Dass die ökologisch lange wenig motivierte CDU-Politikerin ihre Amtszeit mit einem großen Klimapaket, dem Green Deal, begann, war wohl dem Klima-Zeitgeist geschuldet. Europa soll damit zum ersten klimaneutralen Kontinent werden, und zwar im Jahr 2050. Bis 2030 sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken. Das Klimapaket besteht aus zahlreichen Gesetzen und Initiativen, von der Reform des Europäischen Emissionshandels bis zum – gerade vor ein paar Tagen beschlossenen – Recht auf Reparatur für Elektrogeräte.

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen des Projekts Climate Action Tracker haben den Fortschritt durch den Green Deal quantifiziert. Seit den Wahlen von 2019 hat sich die Klimapolitik der EU demnach deutlich verbessert. Wenn alle Länder auf der Welt ein ähnliches Ambitionslevel hätten, liefe das auf 2 Grad Erderhitzung hinaus. Damit leistet die EU zwar immer noch nicht ihren fairen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen, das die Fieberkurve bei „deutlich unter 2 Grad“, möglichst sogar bei 1,5 Grad halten soll. Aber: Die europäische Klimapolitik vor 2019 wäre der Analyse nach auf ein Grad mehr hinausgelaufen. Was klimabedingte Todesfälle und Zerstörung anbelangt, ist das ein gigantischer Unterschied.

Von der Leyen muss sich von ihrem Klimakurs verabschieden

Aber: Das Projekt ist durch den Rechtsruck in Gefahr. Schon im Wahlkampf hat Ursula von der Leyen kaum über ihren Green Deal gesprochen und wurde von den Wäh­le­r:in­nen des konservativen Lagers belohnt. Ob sie Kommissionspräsidentin bleibt, hängt auch von den Rechts-außen-Parteien ab.

Für die Zusammenarbeit etwa mit den postfaschistischen Fratelli d’Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni hat sie sich längst offen gezeigt. Untypisch für das rechte Spektrum hat sich Meloni zwar bereits für Klimaschutz ausgesprochen. Generell wird sich von der Leyen aber von ökologischen Ambitionen weitgehend verabschieden müssen, wenn sie sich von den Abgeordneten wählen lassen will, die sich in den rechten bis rechtsextremen Fraktionen Europäische Konservative und Reformer und Identität und Demokratie sammeln. Viele von ihnen leugnen die Existenz des menschengemachten Klimawandels.

Es erscheint irrational, dass die Wäh­le­r:in­nen nicht für Klimaschutz stimmen, obwohl die Erderhitzung auch in Europa immer dramatischere Spuren hinterlässt. In Süddeutschland haben die Hochwasser in mehreren Gemeinden gerade erst Leben gekostet und das Hab und Gut vieler Menschen vernichtet. Die Erderhitzung hat die Katastrophe um bis zu 10 Prozent heftiger gemacht, wie eine Schnellstudie von Wis­sen­schaft­le­r:in­nen gerade zeigen konnte. Doch statt des Klimawandels nehmen offenbar viele Menschen die Klimapolitik der Ampelregierung oder der EU als Bedrohung wahr.

Soziale Ignoranz der Klimapolitik

Wer diese Empfindung jedoch als komplett irrational abtut, übersieht, dass es dafür durchaus Gründe gibt. Das zentrale Instrument der Bundesregierung und der EU in der Klimapolitik ist die Preispolitik: Wer den Ausstoß von CO2 verursacht, soll zahlen. Den versprochenen Ausgleich dafür, das Klimageld, bleibt die Ampel den Bür­ge­r:in­nen aber schuldig.

Ver­tre­te­r:in­nen der Klimabewegung und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen lassen kaum eine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass Klimapolitik sozial abgefedert werden muss. Doch das passiert nicht. Kontern Grüne oder So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen Unmut über die Kosten für neue Wärmepumpen etwa damit, dass das Festhalten an einer Gasheizung durch den CO2-Preis noch viel teurer wird, senden sie das Signal aus: Richtig teuer wird es so oder so – weil wir es so wollen.

Dass Bür­ge­r:in­nen sich davon abwenden, ist nachvollziehbar. Viele sehen nicht ein, dass sie zahlen sollen, aber politische Stellschrauben nicht gedreht werden. Dass die Bundesregierung etwa kein Tempolimit einführt oder den schnelleren Ausstieg aus fossilen Energien vernachlässigt.

Die soziale Ignoranz der bisherigen Klimapolitik der Ampel und der EU unterspült deren Akzeptanz. Auf das Bedürfnis von Bür­ge­r:in­nen nach Sicherheit mit dem Aufweichen der eigenen Klima-Programme zu reagieren, wäre falsch. Die Klimakrise stellt schließlich sowohl die physische als auch die finanzielle Sicherheit in Frage. Stattdessen müssen Parteien mit ökologischem Anspruch beides vereinbaren.

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Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).

Jahrgang 1991, ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft + Umwelt und schreibt dort vor allem über die Klimakrise. Hat ansonsten das Online-Magazin klimareporter° mitgegründet.

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