EU-Abgeordnete zu Tracking im Internet: „Den Werbemarkt verändern“
Die EU will Onlineplattformen neu regulieren. Eine Gruppe von EU-Parlamentarier:innen will ein Verbot trackingbasierter Online-Werbung.
taz: Frau Geese, was ist gute Werbung im Internet?
Alexandra Geese: Wenn Werbung überhaupt gut sein kann, dann solche, die nicht ausspioniert. Aus Sicht der Werbetreibenden ist es Werbung, die die Nutzer:innen erreicht. Das ist möglich, ohne dafür riesige Datensammlungen anzulegen und Menschen auszuspionieren, wie es derzeit im Internet üblich ist. Es funktioniert kontextbasiert, egal ob im Printprodukt oder Online: Da gibt es in der Automobilzeitschrift dann eben Werbung für Autos oder Herrenrasierer, was natürlich ein sexistisches Klischee ist, aber es funktioniert, ganz ohne Nutzer:innenprofile anzulegen.
Und was ist problematische Onlinewerbung?
Das ist Werbung, die zielgerichtet auf eine bestimme Person bezogen ausgespielt wird. Dafür werden, während wir durchs Internet surfen, haufenweise Daten über uns gesammelt und in riesigen Datenbanken zusammengeführt.
Das, was man unter dem Begriff Tracking versteht.
Alexandra Geese, 52, sitzt seit 2019 für die Grünen im EU-Parlament und verantwortet für die Fraktion Greens/EFA den Digital Services Act.
Genau. Dazu kommen Offlinedaten, zum Beispiel, wenn wir im Supermarkt Treuepunkte einlösen. Für jede Person gibt es also ein Profil mit all ihren Daten. Wenn ich eine Webseite besuche, die Werbung zeigen will, wird mein Profil Hunderten Unternehmen per Auktion angeboten. Wer am meisten bietet, bekommt den Werbeplatz. Das alles läuft innerhalb von Bruchteilen von Sekunden ab.
Momentan sehen wir im Internet vor allem die problematische Variante. Sie setzen sich gemeinsam mit anderen EU-Parlamentarier:innen dafür ein, dass die EU trackingbasierte Werbung verbietet. Warum?
Jedes Datenprofil besteht aus 20.000 bis 50.000 Datenpunkten. Darunter sind sensible Daten wie Religion oder sexuelle Orientierung oder Vorlieben erfasst. Die meisten Nutzer:innen werden kaum wollen, dass Dritte darüber Bescheid wissen. Und dieselben Daten werden genutzt, um Hass, Hetze und Desinformation zu verbreiten. Wer im Netz einem Trump-Anhänger folgt, dem werden per Algorithmus auch andere und immer radikalere Inhalte zugeführt. Im Kern geht es deshalb darum, unsere Demokratie zu schützen.
Die Europäische Union überarbeitet derzeit die Regeln für Onlineplattformen wie Facebook, Amazon oder Airbnb. Im Dezember hat die EU-Kommission dazu Vorschläge für zwei Gesetzespakete vorgestellt: den Digital Services Act und den Digital Markets Act. Beide sollen unter anderem für mehr Transparenz und Nutzer:innenfreundlichkeit sorgen und sehen bei Verstößen Bußgelder vor. Beide Ansätze haben gemeinsam, dass sie sich mit ihren Regulierungen auf die großen Marktteilnehmer:innen konzentrieren. Für sie sollen strengere Regeln gelten. Bis aus den Entwürfen gültige Gesetze werden, wird es aber voraussichtlich noch mindestens anderthalb Jahre dauern.
Konzerne argumentieren, per Tracking bieten sie Nutzer:innen Werbung, die für sie relevant ist und so als weniger aufdringlich empfunden wird.
Viele Nutzerinnen und Nutzer wissen nicht, was mit ihren Daten passiert: Wie viele und welche Daten gesammelt werden, wie sie zusammengeführt werden, wie lange sie gespeichert werden und wer das alles bekommt. Würden die Menschen das alles wissen, würden die meisten diese Art von Werbung nicht mehr haben wollen. Das zeigt ein Beispiel aus den Niederlanden: Dort hat die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ihre Nutzer:innen gefragt, ob sie dem Tracking zustimmen. 90 Prozent der Befragten haben gesagt: Nein, das will ich nicht.
Auch wenn es keine personalisierte Werbung mehr gäbe, würde das Tracking nicht verschwinden. Es ist beispielsweise auch Basis dafür, welche Posts Nutzer:innen in Online-Netzwerken angezeigt werden. Warum wollen Sie nicht gleich das Tracking komplett untersagen?
Das würde ich am liebsten. Eigentlich ist beim Tracking vieles nach der Datenschutz-Grundverordnung nicht erlaubt und mindestens eine rechtliche Grauzone.
Aber es wird gemacht.
Ja, das liegt auch daran, dass die für die meisten der IT-Konzerne zuständige irische Datenschutzaufsicht nicht sehr aktiv ist. Die Umsetzung fällt leider nicht in die Zuständigkeit des Parlaments. Aber mit der Forderung, trackingbasierte Werbung aus Europa zu verbannen, denken wir weiter: Wir wollen die finanziellen Anreize für das Tracking nehmen. 98 Prozent der Einnahmen von Facebook beruhen auf der spionierenden Werbung. Bei Google sind es 70 Prozent. Indem wir den Werbemarkt verändern, verändern wir die Gesellschaft zum Vorteil für unsere Demokratie.
Wie genau soll sich das denn äußern?
Wir profitieren als Gesellschaft, wenn wir die Überwachung durch wenige große Unternehmen stoppen. Denn die Daten, die für die Werbung gesammelt werden, ermöglichen auch die politische Manipulation von Menschen. Das ist zum Beispiel anhand des Brexits nachgewiesen. Da wurden bestimmte manipulierende Pro-Brexit Botschaften zuerst an Gruppen von Menschen ausgespielt, die dafür besonders empfänglich waren. Zum Beispiel gab es eine Anzeige: Wenn wir in der EU bleiben, ist die nächste Außengrenze Großbritanniens der Irak. Das wurde zuerst an Menschen ausgespielt, die so etwas glauben.
Dazu kommt noch ein zweites Problem: Die Onlinenetzwerke können auf Basis dieser Trackingdaten Nutzer:innen sehr lange im Netz halten, weil sie so persönlich sind, dass wir uns immer direkt angesprochen fühlen. Aber gerade Desinformationen, Hass und Hetze, die uns zur Interaktion einladen und daher die Werbeeinnahmen erhöhen, werden auf Basis dieser Daten ausgespielt. Und das schadet uns als Gesellschaft. Das Wall Street Journal hat letztes Jahr interne Facebook-Zahlen veröffentlicht, wonach ein Drittel aller Facebook-Gruppen extremistisch sind. Und 64 Prozent der Mitglieder dieser Gruppen wurden von Facebooks Empfehlungsalgorithmus dahingeschickt.
Also doch Tracking komplett untersagen?
Die EU hat sich digitale Souveränität zum Ziel gesetzt, und für mich bedeutet das eine freie Gesellschaft, die nicht auf Schritt und Klick getrackt wird. Nur so können wir unsere Diskurse auf den großen Social-Media-Plattformen wieder demokratischer führen und eigenverantwortlich über die Nutzung unserer Daten entscheiden.
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